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Die WahrheitScooterman erlebt ein Abenteuer

Kolumne
von Knud Kohr

Die Geschichte eines Tages im Rollstuhl kann man auch als Abfolge sich ständig steigernder Heldentaten erzählen. Oder etwa nicht?

V erehrte Damen und Herren, ich hoffe, dass es Ihnen gut geht. Ihrem Scooterman geht es nämlich geradezu grundlos gut. Als Mann mittleren Alters, der immer noch an einer unheilbaren Multiplen Sklerose mit progredientem Verlauf ohne klar voneinander absetzbaren Schüben leidet, könnte er sich genauso gut mit arg mürrischem Gesicht und übereinandergeschlagenen Beinen auf seinen Balkon setzen, um der untergehenden Sonne schlechtgelaunte, wenn nicht gar biestige Antworten auf ungestellte Fragen zu geben. Tut er aber nicht.

Denn eigentlich ließe sich die Geschichte seines Tages auch als Abfolge sich ständig steigernder Heldentaten erzählen. Ist der eine oder die andere von Ihnen geradezu neugierig geworden? Fragt man sich vielleicht sogar: „Was ist ihm denn widerfahren, unserem Scooterman? Also, allmählich würde ich das doch schon gern wissen. Na ja, wird schon nichts Tolles gewesen sein. Püh.“

Wissen Sie was, meine Damen und Herren, bevor Ihr Scooterman sich jetzt am helllichten Tag anpühen lässt, rollt er lieber an die Straße, zehn Meter unter seinem Fenster, die sich gerade auf den mäßig starken Feierabendverkehr vorzubereiten scheint. So jedenfalls dachte er vor etwa einer Stunde. Und bemerkte dabei, dass er auf dem Weg dahin am besten einen Zwischenstopp einlegen sollte. Und zwar besser gleich als nach seinem Ausflug an die Straße.

Meine Damen und Herren, hat jemand von Ihnen schon einmal im Rollstuhl die Toilette besucht? Glauben Sie mir, das blöde Schicksal lässt es sich nicht nehmen, gerade dann ein Hindernis nach dem anderen aufzustellen. Gut, eigentlich ist die Wohnung barrierefrei, und um diesen Zustand nachträglich einbauen zu lassen, ist der eine oder andere Hunderter aus dem schmalen Privatvermögen des Scooterman zum Einsatz gekommen.

In der Toilette aber muss der Scooterman feststellen, dass er ein Handtuch und einen Waschlappen braucht. Deswegen muss er zunächst eine Tür zu sich heranziehen. Natürlich fallen ihm dabei sowohl das Handtuch als auch einer der Waschlappen zu Boden, die er zuvor mühsam aus seinem Regal hervorgekramt hat. Und natürlich auch ein Briefumschlag, der mit der Post kam und es sich nicht nehmen lässt, glatt und ein wenig feucht auf dem Boden zu liegen.

Machen Sie sich nichts vor, meine Damen und Herren – einen Briefumschlag von einem feuchten, gekachelten Boden aufzuheben, gehört zu den anspruchsvollsten Abenteuern, die ein Leben als Schwerbehinderter zu bieten hat. Ihr Scooterman löste es so: Er rollte neben den Umschlag. Beugte sich dann weit nach rechts heraus, bis er die Post mit dem Mittelfinger erreichte. Zog sie dann zu sich heran, bis er den Umschlag unter dem rechten Rad seines Rollstuhls verkanten konnte. Dann zog er ihn zu sich heran. Damit war der erste Teil des Abenteuers geschafft. Wie es weiterging, erzählt Ihr Scooterman Ihnen nächstes Mal. Vielleicht.

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