Die Wahrheit: Der aus dem Ye-Ei kam
Kanye West und der Krieg in der Ukraine: Der exzentrischste Musiker der Welt wandelt auf ganz neuen politisch-musikalischen Wegen.
Kanye Wests kürzlich erschienenes Album „Donda 2“ wurde exklusiv und ausschließlich auf dem sogenannten Stem Player vertrieben, einem 200 Dollar teuren Datenträger in Form eines größeren Kieselsteins, mit dem man die einzelnen Tracks zerlegen und remixen kann. Doch damit ist das Ende der Egomanenstange noch nicht erreicht. Auf einer Pressekonferenz in einem mit Eierkartons innenverkleideten Airforce-Hangar in Roswell, New Mexico, präsentiert Ye, wie sich der Ausnahme-Rapper seit einer Weile nennt, seine Pläne für die Zukunft.
Punkt sieben Uhr senkt sich vor den Augen der versammelten Medienmenschen ein überdimensioniertes Ei an Drahtseilen von der Decke. Unten angekommen, entschlüpft ihm, die Schalen von innen mit einer Nachbildung von Thors Hammer zerbrechend, Kanye West.
Neuanfang, Wiedergeburt, #Zeitenwende? Symbolisch soll es hergehen, die Veranstaltung wurde als hochpolitisch angekündigt. Tatsächlich möchte Yes frischester PR-Stunt die aktuelle Öl- und Spritpreisexplosion verarbeiten: Das nächste Album mit dem Titel „Czar Mammon“ kommt als steckengebliebene Audiokassette im Tapedeck eines komplett vergoldeten, fahruntüchtigen Porsche Taycan Cross Turismo daher. Unverbindliche Preisempfehlung: 2,8 Mio. US-Dollar.
Auf die Frage, ob er nicht fürchte, das Band könnte bald als illegaler Download die Runde machen – immerhin hat es „Donda 2“ bereits im Februar zum „most pirated album worldwide“ geschafft –, wiegelt der 44-Jährige ab: Das Produkt werde mit einer unknackbaren Wegfahrsperre ausgeliefert und zerstört sich nach zweimaligem Anhören selbst.
Ballade gegen Putin
Die erste Single-Auskopplung hingegen wird auf konventionellem Weg ins Internet gespeist, obendrein kostenlos, und ist wahrhaft politischer Sprengstoff. Die rund 40-minütige Ballade „Ye, Katerinburg“ ist ein Appell an Wladimir Putin mit dem Tenor „Noch hast du nichts falsch gemacht, hör mit der Intervention auf, bevor was Dummes passiert!“. Die offizielle B-Side „Insane in the Ukraine – Don(da)bass Edit“ richtet sich an das ukrainische Militär, weil es immer wichtig sei, beide Seiten zu hören, erklärt Kanye mit einem Augenzwinkern.
Ein Raunen geht durch die Menge, als West sich in diesem Moment abermals umbenennt und sowohl das übernächste Album als auch seine Mode-Linie für den Frühsommer enthüllt. Der Name von beidem wie auch von Kanye 3.0 ist ein altkoreanisches Symbol, das in keiner Computer-Schriftart existiert und dessen Aussprache nach einem Urteil des Patentgerichts Pjöngjang allein dem Künstler vorbehalten ist.
Die Kollektion besteht aus unmodischen und darum umso genialeren Westen („The West Vest“™), aus deren Knöpfen unablässig die 144 extrem kurzen Titel des Albums erklingen. Ist man der Musik überdrüssig, muss man das Kleidungsstück verbrennen – eine clevere Anklage gegen das Prinzip Fast Fashion. Die Ohrwürmer werde man allerdings erst los, wenn man es schafft, sie innerhalb von sieben Tagen einer anderen Person vorzusingen, verrät West, der sich diese Masche von einem beliebten Horrorfilm abgeschaut hat.
Ehrlichkeit spielt eine große Rolle bei dieser Präsentation, die nach nur 20 Stunden schließlich ihren Höhepunkt erreicht. Ye „sus“ West verspricht, seine Fans beziehungsweise Jünger niemals zu belügen, auch nicht, wenn er in spätestens zwei Jahren in einen ominösen Hyperraum transzendiert sein wird, neben dem Mark Zuckerbergs „Metaverse“ wie ein Kinderspielplatz wirke. „Westworld“ soll dieses Wunderland heißen, Kanye wird sein Gouverneur – sofern es mit Kalifornien nicht klappt –, und wir alle dürfen maßgeschneiderte Fotos und individuelle Lieder aus diesem Cyberspace für eine virtuelle Währung … Augenblick, geht es hier um NFTs? Es geht tatsächlich um Non-Fungible Token, diese unübersetzbaren, aber einmaligen und völlig belanglosen Dinge, die in der Kunstszene gerade für viel Geld produziert und verkauft werden.
Schwein als Platte
Als sich die Journalistenmeute grummelnd auflösen will, materialisiert sich vor dem Ausgang des Hangars ein Kanye-Hologramm und bittet um weitere fünf Minuten Aufmerksamkeit, das überübernächste Album liege ihm nämlich besonders an den zwei Herzen. „Beat is Murder“ werde es heißen und weder als digitales noch als klassisches analoges Medium konsumierbar sein. Stattdessen soll ein singendes Schwein beim Endverbraucher vorbeikommen und den Longplayer in nach Wunsch justierbarer Lautstärke vortragen, oder besser: grunzen.
Für die chirurgischen Modifikationen, die nötig waren, um das Tier in eine lebende Schallplatte zu verwandeln („Squeal-Player“, UVP 399 West-Guinees), hat sich Ye im Ersatzteillager der Kardashians bedient. Schließlich war er lang genug mit Kim Kardashian verheiratet, die er nach der Scheidung im vorigen Jahr schweinisch auf allen Kanälen beschimpfte. Für seine Hasstiraden wurde er gerade von der Grammy-Verleihung ausgeschlossen, bei der er eigentlich auftreten sollte, aber das kratze ihn nicht die Sau, teilt Ye mit.
Dass das Ganze allerdings ein Statement zum übertriebenen Fleischkonsum darstellt, unterstreicht der Künstler, der seine Nährstoffe inzwischen nur noch über Badewasser, Bitcoins und Hafermilch-Einläufe aufnimmt, noch einmal, bevor er sich in einer ambrosisch duftenden Nebelwolke auflöst.
Die Sonne geht auf oder unter – wer weiß das inzwischen schon noch? –, als das Presse-Event für beendet erklärt wird. Jeder und jede der Teilnehmenden bekommt beim Verlassen noch ein Kanye-Tattoo gestochen und ein Promo-T-Shirt („Trump/Musk 2024“) in die Hand gedrückt. Die Popmagazine sind sich einig: Wenigstens ist der GOAT, wie der größte Künstler aller Zeiten sich seit drei Minuten nennt, auf dem Boden geblieben. Einem Boden aus purem Platin.
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