Die Wahrheit: Archipel Gulasch
Insgeheim hat das Regime auf der Insel Helgoland ein Umerziehungslager für widerständige Veganer wie Xavier Naidoo errichtet.
Als Erstes traf es die prominenten Vollveganer. Die mit Samuraischwert und Mikrofon für die gute Sache gekämpft hatten. Schon die Verhaftung sollte im ausgeklügelten System der Erniedrigungen eine einschneidende Erfahrung bieten, das Regime liebte grausame Scherze: So wurde der bekannte Youtuber Ken Jebsen in eine Ente gezerrt; den allseits verehrten Koch Attila Hildmann zogen die Schergen in einen VW Käfer; am schlimmsten aber traf es den berühmten Sänger Xavier Naidoo, der mit einem Ford Mustang rasend schnell weggefahren wurde. Um ihn herum saßen die schweigenden Schergen in ihrem tierischen Fahrzeug und kauten genüsslich an Currywürsten! Mit Darm! Zum Frühstück! Ein wurstiger Wink, was auf die bedauernswerten Opfer des zu jeder Art von Demütigung bereiten Regimes noch zukommen würde.
Seit einigen Jahren bereits hatte die illegitime Regierung an ihren perfiden Plänen gefeilt. Die abgelegene Insel Helgoland würde zum Archipel Gulasch werden, zum Bagno der Veganer. Wie ein Geschenk des Himmels kam daher für das Regime die dankbar aufgenommene vage Bedrohung durch Corona. Als die bekennenden Veganer gegen die Bedrückungen der Tyrannei protestierten, wurden sie mundtot gemacht und weggebracht – zunächst in den Sammelhafen von Cuxhaven, wo sie die Wiederauflage der legendären Butterfahrten erlebten, und zwar wortwörtlich: Während der Überfahrt nach Helgoland erhielten die Hungrigen an Bord mit Butter fingerbreit beschmierte Bemmen, aus denen bei jedem Bissen links und rechts frisch gepulte Krabben in einer eidick triefenden Remoulade hervorquollen, so dass die bedauernswerten Tierfreunde abgrundtief beschämt sein mussten, wenn ihnen angesichts der schmatzenden Kost unwillkürlich das Wasser im Munde zusammenlief.
Nach der Ankunft im James-Krüss-Hafen von Helgoland wurden die „Gäste“, wie die Neuankömmlinge von nun an nur noch höhnisch genannt wurden, auf die Zellentrakte verteilt. Die erwiesen sich allerdings als großzügig geschnittene Gourmettempel, die nur einer arglistigen Ideologie dienten: Gehirnwäsche! In den nächsten Wochen würde den Eingekerkerten mit einem einseitigen Fleischspeiseplan fast ausschließlich Tierisches eingelöffelt. Besonders gemein war dabei, dass für den kleinen Hunger zwischendurch überall Schälchen mit verführerischen Schweineschwartenchips standen, die neben den drei Mahlzeiten am Tag eine speckfette Überversorgung der Verbannten sicherten.
Mittags wurden den tapferen Heroen die Instrumente gezeigt. Bei der modernen Folter brauchte es zur Wahrheitsfindung keine mittelalterlich pittoresken Mittel wie den Schwedentrunk oder die Darmhaspel. Stattdessen reichten die brutalen Foltermeister ihren „Gästen“ ein üppiges Fünf-Gänge-Menü, das Weine wie das Erlauer Stierblut oder der Kreuznacher Krötenpfuhl gluckernd begleiteten.
Blutwurst als Zwischenmahlzeit
Die tägliche Marter bestand zum Beispiel aus Pâté de foie gras als Vorspeise, geräuchertem Aal mit Blutwurst als Zwischenmahlzeit, Irish Stew als Hauptgang und einem Sahnewindbeutel gefüllt mit Stilton Cheese als Abschluss der grausamen Genussreise durch die unterentwickelten Sinne. Wer danach nicht geplatzt war, gestand einfach alles. Dabei war auf der Speisekarte des Grauens das abendliche Rindergulasch noch nicht einmal verzeichnet. Die nächtlichen Fleischfürze in den Zellen kochten jeden Veganer endgültig weich.
Für schwierige Fälle wie Xavier Naidoo war der Weg bis zur verlangten Läuterung kein leichter. Um einen hochgebildeten Missionar wie den Sohn Mannheims zu brechen, musste eine außerordentlich unbarmherzige Methode angewendet werden – die „Helgoländer Lösung“. Naidoo sollte endlich wieder lernen, dick, gemütlich und müde zu werden, statt immer zwanghaft wach und fit zu sein, stets auf dem Sprung, die Weltverschwörung zu entlarven.
Ausbruchsversuch in den Gemüsegarten
Den Knechten des Regimes war klar, Naidoo ließ sich nur mit körperlicher Fleischeslust brechen, die sich der heldenhafte Kostverächter seit Jahren versagte, um lieber mutig unter Tränen von globalen Geheimbünden zu singen. Jetzt sollten ihn im Sexualspiel bewanderte Damen willenlos machen, auch wenn sein Widerstand gegen den Umerziehungsunterricht erheblich war. Er wollte partout nicht vögeln oder mauseln, da den Tieren auf diese Weise unendliches Leid widerfahren würde, wie er tränenreich beteuerte. Selbst ein Ausbruchsversuch, bei dem Naidoo nachts heimlich in den Gemüsegarten flüchtete, um rohe Zwiebeln zu vertilgen, damit ihm und seinem teuflischem Atem niemand mehr nahe käme, konnte nicht verhindern, dass er sich schließlich auf- und in sein Schicksal ergab.
Eines Tages aber würde es so weit sein. Trotz der barbarischen Methoden des Regimes würden die geläuterten Helden ihrer Entlassung entgegensehen. Die Tore des Umerziehungslagers Helgoland würden sich auch für Jebsen, Hildmann und Naidoo öffnen. Ken Jebsen hätte derweil einen alten Traum verwirklicht und in der Haft ein Buch geschrieben: „Mein Kampf mit den Pfunden“. Attila Hildmann wären die verkümmerten hunnischen Geschmacksknospen aufgeblüht. Und Xavier Naidoo würde endlich wieder singen – so viel wertvolles Volksliedgut wartete auf ihn: „Schwarzbraun ist die Haselnuss …“
Innerlich nie gebrochen, würden sich alle drei nur zum Schein resozialisiert geben und, wie gefordert, als integraler Bestandteil des gesellschaftlichen Metteinanders auftreten, während sie in Wahrheit insgeheim planten, den Untergrundkampf gestählt wieder aufzunehmen. Und so hätte sich durch die eiweißreiche Verpflegung im Guantanamo der Rohköstler doch noch eine bis dahin unbekannte, geheimnisvolle Macht auf die Matadore des Veganismus übertragen: die Kraft der Tiere. Die einstigen Kämpen gegen das rohe Fleisch hätten sich verändert, plötzlich würden sie die mythische Stärke des Fleisches über alles lieben. Damit hätte das Umerziehungslager Helgoland am Ende seinen düsteren Zweck gründlich erfüllt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen