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Die Pflege im WahlkampfToxisches Thema

Die Kosten für die Pflege steigen. Doch die Finanzierungsvorschläge der Parteien in ihren Wahlprogrammen werfen Fragen zu Gerechtigkeit auf.

Teure Betreuung: Hightech in der Tagespflege der Caritas-Sozialstation Erlenbach am Main Foto: Murat Tueremis/laif

Berlin taz | Die FDP macht es sich leicht. Pflege? Das fahren wir am besten klein, ganz klein. Das Thema Pflege füllt nicht mal eine halbe Seite im Entwurf des Wahlprogramms der FDP. Eine „kapitalgedeckte Komponente“ zur gesetzlichen Pflegeversicherung schlagen die Freien Demokraten vor. Mehr „Anreize“ für private Pflegevorsorge will die Partei setzen, ohne genauer zu werden. Tja.

Das Thema Pflege möglichst klein zu fahren, ist eine Art Selbstschutz für jede Partei. Denn die Pflege ist ein toxisches Thema. Die Gesellschaft altert, Pflege ist eine der teuersten Dienstleistungen überhaupt, die Eigenanteile steigen, die Pflegeversicherung hat im vergangenen Jahr ein Defizit von 1,5 Mil­liar­den Euro angehäuft. Die Beiträge der gesetzlichen Pflegekassen sind erst jetzt wieder auf 3,6 Prozent für Eltern und 4,2 Prozent für Kinderlose gestiegen. Einen weiteren Anstieg prophezeien Experten. Wer soll die Pflege bezahlen?

Die SPD verspricht in ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2025, die sogenannten Eigenanteile bei einem Aufenthalt im Pflegeheim auf maximal 1.000 Euro im Monat zu begrenzen, das wäre dann der „Pflegedeckel“. Das ist ein konkretes, teures Versprechen, denn die Eigenanteile bei einem Heimaufenthalt machen derzeit im ersten Jahr des Aufenthalts rund 2.800 Euro pro Monat für die Be­woh­ne­r:in­nen aus, so Zahlen des Verbandes der Ersatzkassen. Dieser Eigenanteil muss aus dem eigenen Einkommen oder Vermögen finanziert werden, den Rest zahlt die gesetzliche oder die private Pflege-Pflichtversicherung.

Andere Parteien wie das BSW und die Linke wollen eine „Pflegevollversicherung“ einführen. Dann würden keine oder nur wenig Eigenanteile beim Heimaufenthalt fällig.

Die Union macht sicherheitshalber kaum neue Vorschläge, sondern möchte lediglich einen „Finanzierungsmix“, „bestehend aus der gesetzlichen Pflegeversicherung, der betrieblichen Mitfinanzierung, Steuermitteln“ sowie einer eigenen privaten Vorsorge durch eine „bezahlbare Pflegezusatzversicherung“ einführen.

Vage Ideen zur Finanzierung

Wie man die Pflege künftig finanzieren könnte, wird unterschiedlich beantwortet. Die SPD schlägt vor, das bisherige „Nebeneinander“ von gesetzlicher und privater Pflegeversicherung zu beenden und ein „gemeinsames, solidarisches Pflegesystem“ zu schaffen, so wie es in den nie umgesetzten alten SPD-Plänen zu einer „Bürgerversicherung“ schon vor 20 Jahren stand. Die SPD will die private Pflegeversicherung in einem ersten Schritt „in den Risikostrukturausgleich zwischen allen Pflegekassen einbeziehen“. Einen solchen Finanzausgleich fordern auch die Grünen in ihrem Wahlprogramm.

„Risikostrukturausgleich“ würde bedeuten, dass die privaten Pflegekassen, die in der Regel über jüngere und gesündere Mitglieder verfügen, an die gesetzlichen Pflegekassen mit den kränkeren und älteren Mitgliedern einen gewissen Finanzausgleich zahlen müssten. Die Finanzsituation der gesetzlichen Pflegekassen würde sich damit verbessern, die der privaten Kassen käme mehr unter Druck.

Ein erst kürzlich vorgestelltes Gutachten des Gesundheitsökonomen Heinz Rothgang für eine Pflegebürgervollversicherung verwies auf die großen Unterschiede in Gesundheitszustand und Einkommen zwischen Privat- und gesetzlich Versicherten. Aus „Gerechtigkeitsüberlegungen“ bestehe hier „dringender Reformbedarf“, so Rothgang.

Im Konzept der Bürgerversicherung war früher immer auch vorgesehen, alle Einnahmen, auch die Einnahmen aus Kapitaleinkünften, mit Beiträgen zur Kranken- und Pflegekasse zu belegen. In den Wahlprogrammen der Linken und der Grünen findet sich dieser Vorschlag auch jetzt wieder. Als der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck dies aber im Interview vorschlug, erntete er einen Shitstorm. Ganz so ungewöhnlich ist der Gedanke übrigens nicht: Bereits heute müssen Selbstständige, die freiwillig in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sind, auf alle ihre Einkünfte, auch die Kapitaleinkünfte aus der Steuererklärung, Krankenkassenbeiträge zahlen.

Der Finanzbedarf in der Pflege wird weiter zunehmen. Die Wirtschaft protestiert aber gegen den Anstieg der Lohnnebenkosten durch immer weiter steigende Beiträge

Die Linke fordert kurzerhand in ihrem Wahlprogramm, dass die Beitragsbemessungsgrenze wegfällt. Damit müssten Hoch­ver­die­ne­r:in­nen auf ihre gesamten Einkommen den prozentualen Pflegebeitrag entrichten und nicht nur bis zur bisherigen Bemessungsgrenze der gesetzlichen Versicherung. Diese Maßnahme hätte einen sehr starken Umverteilungseffekt. Das wäre aber nur dann der Fall, wenn das System der Privatversicherung, die die Beiträge ja nach Pflegerisiko und nicht nach dem Einkommen bemisst, aufgelöst und mit der gesetzlichen Kasse zusammengelegt würde.

Ex­per­t:in­nen sind sich einig, dass der Finanzbedarf in der Pflege zunimmt. Die Wirtschaft protestiert aber gegen den Anstieg der Lohnnebenkosten durch immer weiter steigende Beiträge. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat nun ein Gutachten im Auftrag der privaten Krankenkassen erstellt, nach dem gut 70 Prozent der Rentnerhaushalte mit einem pflegebedürftigen Haushaltsmitglied fünf Jahre der stationären Pflegekosten aus eigenem Einkommen und Vermögen bezahlen könnten, wobei eine selbstgenutzte Immobilie dabei womöglich beliehen werden müsste.

Eine Deckelung der Eigenanteile im Pflegefall würde also bedeuten, Vermögen und Erbschaften nicht nur der sehr Reichen, sondern auch der Mittelschichtmilieus zu schützen durch eine Versicherung, in die alle einzahlen müssten, zu diesem Schluss kommt die IW-Studie. Aber ist dieser Schutz wirklich fair? Und wenn ja, bis zu welcher Vermögenslage? Eine solche Frage wird derzeit nicht offen diskutiert.

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9 Kommentare

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  • Den Bohei nach Habecks Vorschlag gab es nur, weil sich kaum jemand im Land für die Kassentarife interessiert. Und das, obwohl die längst "outgesourcten" Journalisten es aus eigener Anschauung doch besser wissen müßten oder zumindest könnten.

    Selbständige werden jedes Jahr nach dem Einkommen gefragt und dazu die Vorlage des letzten Steuerbescheides verlangt. Wer derlei Korrespondenz aussitzt, riskiert den Höchstbeitrag oder auch mal die Familienversicherung. Man kann das vom Steuerberater erledigen lassen und sich nicht darum scheren, ob man richtig eingestuft wird.



    Der Punkt ist nur, daß dieses Verfahren aus verschiedenen, eigentlich offensichtlichen Gründen nicht für alle Mitglieder taugt. Sonst wäre es längst eingeführt worden. Die Kassen sind schließlich nicht zum ersten Mal klamm.

