Die Wahrheit: Kleiner Coronakrieg
Neues aus Neuseeland: Im Land der langen Wolke und der langmütigen Behörden wurde am Mittwoch das Corona-Protestcamp geräumt.
D a wir die Pandemie zwei Jahre von uns fernhalten konnten, aber nicht die Hirnseuche der Coronaleugner, spielte sich in Wellington das gleiche Szenario ab wie bei den Truckern in Ottawa: Ausgerechnet in einem der demokratischsten Länder mit sensationeller Impfquote belagerte eine wütende Minderheit seit Wochen die Hauptstadt. Doch in Kiwi Country lief einiges anders.
Anlass waren Impfmandate, die für alle öffentlichen Berufe verhängt wurden. Esoteriker, Rechte und Evangelikale marschierten zusammen dagegen auf. Die Krawallkarawane ließ sich auf dem Rasen vorm Parlament nieder und errichtete ein buntes Camp: Suppenküche, Zelte, Kinder. Haka, Konzerte, Yoga. Keine Masken, aber Hakenkreuze und Galgen. Jacinda Ardern wurde auf Plakaten zur Massenmörderin „Jewcinda“.
Neuseelands Staatsmacht reagierte soft. Man stellte Rasensprenger an, die die Anti-Vax-Party in ein Matschfest verwandelten, und griff zur akustischen Folter: Das Parlament beschallte die Meute mit Ohrwürmern wie „Macarena“ und „Copacabana“. Es wurde brutal zurückgetanzt und ein Baumhaus errichtet. Die Kumbaya-Stimmung kippte jedoch bald. Reporter wurden bedroht, Passanten wurde die Maske vom Gesicht gerissen. Die Kloake der Dixie-Klos lief ins Hafenbecken. Anwohner und Geschäfte litten, Krankenwagen verweigerten den Einsatz, eine Schule um die Ecke musste schließen. #endtheprotest trendete auf Twitter.
Während der Trump’sche Propagandakanal Counterspin zu Exekutionen im Stil der Nürnberger Prozesse aufrief, fuhr ein Querulant sein Auto in eine Gruppe Polizisten. Beamte wurden mit Fäkalien beworfen und mit Säure bespritzt. Vorige Woche errichteten sie endlich Betonblockaden, um weitere Autos aufzuhalten. Ein „Piratenschiff“ legte am Hafen an, da Ungeimpfte nicht auf der Fähre von der Südinsel übersetzen konnten. Es gab erste Verhaftungen. Und mittendrin eine Hochzeit.
Am Tag, als sich das ungeimpfte Pärchen umjubelt das Ja-Wort gab, meldete Neuseeland 13.606 neue Omikron-Fälle – ein Inzidenzrekord. Die Covidwelle schwappt seit Februar erstmals übers Land und nimmt rasant zu. Das Wiesenlager vor dem Parlament gilt bereits als Superspreader-Event. Surprise, surprise: Viele dort fühlten sich plötzlich ziemlich krank. Auch daran ist die böse Jacinda schuld: Ein Sendemast auf dem Regierungssitz attackiere die Demonstranten mit elektromagnetischen Strahlen, hieß es. Nach dieser faken Hiobsbotschaft war die Alufolie in den anliegenden Supermärkten in Windeseile ausverkauft. Der neueste Look auf der Wiesn war keine Parodie, sondern Ernst: Man trug Aluhut.
Am Mittwoch kam es dann zum dramatischen Eklat. Statt „Camp Covid“ weiterhin mit Barry Manilow zu beschallen, stürmte es die Polizei im Morgengrauen unter Einsatz von Tränengas. Die Besatzer griffen zu Mistgabeln, Farbpistolen und Feuerlöschern. Zelte brannten, Kinder flohen. Die Peace-Party endete im Krieg.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
James Bond
Schluss mit Empfindsamkeit und Selbstzweifeln!
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus