Die Wahrheit: Der zornige Melonenkönig
Es ist einmal: das wahre Märchen von einem, der sein bewusstloses Volk telepathisch revolutionär aus der Knechtschaft führen will.
Inhaltsverzeichnis
Einst kam der Tag, an dem der Melonenkönig endgültig genug von der Knechtung seines Volkes hatte. Seit er und alle seine Ahnen denken konnten, wurden sie immerzu für extrem fiese Experimente in einem Internet-Video-Kanal missbraucht. Er konnte gar nicht mehr zählen, wie viele Cousins und Cousinen, Onkels und Tanten, Schwager und Schwippschwager, Großnichten und Neffen, Angeheiratete und leibliche Nichten, entfernte irgendwie Auchdazugehörende und alle möglichen anderen Familienmitglieder schon zum Opfer bösartiger und sinnloser Versuche geworden waren.
Wie bringt man eine Melone zum Platzen? Wie viel Druck eines Autoreifens hält eine Melone aus? Welche Anzahl von Gummibändern braucht man, um eine Melone zu sprengen? Was passiert, wenn man Mentos und Cola zeitgleich in eine Melone gießt? Wie gehen Tiger im Zoo mit Melonen um? Was passiert, wenn man eine Melone aus dem fünften Stock auf ein Schrott-Auto auf einem Trampolin wirft?
Der Melonenkönig schreckte aus wirren und beängstigenden Träumen auf. Er spürte, dass es an der Zeit war, sein Volk aus der Knechtung zu führen, aber Können vor Lachen und ohne Beine. Das war nämlich das eigentliche Problem: Keine Beine! Hätten er und die Seinen Beine gehabt, wären sie schon alle längst abgehauen und wären nicht immerzu Opfer tumber und gelangweilter Menschen auf einem Internet-Video-Kanal geworden. Aber ohne Beine war es nun mal schwierig.
Der Melonenkönig war jetzt schon mehr als hunderttausend Jahre alt und er erinnerte sich, als wäre es erst gestern gewesen, an die Erschaffung der Welt. Schon damals hatte er zu Gott gesagt, „Gott“, hatte er damals schon gesagt, „Gott, dein Werk ist gut, aber du hast vergessen, uns Melonen Beine zu erschaffen. Ohne Beine sind wir Melonen für ümmer dem Schabernack tumber, gelangweilter Menschen ausgesetzt.“ Aber Gott war gerade dabei, einen Apfelkuchen zu pflanzen, und er achtete nicht der Worte des weisen Melonenkönigs.
Leider kein Puploch
Der weise Melonenkönig hätte sich jetzt gerne geräkelt, aber er hatte ja auch keine Arme, was das Räkeln schwierig gestaltete. Im Innern rumorten seine Kerne. Ach, wie gerne hätte er ein Puploch gehabt, um einmal richtig pupen zu können, aber auch das hatte Gott damals vergessen. Hätte der Melonenkönig einen Kopf gehabt, dann hätte er diesen jetzt unwirsch geschüttelt.
Was war noch mal der Anfangsgedanke? Ach ja, sein Volk aus der Knechtschaft führen. Der Melonenkönig hatte sich nicht ausgesucht, ein Melonenkönig zu sein. Er wäre lieber ein Schäfer gewesen, der friedlich mit zweihundert Schafen, die allesamt alle Beine und Köpfe hätten, auf einer Wiese herumlag. Oder er hätte sich auch vorstellen können, Dozent an einer Pädagogischen Hochschule zu sein. Allein bei dem Gedanken an Putzmittelgeruch, Oberlichtprojektoren, Flipcharts und umgedrehte Stühle erfasste ihn eine Sehnsucht, die ihresgleichen suchte.
