Die Ursprünge der Grünen: Nur keine Schrumpfrepublik
Die aktuelle Schwellenzeit hungert nach Empathie und Radikalität. Petra Kelly, eine der Grünen-Gründerinnen, verkörpert all das.
I ch liebe Politik, die auf das Ganze zielt, einen Entwurf für das Leben bietet, selbstbewusst eine Welt entwirft, mit Verantwortungen und Möglichkeiten, Politik, die von einer Zukunft erzählt, die gemeinsam und gerecht gebaut werden kann; ich vermisse diese Art von Politik, und der Wahlkampf, der längst begonnen hat, fürchte ich, wird eher das Gegenteil bieten, Schrumpfargumente für eine Schrumpfrepublik.
Dabei könnte es so anders sein; und es war ausgerechnet der Roman einer kanadischen Schriftstellerin, der mich daran erinnerte: „Petra“ von Shaena Lambert, bislang nur auf Englisch erschienen, die Geschichte von Petra Kelly, einer der Gründerinnen der Grünen, lange vergessen, würde ich sagen, vielleicht nicht als Name, aber als Energie, als Inspiration, als Frage danach, was Politik mehr sein könnte als die Verwaltung des Status quo.
Wir leben in einer Schwellenzeit, wir spüren, dass das Alte stirbt, mit Antonio Gramsci gesprochen, den jetzt wieder so viele zitieren, und dass das Neue noch nicht durchdringt – und die Schwellenfigur Kelly, so wie sie Shaena Lambert mit großer Sorgfalt entwirft, führt zurück zu den Anfängen der Partei, die ab dem Herbst dieses Land regieren könnte:
Es ist eine archäologische und mythologische Erkundung in die Zeit eines ganz anderen, radikaleren, weil ganzheitlicheren Politikverständnisses, und die mehr als 40 Jahre, die zwischen der Gründung der Grünen und ihrer möglichen Kanzlerinnenschaft liegen, schmelzen zusammen auf eine Zeit, in der viel verloren gegangen ist. Dabei ist das Buch nicht melancholisch – und auch ich würde nicht melancholisch auf die vergangenen 40 Jahre zurückblicken.
Entwürfe für ein anderes Miteinander sind da
Ich würde einfach sagen, dass extrem viele Fehler begangen wurden, in der Art, wie der Markt konstruiert wurde, wie die Umwelt ausgebeutet und das Klima zerstört wurde, und die Unbedingtheit von Petra Kelly, schon damals eine Außenseiterin in der Partei, eröffnet mehr als einen anderen Politikentwurf – es geht nicht um einzelne Argumente, es geht um eine Haltung, zu anderen, zum Planeten, zu sich selbst.
Die Politik von Petra Kelly war radikal, weil sie persönlich war, sie war riskant, sie war gerade auch für sie selbst gefährlich, weil eine Flamme, die zu schnell und zu hell brennt, eben auch rasch verlöscht. Und vielen ist so eine Flamme auch unangenehm, weil sie selbst längst Asche sind, eine Erinnerung mehr an die eigenen Ideale, an die eigenen Anfänge, an die Möglichkeit, eine andere Welt wenigstens zu wollen.
Es heißt dabei, dass es keine großen Erzählungen und Entwürfe mehr gebe, dass diese Vorstellung mit dem Kommunismus 1989 gestorben sei – ich glaube das nicht, mir scheint es, dass es umfassende Entwürfe für ein anderes Wirtschaften gibt, für ein anderes Miteinander, für die Einsicht, dass der Mensch auch nur ein Tier unter Tieren ist und sich dem Planeten unterordnen sollte und nicht umgekehrt – und das ist eben genau mein Unbehagen oder mehr, meine Ungeduld in dieser Schwellenzeit: Wer spricht hier davon?
In den USA etwa scheint dieses emphatische Politik- und Zukunftsverständnis, auch historisch begründet, immer noch sehr viel präsenter zu sein, gerade in diesen Jahren wieder, in denen eine neue Generation ihren Green New Deal fordert, einen umfassenden Entwurf also für Job-Sicherheit, soziale und ökologische Gerechtigkeit, weil das alles nur zusammen verstanden und gelöst werden kann – es ist keine Ideologie, die diesen großen Entwurf verspricht, sondern ein oft persönlich geprägter Pragmatismus, der sich dem unrealistischen Realismus der Beharrungs-Eliten widersetzt.
Soziale und ökologische Gerechtigkeit gehören zusammen
Für Kelly, und das war ihre Provokation, auch innerhalb der Friedens- und Umweltbewegung der späten Siebzigerjahre, hing alles mit allem zusammen, war alles verbunden, das Patriarchat, Sexismus, Rassismus, Ausbeutung, Ungerechtigkeit, die Zerstörung der Umwelt, Krieg.
„Compartmentalizing has blinded us to the suffering of the earth“, so fasst die Autorin Lambert die Gedanken der Aktivistin Kelly zusammen, die Abschottung, die Aufteilung, auch die vorgeschobene Rationalität, angebliche Notwendigkeit hat uns blind gemacht für das Leiden der Erde.
All das ist lange her, aber es ist gut, mal wieder zurückzusteigen in diese Zeit, gerade auch, weil die Geschichten und Gegengeschichten so stark sind und heute direkte politische Konsequenzen haben – etwa die von den müden, den ernüchterten siebziger Jahren, die auf den Aufbruch der Sechzigerjahre folgten. Aber ist das so? Und wer bestimmt diese Erzählung, mit welcher Absicht?
Aus „Petra“ spricht eine andere Stimme, die Siebzigerjahre sind hier eben auch die Zeit, in der sich aus verschiedenen höchst aktiven bürgerschaftlichen Milieus eine Bewegung geformt hat, die zur Partei wurde, die dieses Land über die Jahre und Jahrzehnte ziemlich grundsätzlich verändert hat.
Der Roman also erzählt die Vorgeschichte dieser kommenden möglichen Regierung, und es würde nicht schaden, sich an die Energie dieser Anfangsjahre zu erinnern, an dieses emphatische Politikverständnis, für das Petra Kelly stand, denn die Schwellensituation am Anfang dieser Schicksalsdekade verlangt genau das wieder, persönliche Risikobereitschaft, moralische Klarheit und ein umfassender Gerechtigkeitssinn, der alles Leben auf diesem Planeten miteinbezieht.
Es fällt etwas schwer, diese Worte zu schreiben, weil die Wahlkampfwirklichkeit so anders ist, Gendersternchen, Pandemiegeschacher, mediale Schneeballschlachten. Umso wichtiger aber ist es, glaube ich, gerade für die Grünen, diese politische Emphase ernst zu nehmen, als Möglichkeit der Begeisterung, des Versprechens – denn die Menschen und damit die Wähler*innen wollen ja auch inspiriert und gewonnen und nicht nur nicht verschreckt werden.
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