Die Wahrheit: Der Tag der perfekten Zufälle

Das lebende Bein. Eine Fortsetzungsgeschichte der etwas anderen Art (Teil 1). Heute: Wie alles begann …

Schuhe hinter einem Vorhang

Was mochte es mit diesem geheimnisvollen lebenden Bein auf sich haben? Gehörte es Baxter? Foto: dpa

„Hast du das lebende Bein schon gesehen?“ Hatte er noch nicht. Wovon, verflucht, war hier gerade die Rede? Baxter schüttelte sich und beobachtete seinen Goldfisch, der wie blöd immer gegen das Aquariumglas dengelte.

Aus dem Radio tönte „Perfect Day“ von Lou Grant, und Baxter traten Tränen in die Augen, weil er an einen Tag mit Joane im Delfinarium denken musste. Damals hatten Joane und er Tiere gefüttert und waren danach noch ins Café gegangen. Die wunderschöne, geheimnisvolle Joane, die ihn allein mit einer winzigen Bewegung ihrer wohlgeformten schwarzbehaarten Zehen schon immer fast um den Verstand hatte bringen können. Wie sehr und wie lange hatte er sich vergeblich bemüht, das Bild ihrer atemberaubenden Füße, wie sie neckisch aus den zerrissenen Gummistiefeln herausblinzelten, aus seinem Gedächtnis zu verbannen.

Aber jetzt, 35 Jahre später, stand Joane plötzlich – wie aus dem Nichts – wieder vor ihm und fragte ihn einfach frech heraus: „Hast du das lebende Bein schon gesehen?“

Baxters Gedanken schweiften zurück. Als er damals zum Geheimdienst ging, war er quasi noch ein Knabe. Enttäuscht vom Leben und der Liebe war er entschlossen, den Göttern das Feuer zu rauben, und trat zuerst dem FBI, dann der CIA und dann der GSG9 bei. Doch das alles hatte nicht seine Sehnsucht nach Erkenntnis gestillt.

Pendelnder Zierboxer

Heute verdingte er sich als Zierboxer in einer mobilen Schaubude, die im Sommer immer zwischen Xanten und Trier pendelte und ab Herbst Winterruhe hatte. In der Ruhezeit mussten er und Scott, sein Bruder, Kartoffeln zu Pommes schnitzen, einfrieren und mit irgendwelchen Klebern versehen. Nachmittags trat Baxter als irischer Graf, den ein tragischer Hauch umwitterte, im Kino nebenan auf. Das war sein eigentlicher Brotberuf: Kartenabreißer. In den Pausen musste er sich mit Popcorn und Klopapierrollen bewerfen lassen.

Am schlimmsten an der ganzen Sache war Oma Trude, die mit Argusaugen jede seiner Bewegungen überwachte. Sie hatte wohl noch immer Sorge, dass er, Baxter, wieder Kaffee mit einer Lupe zum Explodieren bringen könnte. Dass hatte er als Kind manchmal getan.

Aber die Zeiten waren vorbei. Dass Joane, nach all der Zeit und nach allem, was sie miteinander durchgemacht hatten, so plötzlich wieder aufgetaucht war, konnte einfach kein Zufall sein. Was mochte es mit diesem geheimnisvollen lebenden Bein wohl auf sich haben? Baxter blätterte in seinem Handy. Da war es: Das lebende Bein! Er schüttelte sich, als er die furchteinflößenden Bilder betrachtete. Es waren verschüttete, schwarzweiße Archivaufnahmen von einem Bein, das ganz ohne Körper durch die Gegend lief.

Innerlich jubelte Baxter auf, doch es war noch viel zu früh, um sich zu freuen. Denn die Bilder entpuppten sich allesamt als manipuliert. Verdammt! Misstrauisch blickte Baxter auf die Flasche Champagner, die er am Vorabend mit Joane alle gemacht hatte. „Verdammter Champagner!“, entfuhr es ihm. Erschreckt schlug er die Hände vor den Mund. Joane durfte auf gar keinen Fall hören, was er gerade gesagt hatte …

Fortsetzung folgt.

Die Wahrheit auf taz.de

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

ist die einzige Satire- und Humorseite einer Tageszeitung weltweit. Sie hat den ©Tom. Und drei Grundsätze.

kari

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.