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Die Wahl in Thüringen und der BundDas Ende der Träume von R2G

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Rot-Rot-Grün hat die Wahl in Thüringen eigentlich gewonnen. Aber bitter ist: Linke Koalitionen sind in Deutschland trotzdem kaum mehr möglich.

Der Gewinner der Wahl in Thüringen, Bodo Ramelow mit Blumen aber ohne linke Mehrheit in Thüringen Foto: Christoph Soeder/dpa

R ot-Rot-Grün ist gescheitert. Selbst wenn Linke, SPD und Grüne in Thüringen als Minderheitsregierung weiterregieren sollten: Die linke Mehrheit ist weg. Bitter ist dieses Ergebnis über den Freistaat hinaus für alle, die 2014 gehofft hatten, das Erfurter Bündnis könnte sich zur Blaupause für andere Länder und den Bund entwickeln.

Rot-Rot-Grün in Thüringen hat in den letzten fünf Jahren zwar vieles richtig gemacht, trat am Sonntag unter besten Rahmenbedingungen zur Wiederwahl an und hat bei einem genauen Blick auf die Zahlen sogar gewonnen. Davon können sich die drei Parteien aber nichts kaufen. Mit dem Aufkommen der AfD als drittes politisches Lager zerschlagen sich wohl alle Träume von flächendeckenden rot-rot-grünen Mehrheiten in Deutschland.

Schauen wir auf die Zahlen: In Relation zu allen abgegeben Stimmen hat R2G zwar knapp 2 Prozentpunkte verloren. In absoluten Zahlen hat das Bündnis aber über 56.000 Stimmen gewonnen. Zum Teil liegt das daran, dass sogar ehemalige CDU-Wähler*innen ins linke Lager gewechselt sind. Als einzige der drei Regierungsparteien hat die SPD dieses Mal weniger Stimmen bekommen als 2014. Umfragen zufolge liegt das unter anderem an der Unzufriedenheit mit der Großen Koalition im Bund.

Abgesehen davon war die Ausgangssituation am Sonntag beinahe ausgezeichnet. Das starke Ergebnis kommt aus mehreren Gründen nicht überraschend: Anders als 2014 gilt es heute nicht mehr als Tabu, einen Linken-Politiker zum Regierungschef zu machen. Der Ministerpräsident und seine Koalitionspartner haben in den letzten fünf Jahren weitgehend reibungslos und kooperativ regiert. Die Wähler*innen im Land waren mit den Resultaten größtenteils zufrieden. Den Menschen in Thüringen geht es allgemein gut. Und alle drei Parteien hatten sich in einem Lagerwahlkampf klar zum rot-rot-grünen Projekt bekannt.

Dass Rot-Rot-Grün trotz alledem keine Mehrheit im Landtag mehr bekommt, hat einen einfachen Grund: Die AfD mobilisiert zahlreiche ehemalige Nichtwähler*innen, nach verschiedenen Zahlen zwischen 78.000 und 95.000. Die Rechtsextremen gehen vermehrt an die Urne, die Wahlbeteiligung steigt, und die absoluten Zuwächse der Mitte-links-Parteien verwandeln sich in relative Verluste. Thüringen ist zwar nicht der Bund, der Trend gilt aber auch anderswo. Auch wenn es schmerzt: Rot-Rot-Grün ist mittlerweile ganz weit weg.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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14 Kommentare

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  • Diese Annahme ist eben offensichtlich falsch:



    "Die Wähler*innen im Land waren mit den Resultaten größtenteils zufrieden." Die bisherigen Wähler* von RRG waren offenbar zufrieden, aber das reicht eben nicht für eine Mehrheit.

  • In Thüringen sind jetzt dieselben Leute vertreten, die glauben, dass Merkel den Journalist*en sagt, was sie schreiben sollen (und die das dann auch täten!).



    Zu knapp 24 Prozent.

  • Eine sehr angenehme Nebenerscheinung des in Summe leider unbefriedigenden gestrigen Wahlausganges ist, dass der Grüne Höhenflug wohl erst einmal gestoppt ist.

