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Die Kunst der WocheMalerei, die für sich spricht

Bei Meyer Riegger verwandelt Miriam Cahn Leinwände in Textkörper. Bei Max Hetzler erweitert Janaina Tschäpe ihre Bilder mit poetischen Titeln.

Miriam Cahn „Traumbefehl“ 2025, 174 Elemente, Installationsansicht bei Meyer Riegger Foto: Oliver Roura, courtesy of the artist and Meyer Riegger

W ie ein Buch präsentiert sich die aktuelle Ausstellung von Miriam Cahn in der Galerie Meyer Riegger. Es ist ein Buch mit 174 Seiten, denn so viele Bilder hat Cahn dort arrangiert. Sie gehören zusammen, bilden eine Abfolge, bauen aufeinander auf, nehmen Bezug oder Fäden wieder auf, imitieren sich, ironisieren sich, äffen sich nach. „Bitte im Raum links starten“, sagt der Galeriemitarbeiter bei der Begrüßung, denn dort geht es los, Bild hängt neben Bild, von Wand zu Wand verläuft der vorgegebene Weg, von Raum zu Raum, vom Erdgeschoss in den ersten Stock und wieder nach unten, dort dann in den Raum rechts neben der Tür.

Und dabei geht es um die großen Fragen des Menschseins, des In-der-Welt-Seins mit all seinen Höhen und seinen Tiefen. Ums Leben, ums Altern, ums Sterben, ums Sprechen und Schweigen, ums Wollen und Müssen, ums nicht Wollen und nicht Müssen, ums Fühlen und Denken, ums Schlafen und Träumen – „Traumbefehl“ heißt die Ausstellung schließlich. Und es geht um die Abgründe des menschlichen Daseins: ums Töten, Morden, Jagen und Vergewaltigen.

Schonungslos und radikal hat sich Miriam Cahn schon immer mit der Welt beschäftigt, die uns umgibt. Geburten hat sie darstellt, völlig ungeschönt, oder versucht, das Grauen, das Traumatische von sexueller Gewalt, Kriegen oder Fluchten abzubilden. Nur hat sie das bislang figurativ getan.

Solche Bilder gibt es auch noch, es überwiegen aber solche, wie man sie nicht von ihr kennt. Statt Körpern hat sie vor allem Text auf Holz, Leinwand, Papier gepinselt oder geschrieben. Sogar abstrakte Arbeiten hängen dazwischen. Eine Rothko-Imitation, Streifenbilder à la Richter. Für ein wenig Kritik am Kunstbetrieb ist eben auch immer Platz.

Die Ausstellungen

Miriam Cahn: „Traumbefehle“. Meyer Riegger, bis 17. Januar 2026, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Schaperstr. 14.

Janaina Tschäpe: „A gush of wind (Atemraum)“. Max Hetzler, bis 31. Januar 2026, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Potsdamer Str. 77-87.

Das Flirren der Wasseroberfläche

Eine andere Größe der Kunstgeschichte kommt einem in den Sinn, wenn man an den riesigen Leinwänden von Janaina Tschäpe bei Max Hetzler an der Potsdamer Straße entlanggeht. Sind es die Farben, die an Claude Monets Seerosen erinnern? Ist es das Fließende, das Flirrende ihrer Motive? Die pure Größe ihrer Bilder?

Oder ist es der Effekt, den man beim Betrachten erlebt, wenn man nah herangeht an ihre Arbeiten und sich dann Schritt für Schritt von ihnen entfernt? In der Distanz erst, lassen sie sich erfassen, wenn sich das, was Tschäpe mit Ölfarbe und Ölkreiden auf die Leinwand gebracht hat, in Bewegung zu setzen scheint. So, wie es ja auch bei den Gemälden des Impressionismus der Fall ist.

Die Bilder der deutsch-brasilianischen in New York lebenden Malerin evozieren Stimmungen, Ahnungen von Landschaften, deuten an, entwickeln einen Sog.

Stoff für die Interpretation liefern dabei auch die Titel der Arbeiten, in denen Tschäpe Lyrik zitiert und remixt, Portugiesisch, Englisch und Deutsch kombiniert, weil eine Sprache oft nicht ausreicht. Manchmal, je länger man schaut, scheint man dann sogar Buchstaben auf den Bildern zu erkennen.

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Beate Scheder
Kulturredakteurin
Redakteurin für Berlinkultur, freie Kulturjournalistin und Autorin. Kunstkolumnistin beim taz Plan.

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