Die Wahrheit: Deutschland, einig Opferland
Alle leiden, werden gedemütigt und an den Rand gedrängt. Der weinerlich-aggressive Opfertonfall ist der Sound unserer Zeit.
Sie leiden, sie werden gedemütigt, sie werden an den Rand gedrängt. Die Mehrheitsgesellschaft möchte nichts mit ihnen zu tun haben oder übersieht sie gleich ganz: Opfer. Höchste Zeit also, denen wieder eine Stimme zu geben, die nicht mehr für sich selbst sprechen können.
Dabei ist es gar nicht so leicht, jemanden zu finden, der es wagt, sich zu zeigen. Zu groß ist die Scham über die Stigmatisierung, die Sorge vor neuen Verletzungen. Daher wenden wir uns zuerst an eine Opfer-Selbsthilfegruppe, deren Mitglieder versuchen, gemeinsam mit der Schande zu leben. Ein erster Ortstermin führt zum FC Bayern München. „Wir sind nicht mehr die stärkste Mannschaft in Deutschland“, gesteht man uns dort unter Tränen, und tatsächlich: Zweimal in jüngster Zeit mussten die Fußballer mit einem demütigenden Unentschieden nach Hause gehen, in der Bundesliga steht man nur noch auf einem jämmerlichen zweiten Platz, ihre Gegner verhöhnen sie öffentlich: „Die Bayern sind auch nur Menschen“ (Karim Rekik von Hertha).
Auch bei am Boden liegenden Opfern wird gern nachgetreten. Doch der Fisch leidet vom Kopf her: Schon Bayern-Präsident Uli Hoeneß ist schlimmes Unrecht widerfahren, weil er seine vom Munde abgesparten Notgroschen nicht ganz pünktlich bei der Steuer gemeldet hatte. „Ich bin der einzige Deutsche, der Selbstanzeige gemacht hat und trotzdem im Gefängnis war. Ein Freispruch wäre völlig normal gewesen. Aber in diesem Spiel habe ich klar gegen die Medien verloren“, klagte er noch kürzlich. Kein Einzelfall, leider.
Wieder die Stimme eines Opfers zum Schweigen gebracht
Klar gegen die Medien verloren hat auch Publizist Henryk M. Broder. Seit Jahren wird seine Minderheitenmeinung marginalisiert, wie die so vieler kritischer Stimmen. Ganz egal, wozu er sich äußert, dauernd werden ihm Leute mit anderer Meinung vor die Nase gesetzt. Oft sogar solche, die sich mit dem Thema auskennen! Es ist so demütigend. Seine Positionen fänden beim Mainstream kein Gehör, beklagte Broder sich im Spiegel, in der Bild, bei der ARD, in Fisch & Fang und der Deutschen Briefmarken-Revue, bevor sie ihn schließlich hinter der Bezahlschranke von Welt-online weggesperrt haben. Und wieder wurde die Stimme eines Opfers zum Schweigen gebracht.
Noch schlimmer erging es Günter Grass. Kaum wagte er es, unbequem zu werden und Israel zu kritisieren, was hierzulande bekanntlich streng verboten ist und nie geschieht, wurde er „mundtot“ gemacht, wie er selbst in jede Fernsehkamera klagte. Anschließend wurde er wie so viele deutsche Opfer in die Waffen-SS gesteckt und starb vor Gram, weil er das Mobbing nicht mehr ertragen konnte, in der Blüte seiner Jahre mit nur 87 Jahren.
Aber lassen wir uns von den wenigen prominenten Fällen nicht den Blick verstellen auf das wahre Ausmaß des Problems, denn wir finden es quer durch alle Schichten und politische Lager. Jeder kann zum Opfer werden! Die Rechten sowieso: Sie werden totgeschwiegen von den Medien, es gab sogar mehrere Talkshows im vergangenen Jahr (möglicherweise mehr als zehn!), in denen sie nicht vertreten waren, und wird doch einmal über sie berichtet, dann immer nur, wenn sie mal einen Meineid abgeben, wegen Hooligan-Angriffen verurteilt werden oder mit der Maus verrutschen.