  • R2G...Dazu gehörte aber, dass sich SPD und Grüne ganz klar zu Rot-Rot-Grün bekennen und einen entsprechenden Wahlkampf veranstalten. In Thüringen entstand diese Konstellation einfach aus dem Wahlergebnis. Sowohl SPD und Grüne umgarnen sonst ja eher die CDU. Die SPD führte zudem jahrelang einen Kampf gegen die Linke. Hätte sich die SPD dagegen so positioniert zu sagen, "die radikakeren linken Ideen, das Progressive, überlassen wir den Linken, wir übernehmen die Rolle der staatstragenden Partei und sprechen mehr die Gemäßigten an" wär das vielleicht anders gelaufen. So aber bettelten SPD und Grüne eher darum mit der gesetzten Kanzlerin regieren zu dürfen und in Landesregierungen als Juniorpartner der CDU aufzutreten um eine Blaupause zu schaffen, Motto: "Seht her, wir sind doch ganz normal". Aber ich meine, wenn alle Parteien nur noch darum ringen, als "normal" und irgendwie in der Mitte der Gesellschaft wahrgenommen zu werden, dann fehlen einfach die Ideen, das Gefühl, mit denen wird mal was anders anstatt welche, die nur regieren um des Regieren willens und alles so wie bisher weiter verwalten. Also man muss dann schon echte Alternativen aufzeigen anstatt nur angepasst, brav sein zu wollen um an die Regierungstöpfe kommen zu können. Die AFD spielt ja ganz bewusst mit "der Alternative" und trägt dies im Namen. Und viele Wähler verbinden das mit der Hoffnung "wenn die dran sind, wird mal wieder richtig aufgeräumt". Gerade diese Zeit mit Trump, Brexit und Co, bietet hier doch viel Gelegenheit Alternativen aufzuzeigen. Das kann auch mal utopisch sein-warum nicht? Aber auch angesichts dessen, was sich gerade für Personal bei der SPD Spitze formiert, sehe ich da schwarz.

  • 9G
    970 (Profil gelöscht)

    Das liegt aber einzig und allein an der SPD, die eben eines nicht geschafft hat: glaubwürdige Erneuerung als Gegner der CDU, nicht als Partner. Dazu hätte die SPD im Bund eben nicht in eine weitere GroKo gedurft, sondern die Regierung Merkel scheitern lassen müssen. Nur das wäre glaubwürdig gewesen, nur die Botschaft "Mit der CDU kann man nicht zusammenarbeiten, zumindest derzeit nicht, zumindest nicht nach den bisherigen Erfahrungen in der Groko" - nur das hätte die SPD retten können. So ist die Schwäche der SPD verantwortlich für das Scheitern einer gesellschaftlichen Alternative, da die SPD als Anhängsel der CDU gesehen und somit nicht mehr von Wechselwählern gewählt wird.

  • Ja- wie sagt die CDU so schön:



    Nun koalieren 2 Parteien der "demokratischen Mitte."



    Leute lLeute.... dieses Land wird immer dreckiger- verkommener.

  • 7G
    7964 (Profil gelöscht)

    Allein die Idee eines Gesprächs zwischen Linke und CDU zeigt doch eigentlich, dass sich die Parteien nicht genügend unterscheiden - oder anders ausgedrückt, dass die Personenwahl am Ende ist. Das Parteibuch der Lobbyisten wird immer uninteressanter.

    Wollen wir nicht bald einmal über Sachwahlen statt Personenwahlen nachdenken?

  • Lieber Herr Schulze,

    Ach ist es schön, wenn es so einen einfachen Grund gibt, dass R2G (wie Sie es nenne ), nicht gewonnen hat. Es ist wie für alle Probleme unseres Landes: die AfD.



    Ihre Rechnung mit den Nichtwählern verstehe ich nicht: wenn es rund 211Tausend Wähler mehr als 2014 gab und davon nicht einmal die Hälfte auf die AfD entfallen, diese aber von über 100%, oder rund 225 Tausend, mehr gewählt worden ist, scheinen die anderen Parteien mehr Nichtwähler mobilisiert zu haben.



    Und nennen sie die 40, oder 60 Tausend ehemalige linke, und jetzt AfD-Wähler eigentlich auch Rechtsextreme?



    Vielleicht liegt der Grund für den Wahlausgang ja doch in den vielen ungelösten Problemen unseres Landes, und da will ich die zweithöchsten Strompreise und zunehmende Abhängigkeit von unsicheren Stromquellen gar nicht unbedingt nennen. Nehmen Sie die marode Infrastruktur, die Bildungsmisere, die aus dem Ruder laufenden Renten-, Kranken- und Pflegesysteme. Nehmen Sie die Rezession, in der wir uns befinden. Nehmen Sie die unterirdische Netzabdeckung im Mobilfunk.



    U.S.W.

    Wahrscheinlich gäbe es die AfD gar nicht, wenn wir auf diese und andere Probleme eine Antwort hätten, oder zumindest diese und andere Fragen überhaupt stellen und wahrnehmen würden.

