Die Strategien von Greenpeace: „Einfache Symboliken sind überholt“
Greenpeace hat die Umwelt im Blick. Soziale und gesellschaftliche Aspekte werden ignoriert, kritisiert der Politologe Achim Brunnengräber.
sonntaz: Herr Brunnengräber, Sie befassen sich wissenschaftlich mit NGOs und deren Rolle in der internationalen Politik. Auch mit den PR-Profis von Greenpeace. Machen die gerade wieder alles richtig?
Achim Brunnengräber: Greenpeace ist natürlich schlagkräftig und kann durch sein professionelles Vorgehen viel Medienöffentlichkeit herstellen. Kritisch zu fragen wäre, ob es noch zeitgemäß ist, sich so stark auf die Umwelt zu versteifen, ohne soziale und gesellschaftliche Aspekte mitzudenken. Man sollte erkennen, dass wir es mit multiplen Krisenerscheinungen zu tun haben und die ökologische Dimension nicht von der sozialen und gesellschaftlichen getrennt werden kann.
Das hieße im konkreten Fall?
Dass hier strategisch mehr möglich wäre. Soziale Fragen in Murmansk, etwa wie viele Menschen ihren Lebensunterhalt im Energiesektor bestreiten und überhaupt von diesen Bohrungen abhängig sind, werden von Greenpeace nicht einbezogen. Die andere Sache ist, dass in Russland 2012 ein neues NGO-Gesetz erlassen wurde, wodurch viele NGOs quasi als ausländische Agenten angesehen werden. Seitdem sind Tendenzen erkennbar, dass es in Richtung Repression geht. Der Verdacht liegt nahe, dass jetzt ein Exempel statuiert werden soll. Das verweist auf das schwierige demokratische Moment für NGOs in Russland. Thematisiert wird das aber nicht.
Greenpeace spricht jetzt – wohl angelehnt an ähnlich klingende Hollywoodfilme – von den „Arctic 30“.
50, ist Politik- und Sozialwissenschafter an der FU Berlin und forscht zu sozialen Bewegungen, Klimapolitik und Global Governance. Er ist Projektleiter am Forschungszentrum für Umweltpolitik. Von ihm ist 2009 „Die politische Ökonomie des Klimawandels“ erschienen.
Wenn ich mir die aktuelle Berichterstattung über die Situation der Inhaftierten ansehe, dann geht es hier vor allem um Haftbedingungen und ob die Suppe gut schmeckt. Aber die Missachtung der Menschenrechte und der demokratisch desolate Zustand Russlands werden damit nicht verbunden.
Sind die Kampagnen zu populistisch?
In gewisser Weise steckt in den Kampagnen immer ein Moment der Zuspitzung. Nur habe ich den Eindruck, dass Greenpeace auf eine zweite „Brent Spar“ wartet, einen Öltank, der 1995 erfolgreich besetzt wurde und dessen geplante Versenkung im Meer damit verhindert werden konnte. Das Medienecho war enorm. Damals funktionierten solche einfachen Symboliken noch. Ich halte das heute für überholt.
Manche Katastrophen, wie die Versenkung der „Rainbow Warrior“ durch den französischen Geheimdienst, haben Greenpeace durchaus auch genützt. Ist das wieder zu erwarten?
Wie Greenpeace gegen Russland kämpft. Eine Reportage aus dem Innern des Umweltriesen lesen Sie in der taz.am wochenende vom 26./27. Oktober 2013 . Außerdem: Apple hatte versprochen, die Arbeitsbedingungen in China zu verbessern. Fabrikarbeiter und Arbeitsrechtler berichten, ob sich wirklich etwas getan hat. Und: Der Herbst eines Superstars - ein Portrait von Dirk Nowitzki. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Hier geht es zu unserer Bildergalerie zum Thema.
Das eine ist, dass die Spendeneinnahmen in solchen Situationen in der Regel immer zunehmen und die Bekanntheit von Greenpeace steigt. Andererseits entsteht dadurch eine Verkürzung des Problems, die eigentlichen Inhalte und Ziele der Kampagne werden nicht mehr transportiert. Dazu kommt noch, dass die Menschen in Murmansk auf die aktuelle Aktion von Greenpeace negativ reagieren, weil durch die Erschließung der Arktis für sie Arbeitsplätze geschaffen werden.
Manche NGOs werden wegen ihrer engen Verflechtung mit der Wirtschaft und dem Staat kritisiert.
Vor allem hinsichtlich der Klima- und Energiepolitik kann man beobachten, dass wir eine sehr lange Phase der NGOisierung erlebt haben. Die starke Fokussierung auf Verhandlungen und Kooperation wird vonseiten der großen NGOs oft als alternativlos dargestellt. Dann hat man festgestellt, dass der Prozess nicht weitergeht, dass die marktwirtschaftlichen Instrumente nicht funktionieren. Ab da wurde das Moment der Bewegung wieder stärker in den Mittelpunkt gestellt. Insofern würde ich sagen: Ja, die Multis unter den Nichtregierungsorganisationen haben zu stark auf den Pfad der internationalen Verhandlungen gesetzt und haben die Vielschichtigkeit der Klimaproblematik nicht erkannt. Heute passiert da aber wieder eine gewisse Öffnung.
Also zurück zu den kleinen Bewegungen?
Ich würde sagen, dass wir beides brauchen: sowohl den Versuch der Beeinflussung der internationalen Politik, aber auch die lokalen Energiekämpfe. Klimacamps oder Aktionen gegen Fracking sind ebenso wichtig, weil sie – etwa in der Klimaproblematik – noch einmal gezielt auf die Herausforderungen für jeden Einzelnen hinweisen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“