Die Partei Volt vor der Wahl: Eis am Stiel für die EU
Die junge Partei Volt will wieder ins EU-Parlament einziehen. Während andere Parteien nationale Interessen bedienen, setzt sie allein auf Europa.
Für ein Gespräch bleiben die oftmals sehr jungen Demoteilnehmer*innen selten stehen. Nur ab und zu kommt es zu einem Austausch. Der 38-jährige Boeselager erzählt dann von seiner Zeit im EU-Parlament. 2019 hatte er es nach Brüssel geschafft – als einziger Spitzenkandidat eines nationalen Ablegers der Partei. Diesmal soll mit Nela Rhiel, einer 38-jährigen Lehrerin aus Hamburg, eine zweite Abgeordnete für Volt Deutschland ins EU-Parlament einziehen.
Die Partei, 2018 gegründet, ist längst mehr als ein proeuropäisches Gedankenspiel. 0,7 Prozent holte Volt Deutschland bei der Europawahl 2019. Seitdem eroberten sie Sitze bei Kommunalwahlen in Italien und Deutschland und bei nationalen Wahlen in den Niederlanden und Bulgarien.
Ihr großes Ziel für die Europawahl ist nun eine eigene Fraktion im Parlament. Sie treten in insgesamt 14 Ländern mit nationalen Ablegern an. Eine gemeinsame, europäische Wahlliste, wie sie von Volt gefordert wird, ist gesetzlich nicht möglich. Doch wie erfolgreich kann Volt in Europa werden?
Junge Wähler*innen gesucht
Die junge Partei, das Mitgliedsalter liegt bei Mitte 30, hofft besonders bei jüngeren Wähler*innen mit ihrem Programm zu überzeugen. Sie präsentiert sich sozialliberal und progressiv, setzt sich für einen EU-weiten Kohleausstieg bis 2030, die Legalisierung von Seenotrettung und Arbeitsmigration ein. „Unser und auch mein großes Ziel im Parlament bleibt aber die Reform der EU“, sagt der ehemalige McKinsey-Mitarbeiter Boeselager.
Der Traum: Europa als ein Staat, ganz ohne Vetorecht der Mitglieder. „Wenn einzelne Staaten wichtige Gesetze blockieren, dann kommen wir nicht weiter. Es ist an der Zeit die EU zu reformieren“, sagt er. Die wichtigsten Entscheidungen, auch für Deutschland, würden in der EU getroffen werden: das Lieferkettengesetz, der Digital Service Act oder Verteidigungsfragen. Deshalb will Volt den Fokus auf die Idee eines wirklich gemeinsamen Europas legen.
Einen gemeinsamen Nenner mit allen nationalen Ablegern der Partei zu finden, sei nicht immer einfach, gibt Boeselager zu. In einem internen Chat tausche man sich über die gemeinsame Parteiarbeit aus und koordiniere die vielen Ableger in Europa. Doch erst im Frühjahr musste Volt lernen, dass eine gemeinsame europäische Idee nicht immer reicht.
Nach Debatten über den Nahost-Konflikt verließen drei deutsche Volt-Mitglieder die Partei. „Es haben sich Personen unwohl gefühlt und wir haben nicht schnell genug mit einer Moderation des Gesprächs reagiert“, gibt Boeselager zu. Weitere Fälle habe es bisher nicht gegeben.
Progressiv statt links
Um alle Parteimitgleider von Zypern bis zur Niederlande unter einem Dach zu vereinen, hat sich Volt auch nicht klar zwischen rechts und links definiert. „Progressiv sein kann in jedem Land etwas anderes heißen. Daher haben wir uns lieber auf Themen als auf politische Einordnungen konzentriert“, sagt Boeselager.
Bei den Demonstrierenden, die sich ein Eis abholen, kommt diese Idee nur bedingt an. Volt kenne man vom Wahl-o-mat oder aus Referaten in der Schule, erzählen sie. „Ich bin mir nicht ganz sicher, wofür die Partei noch steht. Auf ihren Plakaten werben Sie für Klimaschutz, man hört aber auch wirtschaftsliberale Positionen“, erzählt eine Studentin. Wählen will sie die Partei nicht.
Die lila Plakate mit Slogans wie „Für mehr Eis“ oder „Sei kein Arschloch“, oftmals unter Afd-Plakaten angebracht, blenden ihre proeuropäische Grundidee oftmals aus, sagt Wolfgang Schroeder, Politikwissenschaftler an der Uni Kassel. „Volt versteht sich als kosmopolitische Partei, die zukunftsorientiert agiert. Doch sie löst sich im nationalen Wahlkampf von dieser Idee.“
Nicht mehr als eine Kleinstpartei
In Zeiten, in denen nationale Interessen und nationalistische Parteien erstarken, sei es wünschenswert, dass es Parteien gebe, die diesen genau diesen Nationalismus kritisieren. Wohl um ein jüngeres Publikum zu erreichen, setze die sonst eher elitäre Partei auf einfache Ansprachen.
Für Schroeder bleibt Volt eine Kleinstpartei. „Die breite Masse spricht eine Pro-Europa-Partei nicht an. Etablierte Parteien müssen auch die nationalen Bedürfnisse ihrer Wähler ansprechen. Es ist ein Privileg von einer kleinen Partei, sich ausdrücklich auf europäische Interessen zu fokussieren.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen