Die Wahrheit: Typisch deutsch
Lebenslänglich Bayer: In der Wahrnehmungsgeschichte der deutschen Stämme nimmt das Völkchen des Freistaats eine besondere Rolle ein. Warum eigentlich?
D ie Bayern sind ein angepasstes Völkchen, das ganz gut in Deutschland aufgehoben ist. Was man ihnen sagt, das machen sie und geben immer wieder denen das Sagen, die es schon immer hatten. Dass gleichzeitig alle Welt glaubt, die Bayern seien ein ganz besonders aufmüpfiges Völkchen, das immer alles etwas anders macht als alle anderen, gehört zu den unerklärlichen Phänomenen. Ebenso phänomenal ist, dass sich die Bayern selbst für so anders halten als andere. Was heißt hier anders? Dieses Mitläufervölkchen hält sich für etwas Besseres. Und jeder soll das sehen.
Die Schrebergärten, in denen eine weiß-blau rautierte Fahne weht oder eines dieser alten Grenzschilder mit dem bayerischen Staatswappen und dem Schriftzug „Freistaat Bayern“ steht, sind nicht zu zählen. Die Botschaft: Vorsicht, Fremder! Das hier ist nicht Deutschland, das ist das revolutionäre, aufmüpfige, abtrünnige, freischärlerische und freistaatliche Bayern. Ein exterritoriales Gebiet, in dem andere Sitten herrschen als anderswo. Die ewige Staatspartei CSU darf sich dankbar schätzen, solche Revolutionäre im Volk zu haben, die gewiss viel machen, aber gewiss keine Revolution.
Der Gipfel der Aufmüpfigkeit ist es da schon, wenn sich ein Bewohner des Freistaats eine dieser fürchterlichen Uhren neben den Herrgottswinkel hängt, auf denen steht: „In Bayern gehen die Uhren anders“, und die dann tatsächlich gegen den Uhrzeigersinn laufen. Im Herrgottswinkel selber findet sich der einzige Langhaarige, der neben Toni Hofreiter in Bayern geduldet wird. Daran, dass er ans Kreuz genagelt ist, stört sich natürlich niemand. Heilfroh sind die Bayern, dass die Auferstehung dieses Hippies bald in eine Himmelfahrt mündet.
Wie die Lämmer sind die Bayern unter dem ach so anderen Märchenkönig Ludwig zwei vor 150 Jahren ins Deutsche Reich marschiert. Ein Korrektiv zur deutschen Großmachtpolitik war das Land, das damals seine Selbstständigkeit aufgegeben hat, als Teil des Reiches nie. Und wenn die paar wackeren Linken, die es in Bayern geben mag, stolz sind auf die Zeit der Revolutionen nach dem Ersten Weltkrieg, so wissen sie auch, dass es nicht alleine die Preußen waren, die sie niedergeschlagen haben, sondern dass die Bayern selber lieber schwarz als rot regiert werden wollten, damit am besten alles irgendwie so bleibt, wie es immer gewesen ist.
Als sich dann Adolf Hitler daranmachte, ein braunes Deutschland zu bauen, um die Welt zu unterwerfen und Millionen Menschen umzubringen, da nahm er, unterstützt von willigen Bayern, seinen Anlauf auf die Macht von München aus. Die Opfer dieser Zeit werden gewiss nicht lachen, wenn sie Scherzartikel wie die anders gehende Uhr sehen. Nichts war je wirklich anders in Bayern. Der Semmelknödel mag einzigartig sein und die Weißwurst sehr speziell. Helles schmeckt anders als Pils. Aber sonst sind Bayern auch nichts anderes als typische Deutsche.
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