Die Wahrheit: Frostrierende Kälte

Warum steht bei Putin ein Nackt-Lamm rum und was hat das mit der Erderwärmung zu tun? Ein Blick ins ferne Confed-Russland.

Illustration: Kittihawk

Geben wir es ruhig zu: Auch wir hatten Vorurteile. Bevor wir nach Russland gereist sind, haben wir unsere Angelegenheiten geregelt. Unsere Vorfreude auf das baldige Fußballereignis Confed Cup war zeitweilig überschattet vom abwegigen Gerücht, dass Spieler während des Spiels als „Agenten einer ausländischen Macht“ verhaftet werden könnten.

Russische Behörden haben uns gegenüber aber beteuert, die Miliz habe die klare Anweisung, das Spielfeld während der Spiele nur im Notfall zu betreten. Gefährliche Gegner würden selbstverständlich vor dem Spiel und diskret eliminiert. Russische Nationalgerichte wie Krimtatar mit Silberzwiebeln und Stahlnägeln oder Szegediner Gulag seien schließlich schon manchem nicht so gut bekommen. Und die berüchtigten Standgerichte erst recht nicht.

Trotz unserer Angst: Wir reisen mit einer Mission nach Russland. Wir wollen dem ungeheuren Verdacht nachgehen, Russland habe sich in die US-Politik eingemischt. Und wir haben einen exklusiven Tipp bekommen. Die Spur führt in das eigentliche Russland: hinter den Ural, nach Sibirien.

Ein Land ruft

Am Anfang jedoch steht auch für uns der Pflichtbesuch auf dem Roten Platz. Wir bestaunen das Riesenterrarium, das nach dem Führer der Oktoberrevolution von 1917 benannt ist und vor dem die Mäusefans Schlange stehen. Und wir betrachten mit leisem Schaudern den „Rust Belt“. So nennen die Moskowiter spöttisch die lange Reifenspur des Kremlfliegers von 1987, die als stetige Mahnung an die Luftabwehr täglich nachgezogen wird.

Jetzt aber auf nach Osten! Sibirien ruft! Mit der Tram geht es bis zur Station Jekaterinburg. Danach sorgen die charakteristischen verwinkelten Gässchen des östlichen Russland dafür, dass man am besten zu Fuß unterwegs ist. Und mit zwei Paar Socken. Denn es ist merklich kälter als im europäischen Teil. Und das hat Folgen.

Wir treffen den Bürgermeister einer Gemeinde gleich hinten am Eismeer. Er möchte unerkannt bleiben, hat jedoch etwa zwanzig Freunde zu unserem Treffen eingeladen, von denen auffällig viele auch abends und drinnen die Sonnenbrille aufbehalten. Wir stellen verblüfft fest, dass die echten Russen vollkommen anders sind, als das westliche Klischee es will.

Fast alle Sibirier waren auf der Waldorfschule, und die meisten malen in ihrer Freizeit Aquarelle und beherrschen mindestens eine Fremdsprache. (Bei 80 Prozent ist dies Melancholisch, ein portugiesischer Dialekt.) Wodka verwenden sie allenfalls zum Einreiben – wenn die Nerven mal wieder verrückt spielen. Die überfeinerten Künstlertypen, die den russischen Osten prägen, schlafen unter selbstgestalteten Seidendecken und frieren trotz der dicken Sibirjacken erbärmlich. Und damit fing alles an.

Als die ersten Nachrichten von einer globalen Erwärmung die Runde machten, schwappte eine Welle der Hoffnung durch das kleine Ländchen am Ural. Die Bürger appellierten an die politische Führung: Unterstützt den Klimawandel! Wir wollen es endlich wärmer haben hier! Wir fordern Kamelrennen, Sandstürme und Sonnenbrand für die englischen Touristen an unseren Stränden!

