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Die WahrheitCasanovas Cocktails

Ein junges Liebespaar im Rausch der Gefühle und der Drinks. Und an ihrer Seite: das Mastermind unter den Mixern dieser Welt.

C olm, der Sohn von Freunden aus Belfast, hatte sich angekündigt. Er würde Yvonne, seine neue Freundin, mitbringen, sagte er. Die beiden sind Anfang 20 und hatten sich drei Wochen zuvor auf Tinder kennengelernt. Colm war noch in der Frühphase, in der man Eindruck schinden möchte. Er hatte einen Slow Cooker, einen Espressokocher und eine Pasta-Maschine mitgebracht. Den Rest des Autos hatte er mit Alkohol und Cocktail-Zubehör vollgestopft.

Während Yvonne in der Sonne saß und Bücher für ihre Doktorarbeit las, schubberte Colm in der Küche. Er hatte mittags das Ragù alla Bolognese aufgesetzt, das fünf Stunden vor sich hin köchelte. Nun machte er sich an die Produktion der Tagliatelle, wusch den Salat, widmete sich dem italienischen Dressing und rieb den Parmesan, den er aus Lodi in der Lombardei importiert hatte, weil Casanova in seinen Memoiren behauptet hat, dass dieser Käse nicht in Parma, sondern eben in Lodi erfunden worden sei.

Zwischendurch mixte er schnell einen Huckleberry Mojito, einen Cocktail aus Rum, Limette, Rohrzuckersirup und Minze. Aber das Eis fehlte ihm, weil im Auto kein Gefrierschrank installiert war. Das war mein Glück, denn ich konnte aushelfen und durfte zur Belohnung mittrinken.

Das inspirierte mich. Schließlich hatte ich früher selbst Cocktails gemixt. Das Zubehör – Shaker, Rührglas und Messbecher – lag in einer Kiste auf dem Dachboden. Jetzt brauchte ich bloß noch die Zutaten. Leider habe ich manchmal einen Hang zum Übertreiben, aber darüber soll der gnädige Mantel des Schweigens bereitet werden. Nur so viel: Ich könnte bis Weihnachten täglich Cocktails zubereiten, ohne etwas nachkaufen zu müssen. Gleichzeitig tat ich etwas gegen den Klimawandel, weil ich eine Großpackung Papierstrohhalme beschaffte.

Colm erzählte später, wie er Yvonne kennengelernt hatte. „Wir hatten uns auf Tinder in einem Café verabredet“, sagte er. „Die erste halbe Stunde versicherten wir uns gegenseitig, dass wir Tinder nur zum Spaß ausprobiert haben und jederzeit Menschen im echten Leben treffen könnten.“

Fast wäre es aber doch noch schiefgegangen. Colm fragte beim dritten Treffen, ob Yvonne sich vorstellen könnte, eine Beziehung mit ihm einzugehen. In Irland heißt das „to do a line“ mit jemandem. Unglücklicherweise bedeutet es aber auch koksen. Nachdem geklärt war, dass sie außer Alkohol keine Drogen nehmen und auch sonst keine ungewöhnlichen Vorlieben haben, beschlossen sie, gemeinsam Urlaub zu machen – bei uns.

Nach zwei Wochen sind sie wieder abgereist, was misslich ist. Mir fiel nämlich ein, warum ich das Cocktail-Zubehör damals auf den Dachboden verbannt hatte: In meiner Bekanntschaft trinkt niemand Cocktails. Jetzt sitze ich auf den Zutaten.

Whiskey, Rum, Gin und Cognac „verdunsten“ mit der Zeit. Was aber mache ich mit den Unmengen Sirup und Likör? Ich werde ein Kind und eine Oma adoptieren müssen.

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Ralf Sotscheck
Korrespondent Irland/GB
Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net
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