Die Wahrheit: Kirche für die Arme

Polens Pumper päpstlicher als der Papst. Was ist da los im katholischen Nachbarland? Besuch in einer polnischen Fitnesskirche.

Dicke Muckis für Gott: Bodybuilding auf Polnisch Foto: Reuters

Von außen sieht das Studio Atlantic Sports, die neueste Kirche Krakaus, nicht allzu sakral aus. Was daran liegen kann, dass dieses Gotteshaus vor Kurzem noch ein Fitnessstudio war, bis dann aufgrund des Infektionsgeschehens die Schließung sämtlicher Leibesertüchtigungseinrichtungen verordnet wurde.

Erstaunlich, dass das politische Christentum, wie es derzeit in Polen wütet, so eine blasphemische Dreistigkeit zulässt. Oder ist jede neue Kirche eine gute Kirche für Polens Regierungschef Jarosław Kaczyński, der jüngst dazu aufgerufen hat, die polnischen Kirchen „um jeden Preis“ zu verteidigen? Wie hoch darf dieser Preis sein? Sind 29,99 Euro Mitgliedsgebühr im Monat zu viel?

Kaczyńskis Kirchenschutzappell richtet sich gegen progressive, feministische Demonstrationen, die zu Frauenstreiks aufrufen und gegen die Kirche und vor allem ein Urteil rebellieren, das das Warschauer Verfassungsgericht am 22. Oktober gefällt hat: geltendes Abtreibungsrecht wurde für verfassungswidrig erklärt.

Dabei ist Abtreibung in Polen schon jetzt im Grunde nur legal, wenn das Ungeborene bereits tot ist. Doch Kaczyńskis Pissern von der PiS-Partei reicht das nicht: Sie wollen die Mütter auch dann noch zum Austragen zwingen, sodass die Totgeburten „getauft und beerdigt werden, und sie einen Namen bekommen können“. In der Folge haben nun ultrarechte Gruppierungen eine handgreifliche „Nationalwache“ für Kirchen ins Leben gerufen. Rechtsextreme, die auf Frauen einprügeln, damit sie tote Kinder gebären. So hätte Jesus sich das sicher gewünscht.

Mann mit zwei Kreuzen

Bevor wir also einen Blick in die neue heilige Stätte in Krakau werfen können, die sich in einer Fußgängerzone zwischen einem Bekleidungs- und einem Dekogeschäft befindet, müssen wir erst mal an einer Armada argwöhnisch dreinblickender Kirchenschützernazis vorbei. An der Pforte des St. Studio Atlantic Sports, das sich nun „Kirche des gesunden Körpers“ nennt, begrüßt uns ein hochgewachsener Mann mit zwei breiten Kreuzen, eines davon trägt er um den Hals. „Ich bin Lukasz“, sagt der Hüne. „Ich bin hier der Personal Priester. Ich zeige euch mal die Geräte, äh, die Gebete!“

Der Geistliche führt uns an seine Kanzel, die früher wohl als Erfrischungsbar diente, wo wir zwecks Kontaktnachverfolgung unsere Personendaten eintragen. Danach zeigt er uns eine Auswahl an Proteinriegeln: „Wir bieten nach jedem Gottesdienst den Leib Christi in vielen verschiedenen Geschmacksrichtungen an.“

Weder politisch interessiert noch religiös ist der 33-Jährige, wie er im Gespräch einräumt. Weiß er überhaupt, was gerade abgeht im Land? Sein Trainingsplan lasse ihm wenig Zeit für die täglichen Nachrichten, sagt Lukasz. Was meint er zu den rechtsradikalen Kirchenschützern da draußen? „Kirchenschützer? Schade, ich dachte, die wollen sich alle bei uns anmelden.“ Wie steht er zum Thema Abtreibung? „Der einzige, der über den Körper anderer bestimmen sollte, ist der Trainer! Aber nicht die Kirche! Und schon gar nicht die Regierung!“

Geht es bei der Umwandlung des Fitnessstudios in einen Gottestempel also doch nur darum, die Infektionsschutzvorschriften zu umgehen? „Von wegen!“, schimpft Lukasz: „Ich finde, wir sind viel christlicher als die alten Kirchen, wir sind päpstlicher als der Papst! Das ist doch das Prinzip des Christentums: Die Kirche hilft den Armen!“

Konvertit am Rudergerät

Doch mit billigen Wortspielen lassen wir uns nicht abspeisen. Skeptisch blicken wir auf den dunkelhaarigen Vollbartträger, der in Jogginghose und Tanktop am Rudergerät schwitzt und wie besessen immer wieder sehr laut ausatmet. Lukasz bemerkt unser Misstrauen und klärt auf: „Das ist Bruder Orhan, einer unserer besonders orthodoxen Glaubensanhänger. Er ist sogar extra vom Islam zu uns konvertiert und kasteit sich gerade selbst, weil er eine der schlimmsten Sünden begangen hat: Er hat den Leg-Day geskippt.“ Man setze hier auf innovative Bußmethoden: Liegestütze statt „Ave Maria“ aufsagen, Klimmzüge statt Rosenkranz runterbeten.

Restlos bekehren kann uns der Rundgang durch die Kraftkathedrale aber lange Zeit nicht. Kann man diesen Laden hier wirklich guten Gewissens als Kirche bezeichnen? Im Grunde geht es hier doch noch immer zu wie in einem ganz normalen Fitnessstudio. Was uns am Ende dann doch überzeugt, ist Lukasz’ Bizeps. Und die freundliche Mahnung, bitte ja keinen allzu kritischen Bericht zu schreiben. Man habe dank der Kontaktnachverfolgungsliste ja auch unsere Adresse.

Letztlich würde man dem neuen Gotteshaus in Krakau Unrecht tun, wenn man es nicht als solches akzeptierte. Die Kraftprotze hier drinnen sind nämlich mindestens genauso gute Christen wie die Lappen da draußen: Sie halten sich eisern an sämtliche Gebote, die hier eben „Ernährungsplan“ heißen. Sie legen die heilige Schrift so aus, wie sie ihnen gerade in den Kram passt. Sie sind vor allem auf ihre Außenwirkung bedacht. Und wenn alles nicht hilft, löst man das Problem zu guter Letzt mit Gewalt. Damit steht man nun wirklich in bester Tradition mit der Kirche.

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