Verleumdet, verarmt, verspottet
Bei den Linken genauso: Sie werden totgeschwiegen von den Medien, es gab sogar mehrere Talkshows im vergangenen Jahr, in denen sie nicht vertreten waren (möglicherweise mehr als zwölf!), und dann kommen noch all diese Menschen aus irgendwelchen Südländern und rauben ihrer ohnehin am Hungertuch nagenden Klientel die letzten Pfründen.
Symptomatisch: Sahra Wagenknecht, das deutsche Opfer schlechthin. Von der rechten Hetzpresse verleumdet (taz!), in ärmlichen Verhältnissen lebend (Saarland!), verspottet, obwohl sie sich ehrenamtlich vollständig der Altenpflege verschrieben hat (Lafontaine!), gedisst von der eigenen Parteispitze …
So könnte man endlos weitermachen – überall kann man die Klagen hören, wenn man die Ohren nicht absichtlich verschließt: ehrbare Westdeutsche in Einfamilienhäusern, die nicht mehr wollen als einen bescheidenen Zweitwagen neben dem SUV und zwei bis drei Urlaube im Jahr („Wir leben von der Hand in den Mund“); Ostdeutsche in grundsanierten Städtchen, die im Fernsehen dunkelhäutige Menschen im eigenen Land sehen müssen („Erst haben sie uns die DDR genommen, dann die Frauen und jetzt auch noch unser Deutschland!“); junge Eltern, die wegen des ganzen Stress schon mehrfach ihren Yoga-Kurs verpasst haben („Kinder gelten ja nichts mehr in diesem Land!“); vor allem aber: ganz normale Deutsche, die am Ende immer die Zeche bezahlen müssen, weil die da oben ja doch machen, was sie wollen, wogegen man aber nichts machen kann, denn wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie ja längst verboten.
Und dann kommen die anderen
Und dann kommen auch noch ganz frech irgendwelche Jammerlappen daher und spielen sich selbst als Opfer auf. Frauen etwa, die unter diesem neumodischen Kritzelzeichen darüber wehklagen, dass ihnen mal Komplimente gemacht worden sind oder dass Mann ihnen freundschaftlich an die Pussy gefasst hat, als wäre das nicht blanke Anerkennung, also genau das, was ihm, dem deutschen Opfermann, immer verwehrt blieb.
Muslime, die einfach so hier leben dürfen und sich dann beschweren, dass sie dauernd von der Polizei kontrolliert werden, mit ihren ja ohnehin völlig unverständlichen Namen keine Wohnung bekommen und gelegentlich wegen ihrer Hautfarbe erschlagen werden – was sollen da erst die Opferdeutschen sagen?
Die deutschen Opfer verzichten
Haben diese Islamer noch nie davon gehört, wie wir auf Mallorca diskriminiert werden? Oder Juden, die uns permanent diese paar Jahre vor ewiger Zeit vorhalten, nur damit wir immer schön weiterbezahlen, und das, obwohl die doch sowieso überall die Fäden ziehen, sich selbst gegenüber den Palästinensern genauso verhalten und auch nicht fragen, wie es uns damit geht, dass wir diese Kriege verloren haben, in die wir gegen unseren ausdrücklichen Willen hineingezogen worden sind! Kein Wunder also, dass die deutschen Opfer da ausgesprochen empfindlich reagieren und demütig darauf verzichten, ihr Elend in die Welt zu twittern unter: #wetoo.
So sitzen sie übellaunig an den Stammtischen ihrer Wirtshäuser und Tafeln ihrer Familienfeiern und grummeln ihr Leid bei fünf, sechs Schnäpsen vor sich hin. Und dann kommt auch noch die Oma daher und sagt: „Nun hört doch mal auf mit dem Gejammer, uns geht’s doch gut!“ Da schauen sie dann verständnislos und schütteln still leidend den Kopf. Was weiß die Alte denn schon von ihren Sorgen und Nöten. Aber dazu dürfen sie mal wieder nichts sagen. Nicht mehr. Heutzutage. In. Diesem. Land. In diesem Deutschland, einig Opferland.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin