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Die WahrheitAlles bläht und bläht

Tagebuch einer Matratzenforscherin: Deutschland liegt gebläht darnieder. Das liegt unter anderem an einem unermüdlichen Müslifabrikanten.

I n Zeiten der Krise, so entnahm ich neulich einem vertrauenswürdigen Nachrichtenorgan, findet die Nation zurück zu klassischen Informationskanälen. Seit ich nun bei „Heute“ oder der „Tagesschau“ meinen abendlichen Crashkurs in Virologie belege, bin ich ganz nebenbei auch wieder auf dem neuesten Stand der Werbung zur besten Sendezeit. Nach nun monatelangem Studium aller Spots gewinne ich folgende Erkenntnis: Deutschland liegt gebläht auf der Matratze, und das kommt so:

Jahrzehntelang wucherte die nationale Darmflora ungestört, man hatte halt Rücken oder Hüfte, aber dann, so geht meine Theorie, kam ein Mann aus Schwaben, der jedem, aber auch jedem, ob er es hören will oder nicht, den Namen eines nach ihm benannten Müsliprodukts ins Ohr brüllt. Die einfache Botschaft lautet „Ssaiiitenbachr!!“, und zwar so lange, bis der erschöpfte Konsument jeden Widerstand aufgibt und sich mit Trockenfutter vollstopft. Als Folge von Ssaiiitenbachrs Siegeszug bekam Deutschland Blähungen.

Zur Abhilfe griff das gequälte Volk massenhaft zur Lektüre des Bestsellers „Darm mit Charme“, um sein sensibelstes Organ besser kennenzulernen. Inzwischen scheinen diesem die Darmversteher auf die Nerven zu gehen, es möchte lieber gemütlich Ballast vor sich herschieben und reagiert gereizt. Doch Rettung naht!

Nervtötend niedliche Kinder erklären zur besten Sendezeit, dass Papa – kicher, kicher – immer gepupst hat, aber jetzt schluckt er „Kijimea Reizdarm“, und zwar „Pro!“, und alles, alles ist „wie weg“. Wieso Pro und nicht Contra bleibt im Dunkel, dazu vollführen Vater und Tochter recht unmotiviert arg steife Hüftschwünge, und nach dem dritten Mal wünscht man sich, auch die beiden seien nicht nur „wie“, sondern ganz weg. Stattdessen wird die Werbeterrortruppe ständig erweitert, sogar – „Wisset Sie, was mir g’holfe het?“ – mit Mundart! Ich wette Ssaiitenbachr ist der heimliche Sponsor von Kijimea.

So weit Silber und Bronze meiner Top-Drei-Hass-Spots. Ganz oben aufs Treppchen kommen die zwei Langweiler vom Typ „junge Familienväter“, die selbstzufrieden auf Matratzen rumlungern, als trieben sie lässig auf einem Pool. „Ich­abmirneneuemadrazzegegauft“ quengelt einer dem anderen penetrant vor, worauf sich herausstellt, dass jener andere des nachts in eine noch tollere und vor allem billigere Unterlage flatuliert. Quelle horreur! Bitte, lieber Deutscher Werberat, mach, dass der Neidbolzen vor Gram über seine gar nicht mehr so tolle Neuerwerbung sofort Reizdarm kriegt und wie Michel Piccoli in „Das große Fressen“ dem Aufruhr seiner Gedärme erliegt

„Voulez vous coucher avec moi, ce soir?“ sangen einst „Labelle“, ihr Titel handelte von einer Dame des Gewerbes aus New Orleans, die „Itchi Kiji ya ya da da“ schnurrend schon 1974 mit seherischem Blick aufs anal fixierte Deutschland von 2020 ihre Kunden anlockte: „Kommt auf meine Matratze und scheißt auf Kijimea!“

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Pia Frankenberg
Lebt und arbeitet als Filmregisseurin, Drehbuch- und Romanautorin in Berlin. Schreibt in ihren Kolumnen über alles, was sie anregt, aufregt oder amüsiert
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7 Kommentare

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  • Worte eines durchfallkranken Stellungslosen in einen Waschkübel gesprochen

    Bloß weil ich nicht aus Preußen gebürtig.



    Wo hab’ ich nur den Impfschein verloren?



    Das lange Warten auf den Korridoren,



    Das ist so un-, so unwürdig.

    Wären wenigstens meine Haare geschoren.

    Und den Durchfall habe ich auch.



    Das geht mitten im Gespräch plötzlich eiskalt aus dem Bauch.

    Als mich Miß Hedwin erkannte und rief,



    Die hab’ ich vor Jahren, in Genf, einmal – versetzt.

    Nun sind meine Absätze schief.

    Und sie trug ein Reitkleid und fütterte Kücken.



    Aber ich darf mich nicht bücken.



    Denn meine – ach mein ganzes Herz ist zerfetzt.

    Ob ich gespeist habe?

    Ob mir die Hecke gefiele?

    Ja ich habe – gespeist. – (In Genf!



    Und zuletzt, vor drei Tagen, Semmel mit Senf)



    Und mich können alle Hecken



    Am Asche –.

    Vergessen sei Genf, vergessen die ganze Schweiz!

    Dürfte ich nur noch einmal in Seifhennersdorf oder Zeitz



    Steine klopfen.



    Ach! – ich möchte jenem verdammten



    Stellenvermittlungsbeamten

    Siebzehn Legitimationspapiere meines Großvaters mütterlicherseits

    In den Rachen stopfen!

    Auch hat mich vorübergehend durchzuckt:



    Ich wollte sterben nach einer grellen Raketentat.



    Ich habe Lysol und einen Drillbohrer verschluckt.

    Ich sandte ein Kuvert an den Hamburger Senat;

    In das Kuvert hatte ich kräftig gespuckt.

    Aber niemand glaubt an den Dreck.



    Nun ist meine Seife weg;



    Irgend jemand stöbert in meinen Taschen. –

    Ich kann mir doch nicht

    Das Gesicht



    Mit einem Bouillonwürfel waschen.

    Nun warte ich auf gigantisches Weltgeschehn.



    Wenn’s mich – zusammen mit den andern – zerfleischt,

    Wenn das Sterben der anderen, Glücklichen mich umkreischt,

    – Dann –



    Dann will ich mir eine Zigarette drehn!

    J.R.

    • @Ringelnatz1:

      Fein - & ich aber dachte: “Mehr könnte große Teile der Bevölkerung verunsichern“ - 👻 -

      • @Lowandorder:

        Joah, kam mir auch flüchtig der Gedanke als ich das so vor mir sah... Watt solls!

  • Amen!!!!!



    Werbung ist und bleibt das Hinterletzte an zwischenmenschlicher Niedertracht!



    ich glaube, eine der schlimmsten Methoden einen Menschen richtig und nachhaltig zu foltern, ist ihn mit lauten Geräuschen und schrecklicher Musik unentrinnbar in den Raum zwischen seinen Ohren einzusperren! Man kann zwar die Augen verschließen, aber niemals die Ohren! Werber wissen das, und darum sind gerade Radiowerbespots so penetrant dümmlich jenseits aller Schmerzgrenzen!

  • Darauf einen Pups!

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Liggers. Let‘s trump a gähn! - 💨 💨 💨 -