Die Wahrheit: Der Imperialismus der Strolche
Nicht einmal hartgesottene Brexiteers wollen die alten englischen Maßeinheiten zurückhaben, scheint es. Dabei hat gerade das Pint einige Vorteile.
E nglands Brexit-Enthusiasten sind erneut gedemütigt worden. Kaum ein Tag vergeht ohne eine Hiobsbotschaft über böse Brexit-Folgen, und nun wird auch noch das metrische System nicht abgeschafft. Dabei hatte man den Wählerinnen und Wählern versprochen, dass das „metrische Martyrium“ nach dem Brexit beendet würde. Die Nation würde vom kontinentalen Joch befreit und bekäme das imperiale System zurück.
„Imperial“ – das klingt majestätisch, es erinnert an das British Empire, in dem die Sonne nie unterging. Aus und vorbei. Heutzutage geht die Sonne in England ja kaum noch auf. Und nun verweigern sie den kleinen Brexiteers auch noch die versprochenen Maßeinheiten.
Jacob Rees-Mogg schäumte: „Das ist typisch für den eher bürokratischen und langweiligen Ansatz, den diese Regierung zu verfolgen pflegt.“ Der Independent bezeichnete den Tory-Rechtsaußen einmal als „höflichen Strolch“. Er sei vorübergehend aus dem 18. Jahrhundert ins Jetzt versetzt worden. Und er lebe in der „wahnsinnigen Fantasieblase einer imperialen Renaissance nach dem Brexit“.
Bei einer Umfrage ist aber herausgekommen, dass 98,7 Prozent der Befragten mit dem metrischen System zufrieden sind. Nur 1,3 Prozent sind für die alten Maßeinheiten? Was ist denn mit den Brexit-Wählern los? Wenigstens das Pint, jene magischen 0,568 Liter, um die sich im Pub alles dreht, wird beibehalten – und nicht nur das: Künftig darf auch Wein in Pints verkauft werden. Damit sollen die Brexit-Enthusiasten beschwichtigt werden.
„Bei unserem Austritt aus der EU ging es um Momente wie diesen, in denen wir neue Chancen ergreifen und unseren großartigen britischen Weingütern einen echten Schub geben und die Wirtschaft weiter wachsen lassen können“, sagte Kevin Hollinrake, Unterstaatssekretär für Märkte und Kleinunternehmen. Das sei die „Brexit-Dividende“. Die Briten sind aus der EU ausgetreten, damit sie ihren Wein in Pint-Flaschen verkaufen können? Du meine Güte.
Kriegspremier Winston Churchill hätte sich gefreut, er liebte einen Pint Champagner. Dieses Maß sei „genug für zwei zum Lunch und für einen zum Dinner“, hat er einmal gesagt. Und auch bei Schottlands Nationaldichter Robert Burns prostete ein Mann seiner „lieben Mary“ mit einem Pint Wein zu.
Premierminister Rishi Sunak will noch einen draufsetzen, um die Tories bei den nächsten Wahlen vor dem Untergang zu bewahren. Wein soll künftig nicht mehr in Flaschen, sondern in Teekannen aus britischem Porzellan verkauft werden. Schließlich sei auch Tee „eng mit unserer Kultur und Sprache verbunden“, sagte Sunak. Allerdings stammt die Pflanze nicht aus England, sondern aus den Kolonien. Womit wir wieder beim Empire wären. Allemal attraktiver erscheint der Begriff jedoch beim Wein: Mit „Imperial“ bezeichnet man eine Bordeaux-Flasche von sechs Litern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW