Die Wahrheit: Die Büchsenöffner der Pandora
In Interviews geben Stars bereitwillig Antworten auf sämtliche Menschheitsfragen. Warum bloß hört ihnen niemand nirgendwo zu?
Laut einem Gespräch mit der Welt würde Moritz Bleibtreu, 47, Schauspieler, gern das Internet abschaffen. Gar zu viel reale Gewalt sei dort zu sehen. Was er nicht weiß: Die Gewalt würde mit dem Abschalten des Internets wohl kaum verschwinden, da es sich ja eben gerade um reale Gewalt handelt. Doch für ihn ist das Internet „die größte Büchse der Pandora, die die Menschheit bisher geöffnet hat“.
Bezaubernd ist sein Bild von zahlreichen Büchsen der Pandora, die wie die Vorräte eines irren Preppers nebeneinander im Kellerregal zur angelegentlichen Öffnung bereitstehen. Zumindest originell auch die Idee, dass auf der größten Dose „Internet“ steht. Und nicht Erasco oder Religion, Feuerwaffen oder Giftgas, Hiphop oder Kapitalismus.
Nun, wen interessiert das, könnte man jetzt denken, und zur Tagesordnung übergehen. Denn Bleibtreu ist nun mal kein Soziologe oder Internetexperte, sondern Schauspieler und zu keinem anderen Thema sollte er sich von jetzt an bitte jemals wieder äußern.
Aber das ist zu kurz gedacht. Es ist doch im Gegenteil wundervoll, wenn sich unsere Stars Gedanken machen. So ist die Schauspielerin Veronica Ferres, 57, dafür, die Eisenbahn abzuschaffen, und weiß dafür auch starke Argumente auf ihrer Seite, die sie der Südelbischen Zeitung im Rahmen einer Homestory offenlegt: „Neulich hat doch mal so ein Zug gebrannt. Was ist denn, wenn das wieder passiert? Außerdem kann man mit dem Auto immer bis direkt vor die Haustür fahren, wo man doch schließlich hinwill – das geht mit der Eisenbahn ja sowas von gar nicht. Da bin ich dann am Ende immer bloß an irgendeinem Bahnhof. Was soll ich denn da?“
Bundestrainer Löw: Schluss mit dem Müll
Jogi Löw, 67, Bundestrainer, setzt sich wiederum dafür ein, die Müllabfuhr zu beseitigen: „Die ist laut und stinkt. Einmal in der Woche werde ich von denen frühmorgens aus dem Schlaf gerissen. Und ich weiß aus gesicherter Quelle, dass es ganz vielen so geht, die deshalb auch meiner Meinung sein dürften.“ Damit würden, so der Übungsleiter weiter zu der ihn porträtierenden Yps Sport und Verkehr, auch gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen: „Die Leute würden in Zukunft viel mehr darauf achten, die Entstehung von Müll von vornherein zu vermeiden. Das wird sich mittelfristig auch positiv auf das Weltklima auswirken. Und alle könnten länger schlafen.“
In dieselbe Kerbe schlägt Matthias Schweighöfer, 77, auf der Wirtschaftsseite der Nationalzeitung. Der Schauspieler würde „sofort die Zeit abschaffen. Die ist nämlich schuld an vielen Stresssymptomen, an denen unsere Gesellschaft leidet. Unser aller Leben wäre dadurch viel gechillter, denn wenn keiner Zeit hat, haben alle Zeit. Ganz nebenbei hätte sich damit auch der hässliche Streit um Sommer- oder Winterzeit erübrigt.“
Noch weiter denkt bereits Roberto Blanco, 87, Sänger, im Gespräch mit dem Rolling Stone, der den Barden anlässlich seines Nachrufs besuchte: „Ich würde auf der Stelle überall den Strom abstellen. Und Gas. Und Wasser. Damit wäre jeder Form von Energieverschwendung nachdrücklich der Riegel vorgeschoben. Wenn ich durch die Straßen gehe, sehe ich in allen Häusern Licht und höre Musik. Die Menschen duschen, heizen und kochen. Das muss nicht sein, das kann man auch völlig anders handhaben.“
Mimin Uschi Glas: Bye, bye Demokratie
Ebenfalls Gedanken macht sich Uschi Glas, 97, für die neue Lena Wohnen Hygge. Die Schauspielerin fände es gut, wenn die Demokratie abgeschafft würde. „Was das den Steuerzahler alles kostet: Wahlen, Parteien, Ämter, Diäten. Dazu dieses unwürdige Schauspiel der Parlamentsdebatten – ich muss meinen Urenkeln vor dem Fernseher jedes Mal die Augen zuhalten. Wenn nur einer der Bestimmer wäre, wäre das doch viel besser. Auf diese Weise könnten selbst noch so unpopuläre Entscheidungen viel schneller und ohne großes Tamtam getroffen werden. Das hilft dann auch direkt dem Bürger. Der weiß fortan immer genau, woran er ist.“
Nicht immer nur meckern auf unsere Reichen und Prominenten, möchte man angesichts all dieser formidablen Vorschläge und Visionen fordern, sondern selbst mal denken und mit anpacken. Denn nicht nur, dass sie auf ihrem jeweiligen Gebiet Großartiges leisten, geben uns diese Helden darüber hinaus auch noch mittels ihrer Gedanken Kraft und Mut sowie Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Da ist unser Neid einfach völlig fehl am Platze.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin