piwik no script img

Die Metal-Szene der DDRMit Dezibel und Funkenflug

Für Fans war es eine Flucht aus dem Alltag, düster war nicht nur die Musik. Das Museum in der Kulturbrauerei erinnert an „Heavy Metal in der DDR“.

Eine selbstgebaute Spielzeug-E-Gitarre der Bauform „Solid Guitar“ von DDR-Heavy-Metal-Fans Jens Müller Foto: Stiftung Haus der Geschichte/Johannes Kramer

Eine Gitarrendämmerung über einem Vulkangletscher, komplett mit Blitz und Donner und einem Himmel in den Farben der Hölle, hat der Grafiker Thomas Wilke für die Ostberliner Heavy-Metal-Band Formel 1 aufgehen lassen. Die Szenerie bildet das Frontcover des Albums „Live im Stahlwerk“, das 1986 erschienen und jetzt eines der Exponate der Ausstellung „Heavy Metal in der DDR“ im Museum in der Kulturbrauerei ist.

Der Natur der Sache gemäß hat Wilke keine schnöde Stromgitarre in das Bildzentrum gerückt, sondern eine Gibson Flying V, eines der Insignien schwermetallischer Rockmusik. Das Gitarrenmodell mit dem pfeilförmigen Korpus wurde von Jimi Hendrix gespielt, bis zu dem sich Hard Rock und der daraus hervorgegangene Heavy Metal zurückverfolgen lassen; vor Hendrix spielten bereits die Bluesmusiker Lonnie Mack und Albert King das Instrument. Blues, schlagen Sie nach bei Robert Johnson, ist Teufelsmusik. Der alte Widersacher hat im Metal eine Ehrenloge. Mit Jugendkultur in der DDR hat das einiges zu tun.

„Heavy Metal in der DDR“ ist eine sparsame, aber sehenswerte Ausstellung, die für das eine oder andere Déjà-vu sorgt. Einige sind erfreulich, andere nicht. Der Rundgang beginnt mit einer Wand, sie ist schwarz. Darauf wird der Ausstellungstitel projiziert, das Lettering zitiert das Bandlogo der frühen Metallica-Alben. Dann empfangen Biest, eine der bekanntesten Bands des DDR-Metal, mit dem Video eines Konzerts. Auf einem Foto trägt ein Besucher ein T-Shirt der zeitlos relevanten Punkband Dead Kennedys.

Hinter der Wand hängt ein Plakat des Jugendorganisation Freie Deutsche Jugend (FDJ), darauf eine fröhliche Jugendliche im Blauhemd, über ihr der Slogan „Meine Heimat – DDR“. Plakate wie dieses gehörten zum staatlichen Bühnenbild. Es empfiehlt sich, begleitend die ebenfalls im Museum in der Kulturbrauerei laufende Dauerausstellung „Alltag in der DDR“ zu besuchen. So unterschiedlich Erinnerungen auch notwendigerweise sind, gibt sie einen Eindruck davon ab, wohinein Heavy Metal in der DDR mit Dezibel und Funkenflug fuhr.

Videointerviews mit Zeitzeugen

Die Ausstellung

Heavy Metal in der DDR: Museum in der Kulturbrauerei, bis 9. Februar 2025

Neben der Jugendfreundin ist ein Jugendzimmer nachgebaut, mit Regal, beklebtem Kassettenrecorder, schwefelgelb-schwarzem Kassettenkarussell „scona variant“ mit akribisch beschrifteten Tapes von Westbands und einem „Compliment“-Plattenspieler samt der 1989 erschienenen Biest-EP „Crash Trash“. An einer von mehreren Hör­stationen erzählen Zeitzeugen in Videointerviews von ihrem Weg zum Metal.

Bei einem war es ein Versehen: Ein Freund hatte die Oma – Rentner durften in den Westen und wurden zu Schallplattenkurieren – um eine Platte der Progrocker Yes gebeten. Die gab es nicht, stattdessen wurde der Dame das Motörhead-Album „Another Perfect Day“ mitgegeben. Der Enkel war davon nicht zu überzeugen und verkaufte die Platte für 100 Ostmark an seinen Freund.

An einer nächsten Hörstation kann in Hard- und Heavy-Alben hineingehört werden, die in den achtziger Jahren zum Kanon gezählt werden konnten: AC/DC, „Back in Black“, Kreator, „Pleasure To Kill“, Judas Priest, „British Steel“, das einzige Studioalbum von Black Death, der ersten afroamerikanische Heavy-Metal-Band, und Girlschool/Motörhead, „St. Valentine’s Day Massacre“. Girlschool traten 1981 in der DDR-Jugendsendung „rund“ auf.

Dann Iron Maiden mit „The Number Of The Beast“, daraus der Titel „Run To The Hills“. Hier wird es interessant, geht es in dem Song doch um den Kampf zwischen amerikanischen Ureinwohnern und europäischen Siedlern. DDR-Jugendliche sind mit Geschichten von kämpfenden Unterdrückten aufgewachsen, gleichzeitig wuchs in der nominalsozialistischen Müdigkeit eine Leerstelle. Heavy Metal, zu dessen Ästhetik unbedingt Rebellion und nicht selten Ursprünglichkeit gehört, konnte da anknüpfen.

„Live im Stahlwerk“ von Formel 1 war die einzige Heavy-Metal-LP der DDR Foto: Stiftung Haus der Geschichte/Johannes Kramer

Nicht fehlen dürfen an der Hörstation Metallica, „Master Of Puppets“. Das Cover ihres 1983er Debütalbums „Kill ’Em All“ mit der Abbildung eines Hammers in einer roten Lache sollte drei Jahre später im DDR-Metal eine Entsprechung finden; bei Formel 1 nämlich. Auf „Live im Stahlwerk“ hatte Thomas Wilke neben der Gibson-Gitarre auch einen Hammer platziert, nur hatte der offenbar gerade dazu gedient, das Eismassiv aufzubrechen. „Live im Stahlwerk“, herausgebracht vom staatlichen Plattenlabel Amiga, ist übrigens tatsächlich im Kulturhaus der Stahl- und Walzwerker „Wilhelm Florin“ in Hennigsdorf bei Berlin aufgenommen worden.

Beherzter Eskapismus

War der DDR-Heavy-Metal eine proletarische Angelegenheit? Der beherzte Eskapismus der Szene spricht dafür. Auf jeden Fall lässt sich über Formel 1 ein Strang an den Anfang der DDR-Rockmusik verfolgen. Formel 1 war 1981 von Mitgliedern der Band Joco Dev gegründet worden, die Ende der Sechziger-, Anfang der siebziger Jahre populär war und deren Song „Stapellauf“ als Feier oder Utopie befreiter Arbeit verstanden werden kann. Der Eindruck von Heavy Metal in der DDR als Szene hart arbeitender, ansonsten ordentlicher junger Menschen, deren Feierabend und Wochenende in Nieten und Leder ging, drängt sich auf.

Zu der Geschichte gehört genauso die der 1985 gegründeten Erfurter Band Macbeth, die es zu DDR-Zeiten nicht zu einer LP bringen konnte. Die Ausstellung erzählt, wie Macbeth ohne Spielerlaubnis begannen und Verbote wegen „Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“ kassierten.

Alles richtig gemacht, möchte man meinen, nur wurde es für Macbeth bald sehr ernst. Im September 1986 gab die Band ein tumultartig verlaufendes Konzert im Erfurter Stadtgarten, die Behörden leiteten Maßnahmen ein zur – im O-Ton – „Disziplinierung bzw. Liquidierung“. Am Ende standen ein Schuldenberg, ein Gerichtsverfahren und die Haft des Sängers Detlev Wittenburg. Im Dezember 1989 hat er sich erhängt. Dem waren mehrere Versuche vorausgegangen.

Zu der Geschichte gehört eine Düsternis und Härte, die nicht musikalische Imagination, sondern politisch-soziale Realität war. Die DDR der achtziger Jahre war eine späte Gesellschaft; zu den Indikatoren zählte eine keinesfalls nur latente Gewalt. Eine Band wie Biest hat das offen angesprochen.

Die Ausstellung zeigt das Faksimile eines Polizeiberichts an die Staatssicherheit über rassistische Übergriffe im Umfeld von Konzerten. Darin findet sich eine Aussage zur Rolle der FDJ-Ordnungsgruppen, eines auch auf Konzerten und Veranstaltungen tätigen Sicherheitsdienstes: „Es entsteht in letzter Zeit im I-Werk der Eindruck, dass die Ordnungsgruppe bei Auseinandersetzungen die Täter schützt, die Geschädigten aus dem Saal schafft und selbst noch verprügelt“. Die Angegriffenen waren Kubaner. So viel zu „Meine Heimat – DDR“.

Ost-Metal nach der Wende

Die Ausstellung verschweigt nicht, dass es dem Ost-Metal nach dem Mauerfall nicht gut ging. Schon das legendäre Konzert von Kreator, Tankard, Coroner und Sabbat in der Ostberliner Werner-Seelenbinder-Halle im März 1990 mutet jetzt wie ein Aufbäumen an. Der Auftritt der Norweger Mayhem im Leipziger Eiskeller vom November 1990 erscheint als Vorbote einer noch weitergehenden Finsternis, die aus der Geschichte der befreiten neunziger Jahre nicht weggedacht werden kann.

„Freiheit, Wohlstand, Einheit. SPD“ verkündet auf einem Foto das einzige Wahlplakat an einer ramponierten Litfaßsäule irgendwo im Osten, vor der Disco Karussell. Sie ist zugesperrt. Mittlerweile hat sich, auch um das in der Ausstellung vertretene Fanzine Eisenblatt, eine wieder aktive Szene gebildet. Eine informative Website und ein Label für Wiederveröffentlichungen und Archivfunde gehören dazu. Das muss nicht nostalgisch sein. Gegen wieder schlechte Zeiten braucht es schon mal böse Musik.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Da fehlt doch wieder mal der kompetente und vermisste Ringelnatz1

    • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      anschließe mich

      ps hab an Micha weitergeleitet