Aber er lag nun hier. Als oberste Melone auf einem Melonenhaufen im Supermarkt. Seine Untertanen waren samt und sonders blöd. Er hatte versucht, ihnen telepathisch einen Revolutionsgedanken einzupflanzen, doch das war nicht auf fruchtbaren Boden gefallen. Es war, als ob die Untertanen allesamt kein Bewusstsein hätten. War er denn herrgottnochmal die einzige Melone auf der Welt, die sich etwas mehr vom Leben erhoffte, als auf einem Stapel oder Haufen herumzuliegen? Seine Gedanken schweiften zurück …
Als er noch jung war und in saftiger Erde gedieh, als er gerade erst ein zartes Grün entwickelte und sein frisches Leben ein einziges, glückliches Kichern war, als Frau Kartoffel und Herr Radieschen ihm allerlei Anlass zu jugendfrohem Spott boten und sich die Tomaten vom feindlichen Feld gegenüber immer wieder als Zielscheiben für gedankliche Mutproben erwiesen, als er, der Melonenkönig, sich selbst gekrönt hatte, wohl wissend, dass es niemals eine bessere und stattlichere Melone als ihn geben würde, und als die Welt golden, glitzernd bunt und unbeschwert war, tja, da hatte ihm alles gehört. Sein Blick – er konnte blicken, denn er war der Melonenkönig – schweifte. Dann wurde der Melonenkönig müde, er schlief ein und begann zu träumen:
Tanzende Nelken in elegantem Tanz
Irisierende Musik und tanzende Nelken hüllten ihn in einen bestickten Überzug luftigster Freude. Er hatte Arme, Beine und sogar einen Kopf! Die verwehenden Bilder blassrosiger vorbeifliegender Ballettschuhe, kunstvoller Seidenschleifen und klingender Champagnergläser umschwärmten seine Gedanken. Die zart duftenden Nelken zogen ihn in ihre Mitte und unterwiesen ihn in elegantem Tanz.
Der Melonenkönig wachte auf und schüttelte sich gehörig. Natürlich nur in Gedanken, denn richtig schütteln konnte er sich ja allein nicht. Da passierte das, was sich der Melonenkönig selbst in seinen allerschlimmsten Albträumen nur unzureichend ausgemalt hatte: Er wurde gekauft! Von einer blonden Frau, die eigentlich ganz nett aussah, aber er wusste trotzdem, dass sein Schicksal besiegelt war. Man würde ihn aufbrechen, ausweiden und auffressen. Er wurde erstaunlicherweise recht sanft und behutsam in einen mit weichem Damast ausgekleideten Korb gelegt.
Die anderen Lebensmittel im Korb schienen sich auch recht wohl zu fühlen, der Melonenkönig schnappte immer wieder Wortfetzen auf: „Hach, was haben wir für ein Glück!“, jauchzten die Erbsen, und „Danke Gott, dass die schöne blonde Frau uns gekauft hat!“ jubilierten die Schweinenackensteaks, während die Mohrrüben und Rapunzeln Tränen des vollkommenen Glücks weinten.
Gott der Herr spricht
Der Melonenkönig verhielt sich unterdessen still, denn er wusste nicht recht, wie ihm hier geschah. Erschöpft sank er abermals in einen tiefen Schlaf und Gott, der Herr, erschien ihm und sprach zu ihm: „Höre, Melonenkönig. Hätte ich dir bei der Erschaffung meiner Welt Beine gegeben, dann wärest du hastenichgesehn davon gerannt und wärest niemals in dem weichen Korb der schönen blonden Frau geraten. Danke mir also auf Knien für dein Schicksal. Haha, war nur Spaß!“
Da wachte der Melonenkönig auf und zürnte Gott, wie er Gott noch nie zuvor gezürnt hatte.
Und hier endet die Geschichte des zornigen Melonenkönigs. Schlaft ihr alle recht wohl in dem Wissen, dass Gott der Herr immer am längeren Hebel sitzt. Morgen erzähle ich euch dann die Geschichte, wie Gott der Herr von seinen Eltern auf ein Internat geschickt wurde. Ich habe euch sehr lieb. Morgen gibt es Lasagne. Gute Nacht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr