Die Malerin Hilma af Klint: Experiment der Moderne
Reich an Blüten und Blasen und doch auf dem Weg zur Abstraktion: Das Werk der schwedischen Malerin Hilma af Klint (1862-1944) ist in Berlins Nationalgalerie zu sehen.
Udo Kittelmann, der Direktor der Berliner Nationalgalerie, widersprach seinen Vorrednerinnen: „Nein, die Geschichte der Kunst muss nicht umgeschrieben werden.“ Iris Müller-Westermann vom Moderna Museet, Stockholm, und Gabriele Knapstein von den Staatlichen Museen zu Berlin erweisen ihrer neu- oder auch wiederentdeckten Heldin, der schwedischen Malerin Hilma af Klint (1862–1944), einen Bärendienst, indem sie ihr Werk als bislang unbekannte Sensation einer vorzeitigen Abstraktion ankündigen.
Iris Müller-Westermann sagte auf der Pressekonferenz zur Ausstellung im Hamburger Bahnhof, dem Berliner Museum für Gegenwartskunst, af Klint zwinge uns, „die Kunstgeschichte neu zu sehen“.
Damit schrauben die Kuratorinnen die Erwartungen so hoch, dass die vielen, erstmals im Original zu sehenden Arbeiten nur enttäuschen können. Wirken sie auf den ersten Eindruck doch eher blumig-ornamental als abstrakt und stellt die Idee, die Pastellkreidefarben des Kindermalbuchs in das große Format der Leinwand zu überführen, zwar ein eigenwilliges und originelles Konzept dar, das die meist streng symmetrisch angelegten Kompositionen dann aber doch stark an die Illustration annähert.
Wenig beachtete Perle
Udo Kittelmann sieht im malerischen Werk af Klints eine bislang wenig beachtete Perle der Kunst des 20. Jahrhunderts. Deren Schnur, so viel Sensation muss sein, wird jetzt mit der rund 200 Arbeiten umfassenden Präsentation, die in Zusammenarbeit mit dem Moderna Museet, Stockholm, und dem Museo Picasso, Málaga, entstand, immerhin neu aufgefädelt. Und dieser Vorgang verdient durchaus unser Interesse.
Wie kommt eine akademisch ausgebildete Malerin – Hilma af Klint schloss 1887 die Königliche Akademie der Schönen Künste in Stockholm mit Bestnoten ab – schon 1905 dazu, abstrakt zu malen? Sigmar Polke trifft den Punkt, mit seinem berühmten Kalauer zum Ursprung der abstrakten Kunst: „Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen!“
Bekanntlich ist ja das Experiment der Moderne stark von okkulten, spiritistischen Strömungen, von Theosophie und später Anthroposophie unterspült. Hilma af Klint, die schon zu Studienzeiten an spiritistischen Sitzungen teilnahm, ist da ganz Kind ihrer Zeit. Mit ihrer weiblichen Unterstützergruppe „De Fem“ (Die Fünf) veranstaltete sie Séancen, wobei sie mit spirituellen Geistwesen in Kontakt trat. Um deren Botschaften an die Menschheit zu übermitteln, übten sich „De Fem“ schon lange vor Breton und den Surrealisten im automatischen Schreiben und Zeichnen.
Das höhere Wesen befiehlt
1904 wird die Kapitänstochter dann vom höheren Wesen Amaliel beauftragt, „Die Gemälde zum Tempel“ zu erstellen: „Ich hatte keine Ahnung, was die Bilder darstellen sollten, und dennoch arbeitete ich schnell und sicher, ohne einen Pinselstrich zu verändern.“ Zwischen 1906 und 1908 entsteht eine Folge von 111 Bildern von mandalaähnlichem Charakter, die wie beim Diagramm oft mit Schrift und Lineaturen versehen sind.
Die erstmals verwendete Schnecken- und Spiralform durchzieht bis zum Ende ihr Werk. Während sie öffentlich nur ihre naturalistischen Arbeiten ausstellt, hält sie das abstrakte Werk von mehr als 1.000 Arbeiten zeitlebens geheim beziehungsweise zeigt sie es nur wenigen Eingeweihten, unter anderem Rudolf Steiner, den sie erstmals 1908 traf. Testamentarisch verfügte sie, dass diese Arbeiten frühestens 20 Jahre nach ihrem Tod öffentlich gezeigt werden dürfen.
Damit hatten ihre Bilder nie Einfluss auf das zeitgenössische oder nachfolgende Kunstgeschehen. Sie begriff ihre Malerei als Forschung und Auftrag, die geistige Dimension der menschlichen Existenz jenseits des Sichtbaren zu erkunden; um einen Personalstil ging es ihr nicht. Man könnte ihn trotzdem in ihren riesigen Formaten – ein paar Zentimeter mehr und sie passten nicht in die Räume des Hamburger Bahnhofs – entdecken. Die bunten, spielerisch gewundenen Schlaufen, die luftigen Blütenrosetten, geschneckten und gedellten Blasen der 1907 entstandenen Werkgruppe IV „Die zehn Größten“ haben, weil visuell überaus eingängig, einem Touch von Geschenkpapier.
Himmel des Kunstmarktes
Hilma af Klint, so viel wird im Rundgang durch die Ausstellung klar, wäre sofort ein hell leuchtender Stern am Himmel des Kunstmarktes, entschieden sich ihre Erben, die ihr Werk bislang in einer Stiftung zusammenhalten, für einen Verkauf.
Den nachhaltigsten Eindruck hinterlassen kleinere Papierarbeiten, vor allem aus den 20er Jahren, wie die geometrisch akzentuierte Serie V, in der auch endlich mal die Aureole der Erleuchtung fehlt. Faszinierend sind ihre Pflanzenstudien, ob naturalistisch oder in Verbindung mit geometrischen Formen, wie beim Weizen- und Haferkorn von 1920 oder „Kornähre“ von 1922. In dieser Abstraktion, die in der Biologie wurzelt, ist Hilma af Klint zwar nicht die beschworene Pionierin der Abstraktion, aber deutlich Teil des Experiments der Moderne.
Bis 6. Oktober, Hamburger Bahnhof, Berlin, Katalog (Hatje Cantz) 29,90 Euro
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