Die Wahrheit: „Wir sind gemütliche Typen“
Das exklusive Wahrheit-Interview: Der sensationell unbekannte Forscher Demir Krastovic über den Neandertaler in uns.
Nur wenige Tage nach der Verleihung des diesjährigen Medizin-Nobelpreises trifft die Wahrheit in einer Karsthöhle in Kroatien Demir Krastovic. Er zählt neben dem prämierten Schweden Svante Pääbo zu den renommiertesten Paläogenetikern weltweit. Wie Pääbo stellt Krastovic die Erforschung unseres Neandertalererbes in den Mittelpunkt seiner Experimente. Während die Tropfen der Stalaktiten um uns herum einen plätschernden Takt vorgeben und Fledermäuse von ihren Ausflügen zurückkehren, wollen wir als Erstes wissen, ob für dieses Interview tatsächlich ein Höhlengang nötig war …
Demir Krastovic: Und ob! Mein Forschungsansatz ist immer ein ganzheitlicher. Es reicht einfach nicht, aus alten Zähnen und bröseligem Knochenmaterial DNS-Sequenzen zu extrahieren und dann wie gebannt auf diese Buchstabenketten zu starren. Leben muss konkret und angepasst sein!
taz: Was heißt das in Ihrem Fall?
… das heißt auch für mich als Wissenschaftler, mich meinem historischen Forschungsobjekt, dem Neandertaler, quasi als forschendes Subjekt zu nähern und mich zum Beispiel genauso wie er zu kleiden.
Woher wissen Sie denn, wie der Neandertaler angezogen war? Trug er überhaupt was?
Na, Sie waren wohl noch nie im Neandertalermuseum in Mettmann bei Düsseldorf! Dort steht er doch! Mit Langstab und Knollennase ist der Bursche Prototyp. Wie er da steht, mit seinem Besenstiel im Griff. Kein Rembrandt könnte derart gelungen den Ausdruck von Verschmitztheit und Zufriedenheit porträtieren. Warum sollte man auf so ein Vorbild verzichten?
Gewiss nicht, aber Sie, Herr Krastovic tragen darüber hinaus eine Perlenkette, Ohrringe und Haarspangen – eher feminine Attribute …
Es gab ja auch Neandertalerinnen! Wir spüren doch alle gerade der Vermischung der Spezies nach. Da darf Schönheit eine Rolle spielen, oder nicht?!
Gut, dass Sie dieses zentrale Thema so offensiv und genderneutral ansprechen. Wie dürfen wir uns denn die ein bis vier Prozent Genanteil von Neandertaler:*Innen in unserer europäischen Menschheitsgeschichte vorstellen? Wo sind die genau geblieben?
Überall. Mal hier, mal da. Was wiegen Sie?
So um die 95 Kilo. Wieso?
Und was sind zwei Prozent von 95 in Kilos?
Na ja, gut vier Pfund.
Und was wiegt ihr Gehirn?
Ich glaube, in etwa auch so viel.
So, so. Und jetzt rechnen Sie mal eins und eins zusammen. Wo könnten die zwei Prozent denn dann bei Ihnen gelandet sein? Wenn Sie Pech hatten oder auch Glück, je nachdem, wie man es eben sieht?
Machen Sie mir keine Angst!
Mache ich doch gar nicht, wir bewegen uns halt in der Welt der Wahrscheinlichkeiten. Auch ein Knie wiegt zum Beispiel zwei Kilo. Wenn man breit genug abhackt …
Sie meinen doch nicht Claires Knie in dem Film von Éric Rohmer?
Genau. Vielleicht hatte die Schauspielerin das gefragte Gen ja an der Stelle erwischt, man konnte es im Film leider nicht so genau sehen.
Wie sieht denn ein Neandertalerknie aus?
Na, so wie meines eigentlich, menschlich, aber sehr behaart.
Und was ist bei der Zwei-Kilo-Rechnung, wenn ein Organ betroffen ist, das Herz zum Beispiel?
Sie denken an das Hauff-Märchen „Das kalte Herz“? Keine Angst – wir waren einst gemütliche Typen, voller Wärme und mit einem Hang zum Höhlenhocker.
Sie sprechen plötzlich in der Wir-Form. War das jetzt nur ein Versprecher?
Lassen Sie es mich so sagen: Lange haben es die Leuten klaglos hingenommen, dass man ihre DNA zu über 98 Prozent als identisch mit unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen, eingestuft hat. Und jetzt sollen sie mal eben und ganz plötzlich zu den 98 vom Schimpansen die weiteren zwei Prozent Neandertaler dazuzählen. Was glauben Sie, was da noch für Sie und für uns an typisch Menschlichem übrig bleibt? Machen Sie sich das mal klar!
Tja, das überrascht jetzt doch. Wie steht es denn mit der Kultur, mit der Höhlenmalerei zum Beispiel?
Schauen Sie sich doch um, alles voll hier in der Höhle, und alles von mir gemalt – nach Originalmotiven …
Die sind ganz sicher auch nobelpreisverdächtig. Und würden auch nicht wenig kosten. Apropos Kosten: Hatte der Neandertaler auch schon Geld?
Klar, wie Muscheln am Meer! Hier, nehmen Sie! Lauter frische Neander-Taler – alle mund- und zahngeprägt. Was will man mehr?
Danke, eigentlich nichts mehr! Vielen Dank für dieses Gespräch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus