Die Sache mit dem Doppelpass: Von Begriffen, die unsexy klingen
Staatsbürgerschaftsrecht, Einbürgerungsrecht und Wahlrecht: Nur, weil Themen dröge Bürokratie ausstrahlen, sind sie nicht weniger wichtig.
M anche Themen sind hotter als andere. Diversität? Kannste Geld mit verdienen! Deutsche Wohnen und Co enteignen? Sexiest Kampagne alive, mit einem Hauch von Revolutionsromantik. Staatsbürgerschafts-, Einbürgerungs- und Wahlrecht? Schwer zu verkaufen.
Wenn es darum geht, eine einzelne Person oder Familie vor der Abschiebung zu bewahren, gibt es Lebensgeschichten und Menschen mit Gesichtern, die man unterstützen kann. Wie das Beispiel von Pham Phi Son und seiner Familie, die nach 35 Jahren abgeschoben werden sollten, weil er zwischenzeitlich länger als ein halbes Jahr in Vietnam war. Das Beispiel ist so absurd wie beängstigend, was wiederum die Situation in Deutschland lebender Nicht-EU-Ausländer ganz gut zusammenfasst. Die Familie darf nun bleiben. Doch was ist mit den strukturellen Veränderungen, die dringend nötig sind?
Vor einigen Wochen wurde ich auf die Kampagne „Pass(t) uns allen“ aufmerksam. Gefordert wird ein gerechtes Staatsbürgerschafts-, Einbürgerungs- und Wahlrecht. Die Notwendigkeit der Kampagne war mir sofort klar. Nicht klar ist: Wie dieses Thema von meinem Radar verschwinden konnte? Staatsbürgerschaftsrecht war ein wichtiger Teil meiner Politisierung. Als Hessin erinnere ich mich an die Unterschriftenaktion der CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft. Die Kampagne gegen den Doppelpass verhalf Roland Koch zum Amt des hessischen Ministerpräsidenten und ließ mich, damals noch nicht wahlberechtigt, sprachlos zurück. Es war der Punkt, an dem ich begriff, dass Rassismus nichts ist, was Neonazis vorbehalten ist, sondern tief in der sogenannten bürgerlichen Mitte verankert ist.
Mein Teenager-Ich war wütend und enttäuscht. Mein Erwachsenen-Ich kann es nicht fassen, dass ich immer noch mit nur einem Pass unterwegs bin. Auf dem Papier einfach nur Deutsche zu sein, hat nichts mit meiner Lebensrealität zu tun. Warum Menschen, die hier leben, arbeiten, Steuern zahlen – die letzten beiden Punkte sollten nicht relevant sein – also warum Menschen, die hier leben, nicht die gleichen Rechte bekommen und warum sie, verdammt nochmal, nicht wählen dürfen, darauf gibt es keine Antwort, die nicht beschämend ist. Das deutsche Einbürgerungsrecht wird dieser Gesellschaft nicht gerecht.
Staatsbürgerschaftsrecht, Einbürgerungsrecht und Wahlrecht. Drei Begriffe, die extrem unsexy klingen. Das Moodboard zum Thema zeigt Behördenflure, Papierstapel und so ein Nummerzieh-Dings. Doch wenn die Forderungen von „Pass(t) uns allen“ umgesetzt werden, wird das nicht nur Millionen von Menschen das Leben erleichtern. Denn nur, weil Themen dröge Bürokratie ausstrahlen, sind sie nicht weniger wichtig. Meist ist das Gegenteil der Fall. Den deutschen Pass zu bekommen, ist für zu viele Menschen zu kompliziert. Wird Zeit, dass wir das ändern!
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Weltpolitik in Zeiten von Donald Trump
Schlechte Deals zu machen will gelernt sein
Einführung einer Milliardärssteuer
Lobbyarbeit gegen Steuergerechtigkeit
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Trump macht Selenskyj für Andauern des Kriegs verantwortlich
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links