Die Wahrheit: Die vier Wirtschaftsmeisen
Turbulenzen auf dem Finanzmarkt? Die einzig sichere Bank bei all den dauernden Betrügereien sind die Checker von Ernst & Young und Konsorten.
Wir alle kennen die Fantastischen Vier oder die vier Jahreszeiten, auch die vier Fälle der deutschen Grammatik sind uns aus der Grundschule entfernt ein Begriff. Nur über die Großen Vier, die Big Four, hat uns die Grundschule nicht informiert. Nicht zu verwechseln ist das Quartett mit den Großen Fünf aus dem Großwildjägerjargon, die da sind Elefant, Nashorn, Büffel, Löwe und Leopard.
Es ist an der großen Zeit, die Big Four ins Visier zu nehmen: die Rindviecher KPMG, Deloitte, PricewaterhouseCoopers (PwC) und Ernst & Young. Gehört hat man die Namen dieser Unternehmensberatungsunternehmen alle schon mal, in der Regel im Zuge irgendeines Skandals. Doch während Politiker hin und wieder noch zurücktreten und Firmenleiter vor Geheimdiensten flüchten, machen die Big Four einfach immer weiter. Kurzum: Diese Unternehmen regieren uns dauerhaft und nicht nur in der Coronakrise.
Sicher, die eigentlichen Entscheidungen treffen sie nicht, haben sie noch nie getroffen. Das machen Merkel, von der Leyen und Kretschmann schon selbst, darauf bestehen sie auch, wären sie sonst doch überflüssig. Aber die mysteriösen Grundlagen, auf denen diese Entscheidungen getroffen werden, die kommen von den Big Four.
Klingt gleich nach düsterem Hinterzimmer, versierter Spindoktorei und tückischer Lobbyarbeit. Daraus besteht der Berateralltag schon auch, aber eben nicht ausschließlich! Dass es auch viel einfacher geht, mit kleinem Aufwand große Kohle zu scheffeln, das weiß man beispielsweise nach Jens Spahns Geschenk an die Apotheken im Wert von gut zwei Milliarden Euro Steuergeld. Die Masken, die die Apotheken auf Geheiß des Gesundheitsministers an Risikogruppenmitglieder verschenken sollten, kosteten im Einkauf mal 60 Cent, mal 1,50 Euro. Vom Bund bekamen die Apotheken aber wohl rund sechs Euro pro Stück überwiesen. Gegenüber der „Tagesschau“ sprach ein Apotheker davon, sich „dumm und dämlich“ verdient zu haben.
Thriller mit Betrügern
Verantwortlich für diese Berechnungen war die zu Rate gezogene Beratungsfirma Ernst & Young, auch bekannt aus dem Thriller „Wirecard“: Zehn Jahre lang hat sie die Zahlen der Münchner Betrügerklitsche weggestempelt. Der Höhepunkt war erreicht, als das Vorstandsmitglied Jan Marsalek bei einer Videokonferenz des Finanzdienstleisters in Ermangelung echter Bankmitarbeiter einfach ein paar Schauspieler engagiert hatte, die den Experten von Ernst & Young erfolgreich was vom Pferd beziehungsweise von erfundenen 1,9 Milliarden Euro erzählten.
Aber wie genau haben diese Wirtschaftsprofis unserem Land respektive unseren Apotheken während der Coronakrise und sonst so mit ihrer überwältigenden Expertise geholfen? Ernst & Young hatte sich halt die Maskenpreise auf Vergleichsportalen wie geizhals.de und Idealo angeschaut. So einfach kann Beratung sein! Fast 40 Millionen Euro soll die Firma allein im Rahmen der Pandemie vom Gesundheitsministerium erhalten. Gute Nachrichten also für alle, die ihren Stromanbieter über Check24 gefunden haben: Auch Sie haben das Zeug zum gutbezahlten Unternehmensberater!
An dieser Stelle eine knappe persönliche Anekdote, denn in Zeiten niedergehender Verlagshäuser erlebt man als Journalist die Arbeit von Unternehmensberatern mitunter hautnah. Einmal belauschte ich einen Berater, der einen Lokalredakteur bei der Arbeit beobachtete, um die redaktionellen Prozesse zu optimieren. „Was tut er jetzt?“, fragte er die beistehende Verlagsleitung. „Der führt ein Interview am Telefon.“ Irgendwann legte der Redakteur auf. „Und jetzt?“ – „Jetzt schreibt er das auf.“ Da nickte der Berater ob der gewaltigen Erkenntnis, notierte irgendwas und ging seiner prozessoptimierenden Wege.
Vergleicht man die Big Four mit den Beatles, so wäre Ernst & Young wohl Ringo Starr: So richtig passt das herummurksende britische Wirtschaftsprüfernetzwerk nicht zu den anderen. Aber es klöppelt einfach immer weiter und hofft, dass niemand etwas merkt. Die Stümper, die heute nur noch unter dem Kürzel EY firmieren, weil die Familien Ernst und Young ihre Namen vermutlich nicht noch weiter durch den Dreck ziehen lassen wollten, haben sich nämlich nicht nur von Jan Marsalek abkochen lassen.
Tricks mit Steuern
Auch die Bilanztricks der Lehman Brothers wurden von ihnen abgesegnet, was später die gesamte Welt in eine Finanzkrise stürzte. Und bei der deutschen Maple Bank, die sich heute selbstverständlich in einem Insolvenzverfahren befindet, weil sie mit Cum-Ex-Geschäften etwa eine halbe Milliarde Euro vom Staat entwendet hatte, die der dann zurückforderte, hatte Ernst & Young die Abschlüsse geprüft und steuerlich beraten.
Auch so eine ulkige Sitte, auf die nur ein Unternehmensberater gekommen sein kann. Die Big Four werden einerseits als Unternehmensberater, andererseits als Unternehmensprüfer bezahlt, gelegentlich von ein und demselben Laden. Als würde ein Trinker in der Kneipe seine eigene Rechnung schreiben und später checken dürfen, ob er sie auch korrekt beglichen hat.
Fazit: Wo immer auf dem Globus Chaos herrscht, da haben die Big Four kurz zuvor versichert, dass alles in Ordnung ist. Man könnte die Kontrolle der Weltwirtschaft ebenso gut Mr. Bean anvertrauen. Klingt unglaubwürdig? Ein 40-Milliarden-Dollar-Umsatz-Unternehmen wie Ernst & Young kann doch nicht so trottelig daherkommen? Einseitige Betrachtung? Keine Sorge, der Text wurde vor der Veröffentlichung nochmal von den Big Four auf Herz und Nieren geprüft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Verkauf von E-Autos
Die Antriebswende braucht mehr Schwung
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Plädoyer im Prozess zu Polizeigewalt
Tödliche Schüsse, geringe Strafforderung
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Warnstreiks bei VW
Der Vorstand ist schuld
Olaf Scholz in der Ukraine
Nicht mit leeren Händen