Die Ministerin: ein junges altes Fräulein

■ „Das Claudia-Nolte-Phänomen“: Mechtild Jansen analysiert in ihrem neuen Buch die Bonner Frauenpolitik und umreißt einen neuen Geschlechtervertrag

Solch eine Frau als Bundesfrauenministerin ist eine einzige Beleidigung. Nicht nur der Frauen, sondern auch der Männer. Dieses Weib, keusch, kirchlich und konventionell, verheißt auch dem männlichen Geschlecht nichts Gutes. Claudia Nolte ist die jüngste Ministerin, die die Bundesrepublik je hatte, und eine ihrer ältesten, altklügsten, altmodischsten. Die dienstbare Nolte ist die Antwort Helmut Kohls auf die aufmüpfige Süssmuth, sie ist die Antwort der Christdemokratie auf die aktuelle ökonomische und gesellschaftliche Krise. So lautet, in anderen Worten zusammengefaßt, die grundlegende These von Mechtild Jansens neuem Buch „Das Claudia-Nolte- Phänomen“. Das Porträt, das Jansen von diesem jungen alten Fräulein zeichnet, gehört zu den besten Abschnitten ihres Buches. Auch wenn man sich fragt, ob die Porträtierte nicht doch ein paar Schattierungen mehr aufzuweisen hat. Zum Beispiel ihre Begeisterung dafür, daß ihr Mann den Hausmann und Kindeserzieher mimt.

Die Nolte habe ihr politische Laufbahn „religiös rechtsaußen“ begonnen, rekapituliert Jansen, als national-klerikale „Lebensschützerin“ und Quotengegnerin. Nicht nur abtreibende Ärzte, auch die abtreibenden Frauen selbst müsse man bestrafen, vertrat sie damals. Ihr Ziehvater Helmut Kohl habe ihr schließlich solche karriereschädlichen Extravaganzen verboten, und seine „brave, eifrige“ Tochter sei ihm gefolgt. „Nur aufmüpfig sein, weil ich jung bin – auf keinen Fall“: O-Ton Nolte.

„Die Frauenfrage, die Geschlechterfrage, die Gleichberechtigung, erst recht die Emanzipation und Selbstbestimmung der Frauen interessiert Claudia Nolte wenig. Dazu schweigt sie auf sehr beredte Weise“, schreibt Mechtild Jansen. Von der Wertschätzung der Familie hingegen, den berühmten family values, spreche die Ministerin „endlos gern“. Wie Vati und Mutti ihre Kinder, so versorge der Staat seine Bürger. Kinder wie Bürger müßten vor Unmoral, Sittenverfall, Drogen, Sex, Mißbrauch und Genußsucht bewahrt werden.

Dabei hatte die erste CDU- Frauenministerin einst ganz neue Maßstäbe gesetzt. „Der Weg von Prof. Rita Süssmuth 1985 über Prof. Ursula Lehr 1988 und Dr. Angela Merkel 1991 zu Claudia Nolte 1994 kennzeichnet in mehrfacher Hinsicht einen kontinuierlichen politischen Abstieg“, schreibt die Autorin. „Süssmuth war frauenbewegt, Lehr unideologisch aufgeklärt modern, Merkel konservativ angepaßt selbständig, Nolte gläubig rechts.“

In mehreren Kapiteln analysiert Jansen die Ursachen dieses politischen Niedergangs. Heiner Geißler sei im Grund die erste Frauenministerin gewesen. In seiner Zeit als CDU-Generalsekretär führte er „eine Modernisierung der CDU an, von der diese bis heute lebt“. Unter seiner Regie verabschiedete der damals vielbeachtete frauenpolitische Parteitag der CDU im Jahre 1985 das Modell des Erziehungsurlaubes und -geldes.

Rita Süssmuth habe diese Modernisierung fortgeführt. Sie wollte den Frauen eine Gewissensentscheidung bei der Abtreibung ermöglichen, machte sich für weibliche Berufstätigkeit stark, förderte Frauenprojekte. Süssmuth sei bis heute die „einflußreichste und wirkungsvollste CDU-Frau“ geblieben, so die Autorin, aber sie habe nur „bürgerliche Gleichstellung verwirklichen“ wollen.

Was aber ist „bürgerliche Gleichstellung“? Wir ahnen es nur, wir bekommen es nicht erklärt. Solche ideologischen Sätze, die letztlich nicht viel erklären, finden sich leider zuhauf in diesem, dem schwächsten Teil des Buches. Man wünscht sich, die Autorin hätte sich auf ihre journalistische Fähigkeit des Beschreibens besonnen, anstatt alles mit ideologisch-moralischen Etiketten zu bekleben. Das fördert nicht nur ermüdende Wiederholungen, sondern auch Stilblüten wie solche: „Der alte Staat hatte die ausgebeutete Frau auf seiner Unter- und Schattenseite versteckt, der neue Staat hängt sie als sein Flaggschiff aus.“

Für die Autorin ist die politische Wende, die durch Claudia Nolte wie keine zweite verkörpert wird, auch ein Produkt des „Versagens der Linken“. Die SPD und die Gewerkschaften hätten sich nie zentral für die Frauenfrage interessiert. Erst im neuen DGB- Grundsatzprogramm von 1996 habe man darauf verzichtet, „das männliche Normalarbeitsverhältnis – die lebenslange Vollzeitarbeit des Mannes, die für Familienarbeit gar keinen Platz läßt“, weiter zur Norm zu erklären. Ähnlich paternalistisch-autoritär sei auch die Frauenpolitik der sozialistisch- kommunistischen Traditionslinken bis hin zur PDS. Die einzig positive Ausnahme sieht Jansen bei den Grünen: Der Feminismus sei in ihrem Gründungsakt „verankert“ worden. Allerdings hätten sie heute Schwierigkeiten, „ihre emanzipatorischen Politikkriterien fortzuschreiben“.

Der letzte Teil des Buches ist wiederum sehr spannend und bietet wertvolle Anregungen für die öffentliche Debatte um die Zukunft von Arbeitsgesellschaft und Sozialstaat. In groben Skizzen entwirft Mechtild Jansen ihre Visionen einer besseren Gesellschaft. Ihr „Ausgangsmaßstab für Menschenrechte, Gerechtigkeit und Freiheit“ ist dabei nicht mehr „der (statusmäßig) ,oberste‘ Mann (und sein Normalzustand), sondern die ,unterste‘ Frau (und ihr Normalzustand).“ Jansen fordert Existenzsicherung und Selbstbestimmung für jedes einzelne Individuum statt Hausfrauenehe und Familienoberhäupter. „Dann dynamisiert und ändert sich notwendigerweise das gesamte Gefüge von Privatem und Öffentlichem, von Liebe und Arbeit, von Privathaushalt, Staat und Wirtschaft und jedem seiner Einzelteile.“ Ein neuer Geschlechtervertrag sei zu entwerfen, dem ein anderer Produktivitätsbegriff zugrunde liegen müsse. Alle gesellschaftlich notwendige Arbeit, also auch die unbezahlte „Liebesarbeit“, sei einzubeziehen. Effekt: „Jede und jeder würde einen Teil an unbezahlter Arbeit verrichten. Wir würden sehr viel mehr selbstbestimmt arbeiten, leben, zusammenleben und lebendige Gesellschaft neu stiften.“

Mechtild Jansen: „Das Claudia- Nolte-Phänomen“. Dietz Verlag Bonn, 208 Seiten, 36 DM