    • @Steffen Berhorst:

      Ein Viertel der Wähler lässt sich nicht umerziehen, belehren, bevormunden. Außerhalb der großstädtischen Milieus sind die Bürger auf Autos, Sicherheit, Ölheizung angewiesen. Grün hat da keine Chance, die SPD abgewirtschaftet. Die Bürger wollen nicht den Hauptstadtslum Berlin, nicht Verhältnisse wie im Görli, keine offenen Grenzen.

  • Zitat: „Rot-Rot-Grün in Thüringen hat [...] bei einem genauen Blick auf die Zahlen sogar gewonnen.“

    Wie bitte? R2G besteht aus 3 Parteien. Bei einem „genauen Blick auf die Zahlen“ ist vor allem zu erkennen, dass zwei davon nicht so recht mitgewirkt haben am "Erfolg".

    Nein, es liegt nicht, wie hier suggeriert wird, nur „an der Unzufriedenheit mit der Großen Koalition im Bund“, wenn es für R2G nicht mehr so richtig reicht in Thüringen. Es hat vor allem damit zu tun, dass die AfD und die Linke in größerem Umfang Nichtwähler mobilisieren konnten. Die Grünen haben das nicht im selben Maß geschafft. Die SPD aber hat mehr Wähler*innen an die Linke verloren, als sie unter den Nichtwähler*innen oder bei der CDU akquirieren konnte. Ihr ist es mit der Konkurrenz von links noch schlechter ergangen als Maik Mohring mit der Konkurrenz von rechts. Dazu kommt: Die FDP ist wieder da. Im Ergebnis haben die Grünen 0,5% eingebüßt und die SPD sogar 4,2% (Quelle: wahl.tagesschau.de). So ist das eben, wenn der Kuchen insgesamt größer wird, aber nicht alle gleich viel mehr abkriegen davon.

    Die Grünen und die SPD haben offenbar immer noch nicht die richtigen Inhalte gefunden für ihre Politik – und den richtigen Ton schon gar nicht (Windmühlen gegen Bäume in die Schlacht zu schicken, ist ausgesprochen ungeschickt von einer Öko-Partei und wo es keine Bürgerkinder gibt, da kann man keine in die Wahlkabine locken). Thüringen hat ein paar Besonderheiten, die man beachten sollte, wenn man das Land regieren will. Der Köder, schließlich, muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Bodo Ramelow hat das verstanden, seine Mitstreiter von gestern offenbar nicht. Und wo Ramelow mit seinem politischen Geschick glänzt, fällt die Ungeschicklichkeit anderer halt um so mehr auf. Der Thüringer an sich ist ja nicht unbedingt blöde. Nur manchmal etwas bockbeinig.

  • "Mit dem Aufkommen der AfD als drittes politisches Lager zerschlagen sich wohl alle Träume von flächendeckenden rot-rot-grünen Mehrheiten in Deutschland." - in Brandenburg wäre es noch gegangen. Gescheitert ist es Medienberichten nach an der SPD. Die Grünen wollten oder konnten es nicht herumreißen..

  • Jahrzehntelang galt das eherne Prinzip: „Ees gibt koa linke Mitt’n, ees gibt koa rechte Mitt’n, ees gibt nur oane Mitt‘!“ (F. J. Strauss). Spätestens jetzt sollte jeder wissen: DIE Mitte gibt es nicht mehr. Sie zerfiel und zwei Teile, und die wanderten nach links und rechts ab. Die Anhänger der betreffenden Parteien sehen nunmehr mit Absolutheitsanspruch IHRE jeweilige Partei als DIE Mitte!



    Und was ist mit den Wählern der „ehemaligen“ Mitte, die den Wahltermin verschlafen haben? Hoffentlich wachen die bei der nächsten Wahl eher auf!

  • Ist das ein Kommentar in der Rubrik "Pippi Langstrumpf" ?



    Natürlich haben die Parteien von rot-rot-grün dieses Mal mehr Stimmen erhalten als das letzte Mal.



    Dennoch sind das nun mal nur 44,4 % der abgegebenen Stimmen.



    Genau genommen könnte am auch sagen, daß rot-rot-grün eigentlich schon die letzte Wahl verloren hatten.



    Die damaligen 46,3 % sind auch weit von einer Mehrheit der Wähler entfernt. Das hat nur deshalb zu einer Mehrheit der Mandate gereicht, weil fast 10% der Stimmen aufgrund der 5-%-Hürde unter den Tisch gefallen sind. Diesmal fallen nur noch 5,4 % weg, und schon ist die Mehrheit auch im Landtag futsch.

  • 0G
    07301 (Profil gelöscht)

    Schön ist: Linke Koalitionen sind in Deutschland kaum mehr möglich!

    Ein Erfolg, den wir feiern sollten.