  • "nach dem gut 70 Prozent der Rentnerhaushalte mit einem pflegebedürftigen Haushaltsmitglied fünf Jahre der stationären Pflegekosten aus eigenem Einkommen und Vermögen bezahlen könnten, wobei eine selbstgenutzte Immobilie dabei womöglich beliehen werden müsste."

    Und dann ist das im ganzen Arbeitsleben angesparte Vermögen weg. Und für den/die Übriggebliebenen bleibt nichts mehr.

    Wenn den/die Übriggebliebenen dann auch noch Pflege droht, dann geht es an das Vermögen der Kinder. Wenn die mehr als 100000 € brutto im Jahr haben.

    Wir haben seit Jahrzehnten wirklich großartige Regierungen, die vorausschauend agieren.

  • Der SPD-Vorschlag, den ich bisher nicht kannte, klingt durchaus sinnvoll. Die aktuellen Kosten sind so hoch, dass sie für viele praktisch nicht in Frage kommen; eine Vollversicherung würde Fehlanreize setzen und um ein Vielfaches teurer. Daher ist 1000 Euro Selbstbehalt ein guter Mittelweg.

    Die Finanzierung schafft man natürlich nicht mit ein paar Handstreichen, auch ein kompletter Umbau des Versicherungssystems ist aktuell kaum zu empfehlen.

  • Pflege ist so ein wichtiges Thema, dass uns alle betrifft. Ich finde es schade, dass so wenig darüber geredet wird.



    Vielen Dank für den Artikel und gerne mehr davon. Gerne auch noch detailierter :)

  • Und der Elefant im Raum heißt: Fehlende Mittel durch falsche Verteilung der Steuergelder.

  • Das Problem, wie auch alle anderen Probleme werden sich ohne eine deutliche Anhebung des Renteneintrittsalters nicht lösen lassen.

    Und was den Wegfall der Beitragsbemessungsgrenzen angeht, der Druck die Arbeitszeit mit erreichen des Spitzensteuersatzes zu reduzieren ist schon jetzt groß. Ab 68.481 € Brutto gehen von jedem verdienten Euro 36 Cent an den Arbeitnehmer und 85 Cent (AN 64ct + AG 21ct) ans Finanzamt und die Sozialkassen. Die Verbrauchssteuern noch nicht mal berücksichtigt. Viele können sich sicher nicht vorstellen, wie verlockend angesichts solcher Verteilungsgerechtigkeit die Reduzierung der Arbeitszeit wirkt. Die Gen-Z weiß das. Und ohne Beitragsbemessungsgrenze gibt es da eigentlich überhaupt nichts mehr zu überlegen.

    Allerdings in Zeiten von Boomern die Scharenweise in Rente gehen und galoppierenden Fachkräftemangel wäre das für den Sozialstaat der Todesstoß. Aber vielleicht kommt ja dann die Pflicht zum Vollzeitarbeitsplatz?

  • Auch bei Pflegebedürftigkeit ein menschenwürdiges Leben führen zu können, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Aber mit dem grundsätzlich verfehlten Konzept der Pflegeversicherung ist dies nicht gewährleistet.

  • Wenn Leute relativ reich sind und einen guten Steuerberater habe, rät der ihnen, alles rechtzeitig (10 Jahre vor Pflegefall) den Kindern zu schenken- dann zahlt alle Pflegekosten das Sozialamt.



    Gerecht?



    Wer nicht so schlau ist (oder zu gutgläubig dem Staat ggü.) muss heftig "entsparen".



    Die ganz Reichen holen sich einfach ne Pflegekraft ins Haus und können das dann irgendwie steuerlich absetzen..



    Es liegt mal wieder am völlig kaputten Steuersystem an das sich keine Partei ranwagt.



    Es bräuchte eine spd mit Rückgrat, die langfristig ihre ethischen Überzeugungen vertritt und auch durchsetzt..um hier was zu ändern. Aber die ist Vergangenheit.

    Hätte, hätte- Moffakette.

  • Scheint so, als ob - wie so oft in der Sozialpolitik - die Linke den richtigen Vorschlag hätte.