Die Kunst der Woche: Umgestaltung der Dinge
Billy aus dem Häuschen, Espresso der Langsamkeit: Diese Woche ändern sich die Verhältnisse mit Werken von Krys Huba und Atiéna R. Kilfas.

F ür die Darstellung des Standardisierten, mit dem wir uns umgeben, mit und in dem wir uns einrichten, hat Künstler*in Krys Huba ein Material gefunden, das sich dafür wie kaum ein anderes eignet: Billy Regale. Huba sucht die Ikea-Möbel auf Kleinanzeigen, bei eBay oder auf der Straße, benutzt mit Vorliebe solche Exemplare, die Spuren des Gebrauchs zeigen, die abgelebt oder ausgeblichen sind.
In Hubas Ausstellung „All of these records; tell me bee“ im Künstlerhaus Bethanien entdeckt man sie wieder, als Elemente von Raum einnehmenden Installationen. Zusammengebaut sind sie dort freilich nicht nach Bedienungsanleitung, zeigen lässt sich an den Pressspanbrettern eben auch, wie leicht sich Dinge auseinandernehmen und umgestalten lassen.
Fast wie Gebäude wirken die Regalkonstruktionen. Behausungen und wie diese von ihren Bewohner*innen angeeignet werden, ist etwas, was Huba umtreibt. Nicht nur, was Menschen betrifft. Zu jener, bereits im Ausstellungstitel benannten fiktiven Figur „bee“ etwa, haben Huba unter anderem ein paar Röhrchen aus einem Insektenhotel inspiriert, die im „Lost & Found“ des Atelierhauses gelandet waren. Bee ist nun unter anderem eine von zwei Personen, die sich in Hubas zur oder während der Arbeit an der Ausstellung entstandenen Texten im Dialog über das sich Finden und sich Zurechtfinden unterhalten. Und der Grund, warum man bei den gelblichen Latexschichten, die Huba an den Billy-Wänden befestigt hat, sofort an Bienenwachs denken muss.
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Überhaupt spielt Huba mit Assoziationen, mit vertrauten Bildern – indem Huba in die Billy-Wände Zeichen und Texte ritzt etwa, wie vielleicht fast jede*r damals im Jugendzimmer, und diese als Latexabdrücke ausstellt. Oder indem dey Fundstücke, Alltagsdinge, Kitschiges liebevoll platziert. Via Malerei wiederum widmet Huba sich Subjekten, malt Körperteile, Oberkörper vor allem, die sich binären Geschlechterkategorien entziehen und mal mehr, mal weniger an Schmetterlinge erinnern. Ein Wesen, das sich transformiert, das für Übergänge steht. Darum eben geht es stets bei Huba, um Veränderlichkeit, Fluidität. „All of these records; tell me bee“, zweites Kapitel der Reihe „Becoming B“ im Künstlerhaus Bethanien, spürt queerer Identität nach, fragt nach Zugehörigkeiten, subtil, poetisch, leichtfüßig.
Das Schnelle verlangsamt
Der allmorgendliche Spielbetrieb in der heimischen Küche: Kaffee aufbrühen, in die Tasse gießen, ein Stück Zucker hineinpurzeln lassen. Dazu der Blick auf die Titelzeilen der Tageszeitung. Atiéna R. Kilfas hat in ihrer Ausstellung in der Galerie Neu – es ist ihre erste in der Berliner Galerie – die Requisiten dafür in Szene gesetzt. Hochglänzend wie Werbung in glossy Magazinen sind die Fotografien des Inneren einer Porzellantasse.
Krys Huba: All of those records; tell me, bee. Künstlerhaus Bethanien, bis 14. September, Mi.–So.: 14–19 Uhr, Kottbusser Str. 10; Performative Lesung & Artist Talk: Krys Huba und Areez Katki, Do. 14. August, 19 Uhr
Atiéna R. Kilfa: En Suite. Galerie Neu, bis 30. August, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Linienstr. 119abc
Einmal drei, einmal sechs nebeneinander, „Espresso Adagio“, den Moment, in dem die Tasse gefüllt wird, in die Länge gezogen, der schnelle Kaffee extrem verlangsamt. So nah und reduziert, dass es fast abstrakt wirkt. Auf den ersten Bildern ist kaum zu erkennen, was man da eigentlich sieht. „Schau genau hin“, das ist es, was die Künstlerin ihrem Publikum auf unterschiedliche Art und Weise zuzuraunen scheint.

Atiéna R. Kilfas, ars-viva-Preisträgerin 2024, 1990 in Frankreich geboren, mittlerweile in Berlin lebend, arbeitet mit Fotografie, Video, Skulptur und Installation, untersucht (westliche) Bildtraditionen, visuelle Archetypen, filmische Konventionen, dechiffriert die Rolle von Bildern im Film, hinterfragt, wie diese ein Zeitgefühl schaffen, Ideen vermitteln, Perspektiven lenken.
Bei den beiden motorisierten, auf Aluminium übertragenen Zeitungen ist das mit dem genauen Hinschauen allerdings ein wenig kompliziert. Die zwei Zeitungstitel im Tabloid-Format drehen sich so schnell um sich selbst, dass man die Schlagzeilen kaum lesen kann. Wie in alten Filmen oder wie im Trickfilm, wenn die Neuigkeiten hereinprasseln. Man muss einen Trick anwenden, sie mit dem Smartphone aufnehmen, dann auf Pause drücken.
Einem Film Noir scheint indes die Szene entsprungen, die ein schwarz-weißer Stummfilm zeigt, den man erst sieht, wenn man hinter eine Wand geht: ein älterer Herr in einem altmodisch-eleganten Büro. Sein Kinn hat er wie zum Nachdenken auf die Hand gestützt, ernst schaut er in die Kamera. Oder nicht? Etwas stimmt nicht, der Schein trügt. Man muss weiterschauen, um das herauszufinden. Was es ist, sei an dieser Stelle nicht verraten. Viel besser ist es, es mit den eigenen Augen in der Galerie zu sehen.
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