Die Herren, die im Kreml am warmen Ofen saßen, nahmen die Sache zunächst nicht recht ernst – bis westliche Historiker genüsslich vorrechneten, dass der größte Wohlstand dort herrscht, wo die Durchschnittstemperatur 13 Grad Celsius beträgt. (In Sibirien sind es sechs Stalingrad, wie die Einheimischen mit grimmigem Humor zu sagen pflegen.) Außerdem würde ein Ende des Spermafrosts sich demografisch positiv auswirken. So soll die Entscheidung gefallen sein, dass Russland sich konspirativ für die globale Erwärmung einsetzt.

Aber stimmt das denn alles? Es klingt doch arg nach Verschwörungstheorie. Wir fassen dort nach, wo man es wissen muss: beim nationalen Präsidenten himself. Also zurück nach Europa. Die Straßenbahnen fahren alle 15 Minuten.

Ein Lamm grast

Im Vorgarten von Putins Datscha grast scheinbar friedlich ein nachlässig angeleintes Lamm mit nackt geschorenem Oberkörper. Wir drücken uns vorbei. Als alter Tschekist weiß Wladimir Wladimirowitsch natürlich, wie man ein Lamm so abrichtet, dass es Gästen schreckliche Bisswunden zufügen kann. Als wir das Tier passieren, blökt es heiser, tief und bedrohlich. Schnell begeben wir uns in die Obhut von Putins Security und lassen erleichtert die Leibesvisitation samt achtwöchiger Schutzquarantäne über uns ergehen.

Dann endlich sitzen wir vor dem gemütlichen, großgewachsenen „Chef aller Reußen“. In echt sieht er ganz anders aus als sein TV-Double. Im Plauderton sprechen wir zunächst die angebliche Homophobie in Russland an. Da sind wir an den Richtigen geraten. Der Präsident persönlich hat 2004 ein Judo-Buch veröffentlicht. Er liebt Männer, die sich unter die kurzen Bademäntel gehen. Und daheim trägt er auch stolz seinen rosa Saunagürtel. Außerdem erklärt er uns, dass es den Exportschlager „Matroschkapuppe“ zur WM auch wieder in maskulin geben soll. Männer, die ineinanderstecken – was will man mehr?

Knallhart konfrontieren wir ihn dann mit der Gretchenfrage. Wladimir Wladimirowitsch schmunzelt: „Selbstverständlich hat Russland nichts mit der Trump-Wahl zu tun. Unsere Leute haben garantiert keine Spuren hinterlassen. Und bei früheren Wahlen hatten wir die Finger wirklich nicht im Spiel. Die Experten, die 2000 in Florida unsere Wahlcomputer warteten, hatten ausschließlich beratende Funktion. Doch natürlich hätten wir Al Gore ungern als Präsidenten gesehen. Wir sind ja an globaler Erwärmung interessiert.“

Der Judoka zieht seinen Gürtel enger. „Diese ewige Kälte frostriert die Menschen. Ich glaube, dass die Russen bessere Menschen würden, wäre es wärmer. Ich würde gerne echte Demokratie zulassen, wenn die Menschen dafür geeignet wären. Aber dafür müssen wir erst mal mehr Kohle und Öl verbrennen.“ Wieder schmunzelt der undurchschaubare Slawe vielsagend. „Wir heißen schließlich nicht umsonst Ruß-Land.“

Ein Krim-Krams das

Beim folgenden Statement ist jedoch unstrittig, dass Wladimir Wladimirowitsch es ernst meint: „Der Westen ist doch selbst schuld. Hätte er mir erlaubt, unsere frierenden Sibirier humanitär auf der Krim anzusiedeln, müsste ich den Klimawandel nicht länger unterstützen. Aber so: Riesenaufregung, nur weil unser beliebtes Don­kosaken-Korps dort mit klingendem Spiel eingezogen ist. Alles nur wegen dieses albernen Völkerrechts-Krim-Krams. Das Interview ist beendet.“

Wie mit billigem Wodka begossene Pudel schleichen wir davon. Wir haben diesem Mann unrecht getan. Und seinem Volk ebenso. Das Kampflamm im Vorgarten starrt uns lange hinterher. Sein Blick erzählt von der Poesie der russischen Seele – und von ihrer zärtlichen Brutalität.

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