Die Kunst der Woche: Tod und Wiederkehr
Januar der Wieder- und Neuentdeckungen: Die Autonomie des Bildes mit Kilian Breier, HELMAs meisterhafte Malerei und Serena Messalinas Blick auf Punk.
S ein Selbstporträt zeigt ihn als schmalen jungen Mann, der sein Gesicht der Kamera zuwendet, aber seinen Blick an ihr vorbei in unbestimmte Räume schweifen lässt. Es ist auch nicht ganz klar, wo er sich befindet. Der Hintergrund, vor dem er steht, könnte ein abstraktes Bild sein, wirkt aber irritierend räumlich, dreidimensional.
Was genau wir sehen bleibt auch bei den anderen Fotografien von Kilian Breier (1931-2011) ein Rätsel. Das war von ihm so gewollt. Wobei es ihm nicht um das Rätsel ging. Er fand Fotografien einfach zu motivabhängig, die Fotografen liefen ihm regelrecht hinterher. Ihm ging es um die Autonomie des Bildes, das von seiner mimetischen Funktion losgelöst nun als bildgeneratives Potential zu sehen ist.
Das Ergebnis sind beeindruckende grafische bis malerische Abstraktionen, modernistische Raster und Strukturen. Anfangs lassen sich seine Aufnahmen wie etwa ein „Wald 1“ von 1955 der „subjektiven fotografie“ zuordnen, bei deren Ideengeber Otto Steinert Breier zu dieser Zeit studierte. Später gibt es Verbindungen zur konkreten Fotografie und generativen Ästhetik wie sie Gottfried Jäger und Max Bense vertraten.
Breiers Raster- und Strukturbilder sind schließlich aus der Bekanntschaft mit den ZERO-Künstlern und der gemeinsamen Faszination für das Licht zu verstehen. Mit ihnen nahm Breier in den 1960er Jahren in wichtigen Kunstausstellungen wie „La nuova concezione artistica“ in der Mailänder Galerie Azimuth von Enrico Castellani und Piero Manzoni (1960), „Konstruktivisten“, 1962 im Schloss Morsbroich oder „Europäische Avantgarde“ in der Galerie d in Frankfurt am Main (1963) teil.
Heute stellt die Alfred Ehrhardt Stiftung diesen wichtigen experimentellen Fotokünstler der Nachkriegszeit in einer von Franziska Schmidt großartig zusammengestellten Werkschau mit rund 50 Fotografien aus der Zeit von 1950 bis 1980 als Wiederentdeckung vor. „Kilian Breier – Am Nullpunkt der Gestaltung“ ist eine Museumsschau in nuce (denn die von Florian Ebner vorbereitete große Retrospektive im Essener Folkwang Museum kam wegen seines Wechsels ans Centre Pompidou nicht zustande) und zeigt Fotografien abstrahierter Naturformen wie Gestrüpp, gestapeltes Holz oder die Jahresringe eines gefällten Baumes.
Parallel dazu entstehen kameralose Aufnahmen von Gräsern, Blättern und anderem Pflanzenmaterial, die direkt auf das lichtempfindliche Fotopapier gelegt werden. Seine Suche nach rein fotografischen Gestaltungsmöglichkeiten war ungeheuer einfallsreich, so dass man bei sehr vielen Bildern – vor allem den Rasterbildern – nur zu gerne wüsste, wie sie zustande gekommen sind.
Natürlich hat er das Negativ bearbeitet, es beschädigt, also etwa verklebt und bei den kameralosen Arbeiten das Fotopapier gefaltet und zerknüllt, um den Lichteinfall zu irritieren. Er kehrte die Reihenfolge von Belichtung, Entwicklung und Fixierung um, bis zu dem Punkt an dem er Belichtungen auch gar nicht mehr fixierte. Deshalb schützen Tücher einige Vitrinen in der Alfred Ehrhardt Stiftung. Sie lassen sich anheben und dann sieht man unter dem Glas auf chemisch behandelten Fotopapieren wunderschöne Farbverläufe, die oxidieren und verblassen. Breiers Experimente mit der Bildentstehung schließen den Zerfall, den Tod des Bildes mit ein.
