Die Wahrheit: Sag ja zur Niederlage!
Die ganz und gar erstaunliche Karriere des Robin Dutt wirbelt das deutsche Ballwesen durcheinander.
Im „Back-dad“, einer Discountbäckerei im Stuttgarter Hauptbahnhof, treffen wir einen Mann, der inmitten des hektischen Trubels vor allem eines ausstrahlt – tiefe innere Gelassenheit. Nachdenklich löffelt er Zucker in seinen Cappuccino, und während die Flut der Pendler seinen Stehtisch umtost, beißt er mit zufriedenem Gesichtsausdruck in sein Aufback-Croissant. Er scheint sein Frühstück an diesem unwirtlichen Ort wirklich zu genießen.
Es ist dies ein Mann, der als Trainer jahrelang im Rampenlicht der Fußballwelt stand, der aber seit einem guten halben Jahr vollständig von der Bildfläche verschwunden war. Sein Name: Robin Dutt. Jeder halbwegs Fußballinteressierte in Deutschland kennt diesen Mann und verbindet mit seinem Namen die Geschichte eines beispiellosen Niedergangs.
Bei Bayer Leverkusen gescheitert, beim DFB nach kurzem Gastspiel das Handtuch geworfen, bei Werder Bremen geschasst, mit dem VfB Stuttgart schließlich abgestiegen und anschließend gefeuert. In der öffentlichen Wahrnehmung ist Robin Dutt der Inbegriff des losers, einer, der im erfolgssüchtigen Fußballgeschäft absolut keine Zukunft mehr hat.
Tiefenentspannt auf ein Heißgetränk
Doch Robin Dutt rührt immer noch tiefenentspannt in seinem Cappuccino. Woher nimmt der Mann angesichts dieser Perlenkette des Misserfolgs nur seine Zufriedenheit? Dutt scheint auf diese Frage nur gewartet zu haben. Bereitwillig gibt er Auskunft und gewährt rare Einblicke in seine Gedankenwelt. „Sag ja zur Niederlage!“, so könnte das Lebensmotto dieses ungewöhnlichen Mannes auf den Punkt gebracht werden.
„In der Niederlage steckt die Kraft. Nur wenn du Niederlagen wirklich akzeptierst, kannst du innerlich wachsen“, erklärt Dutt seine radikale Abkehr vom Erfolgszwang und holt sich noch eine Mohnschnecke vom Selbstbedienungstresen. So wie er seine Geschichte erzählt, waren seine Misserfolge keine unglückseligen Pannen, sondern Ergebnis eines sorgfältig ausgearbeiteten Masterplans. Keine ausweglose Abwärtsspirale, sondern der Abstieg ins wahre Ich des Robin Dutt.
Und, fragen wir, ist er mittlerweile am Ziel angelangt, hat er seinen Lebensplan schon voll verwirklicht? „Bei Weitem nicht“, meint er in heimatlichem, leicht schwäbischem Dialekt, während er genüsslich seine Mohnschnecke verzehrt, „mir geht es ja nicht nur um meine Selbstverwirklichung, es geht darum, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Dabei will ich ein Vorbild sein.“ Ganz klar, der Mann hat eine Mission.
„Learning by Losing“
Seine Absage ans Leistungsprinzip illustriert der gewiefte Taktiker an einem besonders prägnanten Beispiel. „Nehmen Sie den Spieler Joshua Kimmich, der jetzt beim FC Bayern und in der Nationalmannschaft Furore macht. Der Junge kommt aus der VfB-Jugend. Natürlich hätten wir ihn auch in die erste Mannschaft des VfB hochziehen können. Doch wir haben ihn nach Leipzig verliehen und anschließend an die Bayern verkauft. Warum? Nur so konnten wir den Abstieg sicherstellen. Wenn wir diese Hürde nicht genommen hätten, wäre alles immer weitergelaufen wie bisher. Ohne die Chance der inneren Reinigung, ohne die Chance des Neubeginns. Learning by Losing – das ist für mich die Formel, um nachhaltig aus dem Teufelskreis des Konkurrenzdenkens herauszukommen.“
Duttologie, das ist die Lehre vom definitiven Ausstieg aus dem Hamsterrad der Leistungsgesellschaft, die Pflicht zur Gelassenheit angesichts des Misserfolgs. Auf diesem Pfad der Erleuchtung scheint Robin Dutt schon einen Gutteil der Strecke zurückgelegt zu haben.
Doch ganz kann er seine Vergangenheit im Haifischbecken Bundesliga nicht verbergen: Als ein anderer Kunde ihm am Tresen (der sympathische Guru des Abstiegs hat einen gesunden Appetit!) die letzte Mohnschnecke wegzuschnappen droht, geht der frühere Spieler mit einer sauberen Blutgrätsche dazwischen und sichert sich das Teilchen. Die verdiente Rote Karte bleibt ihm hier aber erspart.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Comeback der K-Gruppen
Ein Heilsversprechen für junge Kader
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Prozess gegen Letzte Generation
Wie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!