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Die WahrheitDer Celler Blues

Kolumne
von Susanne Fischer

In der niedersächsischen Provinz schwappt hartnäckig braune Soße durch die Hirne so mancher in öffentlichen Funktionen tätigen Figuren.

I ch weiß nicht, wie es anderswo in der deutschen Provinz ist, ich kenne nur meine eigene – im tiefsten Niedersachsen, wo sich, einem hartnäckigen Gerücht zufolge, ekliger brauner Matsch organischen Ursprungs besonders lange hält.

Richtig, ich rede von Nazi-Hirnen. Als ich in den Landkreis Celle zog, fand ich als hochnäsige Hamburgerin die Kreisstadt zunächst mal langweilig (vgl. mein Grundsatzreferat in der Publikation „Öde Orte“). Und zweitens ärgerlich wegen des „Celler Lochs“, einer schlicht unfassbaren Intrige der CDU-Landesregierung und des Verfassungsschutzes.

Für die Jüngeren unter uns erläutere ich gern: Der Verfassungsschutz sprengte 1978 ein Loch ins Celler Gefängnis und erklärte der Öffentlichkeit, dieses habe die RAF getan, um den dort einsitzenden Terroristen Sigurd Debus zu befreien. Acht Jahre lang kamen sie damit durch, ehe Journalisten den Skandal aufdeckten. Für die Jüngeren unter uns sei erklärt: Die Bundesrepublik war damals angeblich bereits ein demokratischer Staat.

Vor der Demokratie war auch in Celle irgendwas anderes los, worüber man hier nicht mehr so gern spricht, aber das kann ja nicht ganz schlecht gewesen sein, weil einige Akteure auch nach 1945 noch tolle Bürgermeister und Landräte abgaben. Die Provinz ist beharrlich und langsam.

So musste erst 2007, kaum 60 Jahre nach Kriegsende, die Ernst-Meyer-Allee ihren Namen abgeben. Ernst Meyer war ein prima Celler Oberbürgermeister, bis die Briten ihn 1945 internierten. Als Dienstherr der Polizei war er mitverantwortlich für das Massaker an KZ-Häftlingen am 8. April 1945, das meine humorbegabten Mit-Niedersachsen danach „Celler Hasenjagd“ tauften. Das hatten alle, die Ernst Meyer nach dem Krieg eine Allee spendierten, gewusst oder hätten es zumindest wissen können.

Nach Ernst Meyer mussten dann noch ein paar lokale Nazi-Stars den Stadtplan räumen. Aber nicht alle Anhänger großer Helden geben so schnell auf: Der Ortsrat des Stadtteils Klein-Hehlen hält auch 2015 in Treue fest zu seiner Rommel- und Stülpnagelstraße, entgegen der Empfehlung des Stadtrats. Zwei Nazi-Karrieristen, einer davon zwar am Hitler-Attentat beteiligt, allerdings zugleich bekennender Antisemit und Anstifter von Pogromen – das sind gewiss Menschen, die man in Celle auch heute noch gern verehrt.

Der CDU-Ortsbürgermeister wünscht jedenfalls keine „entehrende“ Umbenennung. Der Celler Oberbürgermeister Dirk-Ulrich Mende (SPD) ist darüber entsetzt, weil er das Vorurteil vom „braunen Celle“ am liebsten los wäre. Die CDU kontert gerissen, das braune Celle rede ja Mende nun gerade erst herbei – Logik, die begeistert. Ebenso wie der Einwand eines CDU-Lokalpolitikers gegen ein Historiker-Gutachten, es sei „unwissenschaftlich“, das Wirken der Generäle von heute aus zu beurteilen. Von wann aus denn bitte sonst?

Nach Anne Frank, die im keine 30 Kilometer entfernten KZ Bergen-Belsen starb, ist übrigens in Celle bisher keine Straße benannt worden. Und ich schiebe weiter den Kreisstadt-Blues.

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3 Kommentare

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  • Ich rate Euch, die braunen Bunken,

    tief in ihre eigne Soße einzutunken.

  • Nur zum Vergleich: Celle: 70.745 Einwohner, Hamburg: 1,799 Millionen.

     

    Wer "Stadtluft macht frei" googelt, bekommt von der Wikipedia folgende Erklärung geliefert: "Aus Siedlungen rund um Burgen oder Klöster, die etwa ab dem 11. Jahrhundert von freigekauften Leibeigenen und anderen Angehörigen des 3. Standes gegründet wurden, entstanden neben den alten römischen oder auch germanischen Gründungen weitere Städte. Dabei setzten sich immer mehr Leibeigene in die Städte ab, wo sie für ihre Grundherren zumeist unauffindbar waren.“

     

    Ich weiß ja nicht, wie alt Susanne Fischer war, als sie von Hamburg nach Celle gezogen ist, halte es aber immerhin für möglich, dass ihr in der Millionenstadt noch der große Überblick gefehlt hat, den sie ein paar Jahre später in der Provinz schon eher hatte. Womöglich sind ja nicht nur Leibeigene in großen Städten schwerer zu finden als in kleinen, sondern auch Leute mit braunem Matsch an Stelle eines funktionstüchtigen Gehirns. Die Verbliebenen allerdings dürfen ziemlich sicher sein, dass man sie kennt – und einzuordnen weiß in der Provinz. Wen sie also nicht flüchten in die große Stadt, dann höchstwahrscheinlich deshalb, weil sie gute Gründe dafür haben. Kein Schuldgefühl zum Beispiel und/oder funktionierende Netzwerke.

     

    Susanne Fischer sollte, wenn sie die Realität nicht mehr ertragen kann ohne blindwütig draufloszuschlagen, vielleicht einfach wieder da hin zurückziehen, wo die Tatsachen nicht so auffallen. Sie kann sich dann einreden, alles wäre gut. Damit aber erreicht sie höchstwahrscheinlich mehr, als wenn sie Leute permanent und ausschließlich mit ihren Fehlern konfrontiert. Das funktioniert ja nicht mal in der Schule, und im Kindesalter sind Gehirne noch vergleichsweise formbar...

    • @mowgli:

      Man könnte fast den Eindruck gewinnen, in Celle wird der Überbringer einer unangenehmen Wahrheit erstmal geköpft, bevor man dann zur Tagesordnung übergeht.