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Die WahrheitMein Nachbar Claus

Gegen den Rechthaber von nebenan hilft nichts. Im täglichen Gartenkampf bestimmt er alles: Regeln, Mittel, Resultate.

Man dürfe Claus sein Hitlerbärtchen nicht negativ auslegen, sagt der Therapeut in scharfem Ton. Bild: dpa

Gestern hat mein Nachbar Claus unsere Katze erschossen. Auf der Wiese hinter unserer Siedlung. Dass meine Kinder und ich es gesehen haben, störte ihn nicht weiter. Als ich ihn zur Rede stellte, zückte er sofort ein Maßband und vermaß die Entfernung von der Katzenleiche zum Haus von Lehmanns. 301 Meter.

Zufrieden erläuterte er mir und meinen heulenden Kindern, dass Katzen, die mehr als 300 Meter vom nächsten bewohnten Gebäude angetroffen würden, laut Rechtslage als verwildert gälten und von Jägern abgeschossen werden dürften. Die Katze zu erlegen sei geradezu seine Pflicht als Jäger und Staatsbürger gewesen. Im Übrigen sei aber ganz allein sein Hausverwalter, der Herr Weber, schuld daran, dass meine Kinder jetzt traurig seien. Bei diesem Satz hat er noch lauter geschrien als meine Kinder. Claus wirkt immer ziemlich wütend auf Herrn Weber.

Mein Therapeut sagt, er spüre bei mir eine versteckte Wut. Die sei aber kein guter Ratgeber. Ich solle die Wut einmal rauslassen und dann begraben. Eine rationale Betrachtungsweise sei das einzig Richtige in diesem Fall.

Claus streitet sich schon lange mit Herrn Weber. Er will, dass für seine Familie ab sofort andere Gartenbenutzungszeiten gelten als für den anderen Hausbewohner, Herrn Kirchner. Und er hat rausgekriegt, dass er besonders viel Druck aufbauen kann, indem er uns Nachbarn zu Tode nervt. Er hofft, dass wir uns so oft bei Herrn Weber oder beim Hausbesitzer Grube beschweren, dass die irgendwann nachgeben. Beim Nerven hat er bessere Karten als viele andere Mieter – weil er der Hausmeister von Herrn Weber ist und ihm der gesamte Fuhr- und Maschinenpark untersteht. Und weil er sich durch heulende Kinder und entnervte Nachbarn nicht von seiner Linie abbringen lässt.

Mein Therapeut sagt, er spüre bei mir eine Neidproblematik. Insgeheim würde ich Claus wegen seiner Konsequenz bewundern. Ich würde ihn nur deshalb „stur“ nennen, weil ich einen Teil von mir selbst abgespalten habe. Eigentlich führe Claus den Klassenkampf weiter, den ich längst aufgegeben habe.

In Wirklichkeit will Claus ja einfach nur erreichen, dass er allein in den Garten darf, wenn die Äpfel reif sind. Er handelt nämlich mit Äpfeln, genauso wie Herr Kirchner. Claus will aber möglichst viele Äpfel für sich allein haben. Man könnte sagen, er hat ein wirtschaftliches Interesse an der Neuregelung der Gartenbenutzung. Aber das darf man nicht sagen. Dann wird er richtig wütend. Er sagt, er kämpfe für sein gesetzlich verbrieftes Recht und für seine Familie. Nicht für sich.

Mit allen erlaubten Mitteln

Mein Therapeut sagt in scharfem Ton, dass ich Claus sein Hitlerbärtchen nicht negativ auslegen dürfe. Und auch seinen sächsischen Tonfall nicht. Das wäre unsachlich.

Seinen Kampf führt Claus mit allen erlaubten Mitteln. So schaltet er seit einigen Wochen täglich morgens um 7 Uhr alle Rasenmäher ein. Und lässt sie bis Punkt 20 Uhr laufen. Jeden verdammten Tag – außer Sonntag. Wenn wir uns beschweren, schreit er, an allem sei nur Herr Weber schuld. Und es sei sein gutes Recht, die Rasenmäher um diese Zeiten laufen zu lassen. Das könnten wir im Gesetz nachlesen. Und wir wollten ihm doch wohl nicht sein Recht nehmen.

Mein Therapeut weist mich zurecht, man solle nicht Menschen bewerten, sondern allenfalls ihre Handlungen. Es dürfe dabei aber dabei keine Rolle spielen, ob ich mich durch Claus’ Aktionen beeinträchtigt fühle. Ich müsse den Gesamtzusammenhang sehen.

Seit letzter Woche schaltet Claus werktags von neun bis dreizehn und von fünfzehn bis siebzehn Uhr noch seine acht Laubbläser dazu. Und testet parallel seine beiden Motorsägen. Den entnervten Bewohner unserer Siedlung hält er ein Schild entgegen: „Vergreifen Sie sich nicht an meinen verfassungsmäßig garantierten Rechten!“ Reden geht ja nicht mehr, bei dem Krach. Ist schon ein Kämpfer, unser Claus. Als Lärmschutzbeauftragter wäre der Mann einsame Klasse.

Mein Therapeut hat mich gestern angeschrien: Er sei jetzt in der Therapeutengewerkschaft. Und die nächsten Sitzungen würden leider ausfallen. Und daran sei einzig und allein Herr Gröhe schuld.

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4 Kommentare

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  • Nette Geschichte. Ich verstehe nur nicht, warum darüber "Die Wahrheit" steht. Denn es ist ja eine fiktive Geschichte.

     

    Aber gut, dass mal jemand Hitler ins Spiel gebracht hat. Das fehlte noch, um die Diskussion um den Streik zu versachlichen. Obwohl. Auf dem Foto und an Claus ist gar kein Hitlerbärtchen.

  • Claus ist Nachbar, Hausmeister, Apfelhändler und gelernter Rechthaber. Er hat die Katze erschossen und kein schlechtes Gewissen deswegen.

     

    Herr Weber ist als Hausverwalter Claus' Chef.

     

    Herr Kirchner ist ein weiterer Hausbewohner, kein Hausmeister aber ein Apfelhändler-Konkurrent von Claus.

     

    Herr Grube ist der Hausbesitzer, der Herrn Weber nicht dazu zwingen mag, Claus gegenüber Herrn Kirchner materiell zu bevorzugen.

     

    Dann gibt es noch Oliver Thomas Domzalski, den Verfasser des Textes, seine heulenden Kinder und einen namenlosen Therapeuten, der anderen Leuten Ratschläge erteilt, die er im eigenen Leben nicht umzusetzen vermag.

     

    Alles ganz normal so weit.

     

    Bleibt eigentlich nur eine Frage: WER, zum Teufel, ist Herr Gröhe? Immerhin scheint ja so ziemlich klar zu sein, WAS der Mann ist: Ein nerviger Hitlerbärtchenträger mit sächsischem Akzent.

  • Klaus hat einfach Recht. Versteht das denn keiner?

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    "Seinen Kampf führt Claus mit allen erlaubten Mitteln."

     

    Jawoll.