Die Wahrheit: Volle Pracht in Yacht
Die Seeblockade sämtlicher Häfen ist angelaufen. Nach dem Vorbild der Bauern an Land demonstrieren jetzt auch noch Deutschlands Reiche auf dem Meer!
Deutschland steht Kopf! Protestieren ist jetzt was Rechtes – zwar wird auch gegen rechts protestiert, allerdings nicht gegen die eigentlich ungerechten Umstände. Nein, die ungerechten Umstände beziehungsweise ihre Verursacher machen das nämlich selbst, das Protestieren! Nach den Bauern, die ein reichlich schlechtes Vorbild abgegeben haben mit ihren lauten und stinkenden Traktoren, sind jetzt die Reichen am Start. Sie haben zu einer neuen wellenlosen Protestwelle aufgerufen.
Ja, die Zeiten sind harte, und die Paradigmen haben alle gewechselt. Bauernproteste, so etwas kannte man bis vor Kurzem nur aus dem Geschichtsunterricht, den man meistens eh geschwänzt hat. Und wer kann sich noch an Zeiten erinnern, als Traktoren nur gegen die Geschwindigkeit und den Wohlgeruch der Welt auf den Landstraßen protestieren konnten mit ihren Gülletanks bei höchstens 30 Stundenkilometern und Überholverbot? Das war damals, irgendwann in den Achtzigern, und das ist verdammt lange her.
Damals, irgendwann vor unserer Zeit, gab es auch noch nicht so viele reiche Reiche, jetzt gibt es immer mehr von ihnen und sie haben immer mehr Geld. Deshalb wollen sie protestieren, sicherheitshalber, denn alle paar Jahre kommt das fiese Gerücht auf, irgendwelche linke Parteien planten eine – o weh! – Reichensteuer. Die ist zwar de facto nicht vorgesehen, von niemandem, schon gar nicht von der „linksgrünen Kaste“ (AfD-Baumann) oder der Regierung, die von einer Reichenpartei und zwei Neureichenparteien gebildet wird, die die obere Mittelschicht vertreten.
Und so nehmen sich die Reichen die Idee der auch nicht so armen Bauern und verstellen auch mal irgendetwas. Und zwar die Häfen! Von der Seeseite her! Kiel, Flensburg, Rostock, Hamburg, Bremen, dazu Cux-, Friedrichs-, Wilhelms- und Ludwigshafen: Zugang durch Yachten versperrt! Eine sehr clevere Idee.
Statement über Funk
Reichensprecher Matthias Hösch, der seinen Namen selbstverständlich lieber in einer anderen Zeitung gelesen hätte, lässt sich über Funk zu einem Statement herab: „Neulich hat sogar das Wetter gegen den angeblichen Klimawandel demonstriert! Mit Schnee und Eis, da ging gar nichts mehr, die gesamte Infrastruktur lag brach! Doch seit die Häfen eisfrei sind, müssen wir das Scheckheft des Handelns selbst in die eigene Hand nehmen.“
Und da liegen sie nun in Nord- und Ostsee, breit und üppig wie gestrandete Wale: Sunseeker, Sechsmaster, Katamarane, Luxusyachten, die Gorch Fock, kleinere Kreuzfahrtschiffe und diverse Dickschiffe, die noch mit Altöl fahren. Einige haben Piratenflaggen und Protestlaken gehisst, auf denen Slogans wie „Reichentod bringt Menschennot“ oder „Eat the Poor!“ stehen, andere haben ihre Segel mit der Parole „No Money No Cry“ beschmiert.
Insider debattieren längst auf Threats, dem neuen sozialen Nachrichtenkanal der Rechten, ob sich auch Putins Yacht unter den schillernden Protestbooten befindet. „Das sieht nur so aus. Das Ding, das Sie meinen, steht unter der Flagge Panamas. Alles abgesichert“, versichert Hösch. Überhaupt: Hier ankert die beste Armada, die man sich denken kann. Bilder, die man sonst nur aus Cannes oder Monaco kennt. „Die US Navy erblasst vor Neid! Und bis hierher kommen die Huthis mit ihren Raketen nicht, hehehe.“
Persönliche Ministeransprache
Die Häfen sind also dicht, die Regierung juckt es nicht. Finanzminister Christian Lindner von der Reichenpartei FDP hat allerdings in vorauseilendem Gehorsam erstes Entgegenkommen signalisiert und will auf der Seedemonstration in Kiel persönlich sprechen: „Ich will kielgeholt werden“, so der Herr der Finanzen. „Dem werden wir einen heißen Empfang bereiten! Hab mir extra ein Beiboot und reichlich Schampus gekauft“, erwidert Reichensprecher Hösch.
Lindner selbst fordert vor aufgebrachten Reederei- und Werftbesitzern, die sich über Nacht dem Protest angeschlossen haben, noch am selben Morgen: „Spitzensteuersatz runter!“ Den wollte zwar sonst keiner heraufsetzen, aber egal. Wehret den Anfängern!
Auch sonst gibt sich Lindner möglichst volksfern und reichennah. Er sei schließlich auch „mit Quietscheentchen und ferngesteuertem Motorboot in der Badewanne aufgewachsen“, so Lindner. Seit frühester Geburt sei er ein Segler und schon immer körperlich dem Meer verbunden, vor allem wenn er seekrank das Oberdeck auf dem Tretboot vollgekotzt habe. „Deswegen weiß ich, was das für eine Arbeit ist, so etwas den ganzen Tag und jeden Tag zu machen“, weiß Lindner.
„Zum Glück“, zieht der Finanzminister schließlich den logischen Vergleich zwischen den Yachtbesitzern und der Letzten Generation, „kann sich hier niemand ans Wasser kleben. Haha, das ist leider technisch völlig unmöglich!“ Und mit dem Ausruf „Ich bin einer von euch!“, schickt sich Lindner schließlich an, endgültig den festen Boden der Tatsachen verlassen zu wollen.
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