Die Wahrheit: Die verpfuschte Provinz
Kaum verlässt man die Metropolen, begibt man sich in den hässlichen Herrschaftsbereich gnadenloser Heimwerker.
I m Rheinland fängt die Provinz gleich hinter den Ortsschildern der Großstädte an, manche behaupten sogar: weitaus früher. Dort auf dem Land fräsen die Heimwerker zu jeder Tageszeit durch ihre Eigenheime. Wobei der Begriff „Land“ irreführend ist, davon ist im Durchfahrtskorridor der Metropolen nichts zu sehen, jeder Quadratmeter Boden ist verflixt, versiegelt und verbaut.
Wo nicht gewohnt wird, herrscht die Halle. Kilometerweit ziehen sich Modulgebäude durchs Land. Fliese, Bad und Logistik haben die Peripherie mit ihren Zentren geschlagen. Schlimmer als die Mischgebiete nach Paragraf 6 der Baunutzungsverordnung hat es bloß die alten Weiler getroffen. Die Dorflinde hat die Milbe gefressen, die Kneipen haben Getränkemärkte erledigt. Verlassen hockt die Sparkassenfiliale im hohlen Ortskern, einsam bröckelt der Waschbeton, sogar das Kriegerdenkmal strahlt mehr Heiterkeit ab. Allein im Nagelstübchen brennt noch Licht, dem Land bleibt nur trostlose Rumpfökonomie: Tattoostudios und Pflegedienste.
Die Einwohner haben sich in ihre DIY-Burgen im Wendehammer zurückgezogen. Die imposanten Wehranlagen, die mit ihren Pergolas, Carports und Gabionen ganze Straßenzüge überwuchern können, basieren meist lose auf einem Bungalow aus den Fünfzigern oder einem Langhaus aus der Bronzezeit. Das ist kaum zu erkennen, an den Um- und Ausbauten haben sich Generationen von Heimwerkern versündigt. Der rote Punkt eines einmal genehmigten Bauvorhabens wird in rheinischen Heimwerkerfamilien über Jahrhunderte vererbt. Manche Baustellenzettel tragen noch die Unterschriften fränkischer Hausmeier.
Wie ein Biber im Blaumann schwärmt der Heimwerker am Samstag in Baustoffhandel und Baumarkt aus, um seinen Wagen mit Sonderangeboten zu beladen. Verbaut wird alles, was billig ist und das Auge beleidigt, gern mit Fachwerkimitat an mediterraner Terrakottafassade. Kenner historischer Schadstoffe können zudem Assemblagen von grauer Eternitplatte und giftgelber Mineralwolle einatmen, aus denen die Krebsfasern wehen. Abgelöst wird der Altbestand im Asbest-Schuppenkleid von flachverblendeten Fertigpalästen, die bei Witterung Weichmacher ausbluten. In den Schottergärten verkümmern Topfgeranien vor Kunstharz-Buddhas. Hinter dem Sichtschutz mit Liguster-Print steht auf handtuchgroßer Scholle der Heimwerker und lässt die Kreissäge kreischen. Vermutlich pflanzt er sich so fort, jedenfalls expandiert er.
Nur wenige Monate später hat der Heimwerker eine neue Gaube aus dem Dach gestampft und die Terrasse mit Polycarbonat überdacht. Aber das reicht dem Heimwerker nicht, die Provinz kann die Hände einfach nicht ruhen lassen. Bald wird sie sich in die Innenstädte gefressen haben, an die dann nur noch Doppelstabmattenzäune in City-Optik erinnern werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour