Die Wahrheit: Sinnestäuschung mit Todesfee
Wenn ein Autor die Rolle der im Text eigentlich vorgesehenen Hauptfigur einnimmt, kann das zu schwierigen Geschäftsverhandlungen führen.
A ls sein Verfasser weiß ich sehr wohl, dass es hier um den vorliegenden Text geht. Er sollte eigentlich von Partizia Ohm handeln, doch sie ist nicht beschreibbar. Weit davon entfernt, mir einen Ersatzprotagonisten leisten zu können, übernehme ich die undankbare Rolle der Hauptperson also selbst. Immerhin bin ich eine beziehungsweise die Sinnestäuschung von Partizia Ohm.
Demzufolge werde ich häufig gefragt: „Sind Sie nicht die Sinnestäuschung von Frau Ohm?“ Meist pflege ich zu antworten, ich wisse von keiner Frau Ohm, sondern sei souverän aus dem dröhnenden Brummen eines minderwertigen Kühlschranks hervorgegangen. Einmal soll ich sogar gesagt haben: „Aus dem dröhnenden Brummen des Kühlschranks habe ich eine Zukunft gewonnen: die Gegenwart.“
Man mag darüber streiten, ob das hierher gehört oder nicht. Nach diesen Präliminarien soll nun der eingangs angekündigte eigentliche Text folgen.
Oft vergaß ich, morgens zur Arbeit zu fahren, obwohl ich am Abend zuvor noch daran gedacht hatte. Nach dem mühsamen Erwachen konnte ich mitunter nicht einmal meinen linken Fuß oder dergleichen finden. Wenn ich dann zu meiner beruflichen Tätigkeit befragt wurde, konnte es geschehen, dass ich angab: „Ich erarbeite ein winziges Holzstück.“ Es war, als schlüge man ein Taschenbuch an der unteren rechten Ecke für ein paar Zentimeter auf, und es würde bloß unbedrucktes Papier sichtbar.
Seit dem Vortag war wieder ein Monat vergangen. Ich kam am Nachmittag in (Ortsname war auf allen Schildern geschwärzt) an, um mit dem Inhaber einer großen Textilmanufaktur einen Liefervertrag über mehrere Partien Polar-Seide abzuschließen. Es hatte stark geschneit, und mein Kraftfahrzeug war das letzte gewesen, das die Wachen auf der Beldrich-Brücke noch in die Stadt gelassen hatten.
Etwa zur gleichen Zeit begannen die Orchesterproben in der städtischen Reithalle. Ich stellte meinen Wagen vor dem neogotischen Rathaus ab und begab mich zu der Textilmanufaktur in der Feuermannstraße. Der Inhaber saß bereits aufrecht an seinem Verhandlungstisch und wartete. Er hat etwas von einer Todesfee, dachte ich.
„War nicht ursprünglich geplant, dass ich mit einer Dame namens Praktizia Ohm verhandeln sollte?“, fragte mich der Inhaber streng. Seine fehlerhafte Aussprache des weiblichen Vornamens kulanterweise überhörend, antwortete ich, dass ich die Sinnestäuschung von Frau Ohm und somit vertrauenswürdig sei. Nach diesen Worten setzte ich mich auf einen Stuhl.
„Es ist eine Schande, wie die Tage vergehen“, sprach der Firmeninhaber missmutig, woraufhin ich bestätigte: „Ja, die Tage vergehen, dass es eine Schande ist.“ Wir einigten uns erstaunlich schnell in allen Punkten des Liefervertrags. Am Rand meiner Vertragsausfertigung notierte ich mit Bleistift: „Erstaunlich schnelle Einigung in allen Punkten.“
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