Die Sprache der Gewächse
Der Tod ist bei HELMA sehr gegenwärtig, obwohl ihr malerisches Werk doch das Leben feiert. Das Paradox erklärt sich dadurch, dass sie gerne unter die Erde schaut, wo eben Leben und Tod zusammenkommen. Dort sieht sie Gräber und im 200 x 250 cm messenden Format „Mördergrube“ von 1988/89 auch Schädel en masse. Aber sie beobachtet auch die schönsten Blumen, die bereits über die Schädel hinauswachsen. Natur steht für Kreislauf, für Verwandlung. Ein ganz wesentliches Motiv in ihrem Werk, gerne in kafkaesker Version.
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Auch HELMA, in den 1980er und 1990er Jahren eine viel ausgestellte und in wichtigen Sammlungen vertretene, bekannte Künstlerin, ist heute, 30 Jahre später, eine Wiederentdeckung. Bevor sie im Februar im Rahmen des Förderprogramms re-discover auf der art Karlsruhe zu sehen sein wird, zeigt die Galerie Poll anlässlich HELMAS 85. Geburtstag unter dem Titel „Traumwelten“ Arbeiten aus verschiedenen Jahrzehnten.
Die in akribischer, meisterhafter Perfektion in Öl auf Leinwand gemalten Szenerien HELMAS werden gerne als surreal bezeichnet, doch könnte man die 1940 in Berlin geborene Künstlerin, die seit 1964 mit dem Maler Wolfgang Petrick verheiratet ist, ebenso gut als Symbolistin verstehen. Bei ihr sprechen nicht nur die Blumen, etwa die Rosen von der Liebe, sondern auch die Farben, etwa das intensive Rot vom Leben, das durch die dornenbewehrten Ranken des Rosenbusches zu fließen scheint, wie Blut durch menschliche und tierische Adern.
Kilian Breier: Abstrakt Konkret – Materie Licht und Form, bis 11. Mai, Alfred Ehrhardt Stiftung, Di.–So. 11–18 Uhr, Auguststr. 75
HELMA: Traumwelten. Galerie Poll, Schaulager, bis 8. Februar, Di.–Sa. 12–18 Uhr, Gipsstr. 3
Serena Messalina: Bad Behavior. Sauers, bis 2. Februar, Do.–Sa. 15–18 Uhr, Denewitzer Str. 7
Überhaupt sind die Tiere, vor allem die Katzen, die die Betrachter:innen mit wunderschönen, unergründlichen Augen direkt anblicken, wichtige Protagonisten ihrer Bilder, in denen die menschliche Figur nicht wirklich vorkommt. Dafür aber die Opfer der Katzen, die Vögel, in all ihrer wunderbaren Pracht. Im „Paradies“ reckt sich dann eine Leiter empor (2002). Sagen nicht die Schamanen, dass es solche Leitern braucht, um zum Licht aufzusteigen?
Die Präsenz von Punk
Wie nasse Putzlappen wirft Serena Messalina die löchrigen Designer-Shirts auf und über die Leinwand. So geht die ironische Version des Wet-T-Shirt-Contest – und das Spiel mit der Zwei- und Dreidimensionalität, konkret mit der Leinwand und ihren Grenzen. Richtiggehend angefressen schaut der Schirm einer Balenciaga-Baseballcap aus, die auch einen Nasenring trägt. Ketten natürlich, Sicherheitsnadeln, Spikes und Buttplugs sind weitere Elemente von Messalinas plastischen und malerischen Arbeiten bei Sauers, einem Projektraum, der vor eineinhalb Jahren in der Nähe des Gleisparks eröffnet wurde.
Eine Arbeit zeigt einen Stapel Bücher unter einer Plexiglashaube. Darunter „Bad Behaviour“, Mary Gaitskills Kurzgeschichten über Außenseiter in New York. „Bad Behavior“ ist denn auch der Titel der Ausstellung, in der sich Serena Messalina mit der anhaltenden Präsenz von Punk in unserer Gesellschaft auseinandersetzt. Obwohl hier und da noch als persönliche Haltung gelebt, ist Punk heute vor allem in modischer Form zum Mainstream-Phänomen geworden.
Die absolut konforme Nonkonformität bringt wenig kulturellen, dafür umso größeren finanziellem Gewinn. Es zeigt sich eine Ästhetisierung nicht der Politik, von der Walter Benjamin einst sprach, sondern eine Ästhetisierung der Anarchie. Mit einer ihrer Formen werden wir uns bekanntlich nun vier Jahre lang auseinandersetzen müssen. Die Ausstellung der Stunde.
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