Die Wahrheit: Coronaprediger
Neues aus Neuseeland: Zwar gilt Aetearoa als angenehm gottesfernes Land. Aber leider gibt es jede Menge durchgeknallter Frömmler.
D ass wir hier im Süden das Paradies auf Erden haben – vor Corona sicher und von der heiligen Jacinda geführt – hat sich rumgesprochen. Was uns außer einem flugunfähigen Vogel und extensivem Pie-Verzehr ebenfalls einzigartig macht, ist die Ungläubigkeit der Kiwis. 55 Prozent gehören keiner Religion an. Wer das himmlisch findet, sollte lieber wissen, was die restlichen zwei Millionen so treiben.
Für solch ein kleines säkulares Land haben wir erstaunlich viele Hardcore-Christen. Globale Erweckungskirchen von Baptisten bis Mormonen haben florierende Zweigstellen in Aotearoa. Die Zeugen Jehovas konkurrieren mit den Exclusive Brethren, deren erzkonservative Bruderschaft wiederum vom IS-ähnlichen Schrecken der fundamentalistischen Sekte Gloriavale getoppt wird.
Deren 500 Mitglieder leben als real existierende Version von „The Handmaid’s Tale“ auf einer entlegenen Farm an der wilden Westküste. Mädchen werden als Teenager verheiratet und dienen als Gebärmaschinen, sexueller Missbrauch wird vertuscht, Kinder werden geschlagen, Erwachsene als Arbeitssklaven ausgebeutet. Das könnte sich ändern: Erstmals gibt es eine Menschenrechtsklage gegen Gloriavale.
Was sich hoffentlich auch bald ändert, ist die Ignoranz mancher Betschwestern und -brüder. „Bischof“ Brian Tamaki von der Destiny Church, der durch Geldeintreiberei, Gelfrisuren und Homophobie auffällt, ist einer unserer großen klerikalen Coronaskeptiker. Er protestierte gegen den Sicherheitsabstand und hielt nach US-Vorbild Drive-in-Gottesdienste auf einem Parkplatz ab, wo statt „Amen“-Rufen laut gehupt wurde.
Ins Covid-Visier geriet jedoch eine weniger prominente Gemeinschaft: Die Evangelical Fellowship in Mt Roskill – ein Stadtteil, der als der „bible belt“ von Auckland gilt. Als die Großstadt in den zweiten Lockdown musste, war daran vor allem die 332-Mann-starke Vorstadt-Kongregation schuld. Die Mt Roskill Church wuchs sich zum Riesen-Kluster aus: Rund die Hälfte war infiziert.
Da für diese Schäfchen die Bibel mehr zählt als die Virologie – „Wir glauben, dass nur Gott das Sagen hat“ – wurde der Lockdown ignoriert und sich weiter zum Gottesdienst getroffen. Mitte August rückte die Polizei an und sprengte eine Samstagabendandacht. Man fühle sich missverstanden und diskreditiert, beklagte ein Sprecher der Fellowship, aber das sei der Preis, den man in einer unchristlichen Welt zahlen müsse.
Den gleichen Preis zahlt Billy TK, einst Rockmusiker, jetzt Politprediger. Er führt eine neue Verschwörungspartei an und füllt mit abstrusen Behauptungen aus dem QAnon-Katalog die Hallen, denn in zwei Wochen ist Wahl. Auch bei Ökos in der Hippie-Gegend Golden Bay hat er großen Zulauf. Wo einst Atomkraftgegner Landkommunen starteten, wird jetzt gegen die Abtreibungsreform gewettert. Denn Billy TK gehört zur evangelikalen Pfingstbewegung. Gnade uns Gott!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg