Die Wahrheit: Sprachi in der Witznische
Wie funktioniert eigentlich der „X ruft an“-Gag? Und warum ist er im Deutschen nicht lustig? Und was hat der freudlose Friedrich Merz damit zu tun?
E iner der besten, wenn auch nicht originären Gags in Steven Soderberghs Film „Ocean’s Eleven“ ist die Szene, in der Danny Ocean (George Clooney) von seinem Freund und Kupferstecher Rusty Ryan (Brad Pitt) nach dem Absitzen seiner Strafe vor dem Gefängnis abgeholt wird: Rusty wartet in einem Hemd mit Disco-Kragen und schreiendem Muster vor dem Gebäude. Danny, in schwarzem Anzug, in dem er einst eingeliefert wurde, wirft einen Blick auf Rustys Hemd und sagt: „Ted Nugent called. He wants his shirt back.“
In Deutschland gestaltet sich der Einsatz der theoretisch unbegrenzt ausweitbaren „X hat angerufen. Sie wollen ihr Y zurück“-Witze als kompliziert. Vermutlich, weil der kulturelle Konsens weniger breit gefächert ist und die Outfits, die der konservative Waffenfanatiker und Hardrock-Gitarrist Ted Nugent in den Siebzigern trug, eher zum Nischenwissen gehören. Auch für „Sascha Lobo hat angerufen. Er will seine Frisur zurück“ müsste man erst mal von einem Punk mit Irokesenschnitt angeschnorrt werden, der Humor hat, und so viele gibt es davon nicht mehr.
„Mark Mothersbaugh hat angerufen. Er will seine Brille zurück“ zu Friedrich Merz zu sagen, ist ebenfalls vergeblich – man kann davon ausgehen, dass Merz Herrn Mothersbaugh beziehungsweise dessen fantastische Band Devo nicht kennt und deshalb nicht weiß, dass Mothersbaugh der König der „lustigen“ Charakterbrillen ist. „Die Vierziger haben angerufen. Sie wollen ihren Fassonschnitt zurück“, wäre etwas, mit dem man nicht nur Philip Amthor auf die Palme bringen könnte, aber die vierziger Jahre gehören einfach nicht zur Witz-Sphäre.
Auf dem Tour-Ankündigungsplakat für Emir Can İğrek, das momentan überall aushängt, sitzt der türkische Popmusiker auf einem Samtsofa, schaut mit ernstem Schlafzimmerblick in die Kamera und hält sich einen analogen Telefonhörer ans Ohr. Falls die „X called“-Witze auch in der türkischsprechenden Community Deutschlands verbreitet sind, könnte man aus diesem Motiv ein paar hervorragende Entsprechungen ableiten: „Emir Can İğrek hat angerufen. Er will sein Herz zurück“ – für die Romantiker; oder „Emir Can İğrek hat angerufen. Er will sein Haargel zurück“ – für die Gäste der wie Pilze aus der Erde sprießenden „Barber Lounges“; oder auch „Emir Can İğrek hat angerufen. Er will seinen Handyvertrag zurück“ – für die Generation Z und alle folgenden.
Überhaupt bedürften die X-called-Witze dringend einer Modernisierung, um sie weiterhin lebendig zu halten. De facto funktionieren sie nur noch mit „Deine Mutter / dein Vater / deine Tante / die Siebziger / die Achtziger / die Neunziger“ hat oder haben angerufen, denn alle anderen rufen eh nicht mehr an, sondern schicken eine WhatsApp- oder Signal-Nachricht. Oder gleich eine „Sprachi“, wie man Sprachnachrichten seit mindestens zehn Jahren nennt.
Dass Ted Nugent noch mal lernt, wie man eine Sprachi schickt, ist aber zum Glück ziemlich unwahrscheinlich.
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