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Die Kunst der WocheSich einfach mal dem Camp hingeben

Bei Capitain Petzel bringt Matthew Lutz-Kinoy die Räume zum Tanzen. Bei Stations am Kotti machen Kathrin Wojtowicz & Anna Holtz die Architektur porös.

Matthew Lutz-Kinoy: „Bolero Bordello“, Installationsansicht bei Capitain Petzel, Berlin, 2025 Foto: GRAYSC; Courtesy der Künstler und Capitain Petzel

D er New Yorker Künstler Matthew Lutz-Kinoy übergibt einfach dem Raum die Performance. Seine Ausstellung „Bolero Bordello“ ist Kulisse, Bühne und Zuschauerraum zugleich. Transparente Stoffbahnen hängen von den meterhohen Decken des gläsernen, ostmodernen Pavillonbaus an der Karl Marx-Allee der Galerie Capitain Petzel.

Sie sind bemalt mit breiten Schlieren und Rundungen. Überall tauchen die Silhouetten tanzender Körper auf, sie sind auf dem Musselin-Stoff zu sehen, oder ihre sich bäugenden, krümmenden, zum Sprung ansetzenden Gestalten schimmern von den vielen Leinwänden in der Galerie durch ihn hindurch, schmiegen sich in den Augenwinkel, stehen manchmal direkt vor einem.

Lutz-Kinoys Kunst ist eine Art sanfter Ekklektizismus: Seine ausgestellten Malereien zeigen pastellfarbene Anleihen an den Rokoko, haben die großgestischen Pinselstriche des Informel und die androgynen Tanzenden wirken wie aus der Zeit des frühen Expressionismus auf seine Bilder gekommen.

Deren Figuren und Bewegungen hat Lutz-Kinoy dem berühmten Ballet Russe nachempfunden, dem Avantgarde-Ballettensemble, gegründet von dem russischen Impresario Sergei Djagilew. Aufsehenerregend muss 1910 seine Uraufführung von Igor Strawinskys „Feuervogel“ im Pariser Théatre National de l’Opéra gewesen sein. Eine Figurine, die der russisch-französische Bühnenbildner Léon Bakst zu dieser Aufführung angefertigt hatte, ähnelt Lutz-Kinoys scherenschnittartigen Körpern und den runden Gesichtern.

Die Ausstellungen

Matthew Lutz-Kinoy: „Bolero Bordello“. Galerie Capitain Petzel, bis 20. Dezember, Di. – Sa., 11 – 18Uhr, Karl-Marx-Allee 45

Anna Holtz/Kathrin Wojtowicz: „Areal“, Stations, bis 13. Dezember, Besuch nach Vereinbarung unter contact@stations.zone, Adalbertstrasse 96

Und in diese sinnliche Zusammenkunft der Künste setzt der 1984 geborene Lutz-Kinoy noch riesige Rosen. Auf Lampions, die von der Decke hängen, und auf seine großformatigen Leinwände. Überzogene, theatrale, rote Rosen. Manch eine seiner runden, abstrakten Formen auf den Gemälden wirkt dann wie ein rosiger Popo oder ein üppiger Schenkel, der sich an die Blütenknospe schmiegt. Ganz viel Camp schwingt also durch diesen Raum. Man darf sich ihm hingeben und davon bespielen lassen.

Blick in die Ausstellung „Areal“ von Anna Holtz und Kathrin Wojtowicz bei Stations, kuratiert vom Wiener Projektraum Schleuse Foto: repro-photo.net

In die Architektur eingeschrieben

Wie sich der Raum sozial wandeln kann und sich dies in die Architektur einschreibt, davon handelt die trocken mit „Areal“ betitelte Ausstellung von Kathrin Wojtowicz und Anna Holtz bei Stations im Neuem Kreuzberger Zentrum (NKZ) am Kottbusser Tor. In jenem mächtigen, 1974 fertiggestellten, halbkreisförmigen Gebäuderiegel, Produkt des Westberliner Stadtsanierungswahns, für dessen 367 Wohnungen auf 12 Etagen derart viel Stahlbeton verbaut wurde, dass er praktisch unsanierbar ist.

Anna Holtz tapezierte Kopien einer Akte zum NKZ aus dem Stadtarchiv an die Wände des Ausstellungsraums. Vom Unmut der Mie­te­r:in­nen in den Sozialwohnungen des schnell heruntergekommenen Baus liest man dort, wie sich eine Initiative der eigentlich migrantisch geprägten Bewohnerschaft 1977 nur an „rein deutsche Mieter“ richtete. „Ich habe generell nichts gegen Ausländer, aber es sind zu viele Türken hier“, wird jemand in der Akte zitiert.

Quasi als innenarchitektonisches Gegenstück zu solch xenophober Geschlossenheit tauschte die in Berlin lebende Holtz einige der charakteristischen 1970er-Jahre-Deckenpaneele mit denjenigen aus dem Café Kotti nebenan aus. Zu den hellen White-Cube-Exemplaren des Ausstellungsraums gesellen sich nun die nikotinvergilbten der Kneipe. Sie sind von den Café-Kotti-Gästen gestaltet worden: Eine kitschige Stadtsilhouette, psychedelische Kritzeleien, eine Lady in SM-Lederkluft, was den Leuten halt beim Bier in den Sinn kommt.

Im Zuge behutsamen Stadterneuerung im Kreuzberg der 1980er-Jahre wurde das öffentlich vielfach kritisierte NKZ wieder umgewandelt. Man nahm ihm seine Riegelhaftigkeit und öffnete es mit Passagen zu den umliegenden Straßen.

Öffnen, dafür braucht man Türen. Nach dieser einfachen Formel ließ die in Wien lebende Kathrin Wojtowicz Fotoaufnahmen von Türen und Toren auf Spiegeln drucken. Auf den matt reflektierenden Spiegelflächen zeichnet die körnige Druckfarbe mal Aufzugtüren, Rollläden oder die Nahaufnahme einer Türklinke des Borkenhauses auf der Pfaueninsel ab. Eine skurille Aneinanderreihung ist das, ganz clean mit kleinen Metallkettchen an die sauberen Wände gehängt. Obwohl: Sauber, seltsam, anders, dreckig, solche Kategorien gilt es hier auch einfach mal zu missachten.

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Sophie Jung
Kunstredakteurin
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