Die Wahrheit: Bärenporno vom Allerfeinsten
Tagebuch einer Freilichtguckerin: Wie so oft im Leben kommt alles anders, verlässt man das Haus. Und jenseits von Sex, wartet so manche Parallelwelt.
ber viele Jahre war ich eine durch zwölfstündige Sondervorführungen, Dauerfrost bei minus zwanzig Grad und andere Strapazen abgehärtete Berlinale-Besucherin. Alles kann ich souverän ertragen, aber bei einem ziehe ich die Grenze, und das ist Freilichtkino. Mal davon abgesehen, dass zwischen hellen Sommernächten und einer Leinwandprojektion eine gewisse Unverträglichkeit besteht, rangiert es auf der Liste meiner Abneigungen gleich nach verregneten Konzerten, über denen der Duft von Dixie-Klos und grottenschlechter Sound schweben.
Aber dann kommt, wie so oft im Leben, alles anders. Vermutlich aus Entzugsgründen kann ich mir plötzlich nichts Schöneres vorstellen, als mir beim nachgeholten Festival im Liegestuhl vor einer Leinwand fröstelnd Nackenstarre, Rücken und Blasenentzündung zu holen.
Gleich ab der ersten Filmminute wird vom Hof des Schlossparks Charlottenburg der benachbarte Kiez mit Versautem beschallt. Gestöhnt wird auf Rumänisch mit deutschen Untertiteln, denn es handelt sich um den in Bukarest spielenden Bären-Gewinnerfilm „Bad Luck Banging or Loony Porn“, was so viel heißt wie „Pech beim Bumsen oder durchgeknallter Porno“. Der Titel hält gleich am Anfang, was er verspricht, bevor er sich sehr vergnüglich den Konsequenzen für eine beteiligte Lehrerin an dem versehentlich im Internet gelandeten Heimporno widmet.
Mich beschäftigt derweil die Frage, was arglos des Nachts vor unserem herrschaftlichen Schloss promenierenden Rumänen so durch den Kopf geht, wenn ihnen plötzlich in ihrer Landessprache ein „Ja! O jaaa, gib’s mir, ich will alles!“ entgegenschallt. Glauben sie sich zu Hause? Oder in einem heimatlichen Paralleluniversum?
Mit dem Siegeszug von Corona sind ja reichlich Parallelwelten entstanden, eine besonders interessante ist die LucaApp. Zur Zeit trägt eine Freundin das gelbe Trikot für geduldiges Ausharren und längste Aufenthaltsdauer dort, sie verweilte zunächst zwölf Stunden im KaDeWe, steigerte sich an den Folgetagen auf vierzehn Stunden im Café Einstein und schließlich – Rekord! – siebzehn Stunden in unserer Kiezbar.
Wir rätseln noch, wie sie es dabei geschafft hat, halbwegs nüchtern zu bleiben, gleichzeitig ihrem Beruf nachzugehen, die Wohnung nicht verwahrlosen zu lassen und Fußball zu gucken, sind aber relativ sicher, dass LucaApp-Nutzer anders als wir in einer Matrix leben, in der Zeit keine Rolle spielt. Den Film „Matrix“ habe ich schon damals nicht verstanden, fand ihn aber irgendwie cool; ungefähr so geht es mir auch jetzt.
Ich vergeude derweil meine Zeit im Paralleluniversum der Uefa beim Futschiboll, wie der Brasilianer das passenderweise nennt, und warte, wer nach Portugal, Frankreich und Schland als nächstes futschi ist. In meiner Welt heißt der Europameister verdientermaßen endlich Borussia Mönchengladbach mit seiner Parallelmannschaft, der Schweiz.
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