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Die Kunst der WocheRekonstruktion im Archiv

Daniela Comani arbeitet que(e)r zu Autorenschaft und benennt Feminizide. FRANEK verdoppelt bedrohte Tiere. In Pristina überzeugt Dren Maliqis „Spätwerk“.

Daniela Comani, „Orlando’s Library“ (work in progress seit 2021), site-specific Fotoinstallation Foto: Ludger Paffrath + Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz

W er bei Suhrkamp aus dem Fenster in die Räume des Hauses gegenüber schaut, sieht Wände voller Bücher. Ein doch sehr schöner Anblick. Was aus der Entfernung freilich nicht zu sehen ist: Die ausgestellten Bücher sind keine Neuerscheinungen, sondern Klassiker. Allerdings weisen sie eine Korrektur auf, die sie gewissermaßen doch zu Neuerscheinungen macht: Die Geschichten, die sie erzählen, haben das Geschlecht getauscht. Flaubert schrieb also „Monsieur Bovari“, Dostojewski „The Sisters Karamazov“ und Peter Handke berichtet über den „Nachmittag einer Schriftstellerin“.

Den Geschlechtertausch kreierte die Künstlerin Daniela Comani. Als eine Art Doña Quijote De La Mancha verändert sie die Stellung der Frau in der (literarischen) Welt und macht sie sichtbar. Insofern die Künstlerin die Buchumschläge, unter denen die Titel oft weltberühmt sind, mit liebevoller Sorgfalt rekonstruiert, sind die fotografisch ins Regal gestellten neuen Cover ein wahres Vergnügen, zumal es immer wieder kleine witzige Details zu entdecken gibt wie zum Beispiel eine Bibliotheksnummer bei Peter Handke. Überhaupt ist die Installation im Kunstverein am Rosa-Luxemburg-Platz von minimalistischer Eleganz und damit sehr zuträglich der inhaltlichen Brisanz.

Der Schritt von der bunten Pracht der ja oft von bekannten Illustratoren gestalteten Buchumschläge und Titel von „Orlandos Library“, wie die Werkserie heißt, ins Schwarzweiß der Werkgruppe „You are Mine“ ist nur konsequent. In elf Textarbeiten, die Daniela Comani als etwas zerknitterte, extrem vergrößerte Zeitungsausschnitte gestaltet hat, thematisiert sie häusliche Gewalt und Femizid.

Auch hier zielt sie erfolgreich auf eine veränderte, radikalisierte Wahrnehmung, indem sie die Geschlechterrollen vertauscht. Jetzt heißt es „Ich habe ein Messer im Kopf!: Lebenslänglich für Ex-Freundin“ oder „Zurückgewiesene Frau tötet Mann“ oder „29-Jährige gesteht den Mord an ihrem Ex-Freund“.

Tatsächlich sterben Frauen durch die Gewalt von Männern, in einer Welt, in der die Frauen nichts gelten und daher auch kaum vorkommen, wie es die Literatur beispielhaft zeigt. In dieser Welt gibt es natürlich kein Geld für Frauenhäuser. Das ist interessant, denn wir Frauen, die wir arbeiten und Steuern zahlen, finanzieren die Polizei, die Staatsanwälte und Richter, die Wärter und die Gefängnisse in Deutschland, in denen knapp 94 Prozent der Insassen laut dem Statistischen Bundesamt Männer sind.

Wie wäre es, wenn 94 Prozent der Kosten für die Justiz und den Gefängnisapparat von den Steuern der Männer bezahlt würden? Und nur sechs Prozent dieser Kosten von den Steuern der Frauen, deren übrige Steuergelder ansonsten für Gewaltprävention und für Frauenhäuser verwendet würden? Könnte eine dahingehende Petition der Politik Beine machen?

Der Geist bedrohter Tiere

Die Radierung des Luchses entstand 1976. Schon damals war die 1939 in Potsdam geborene Berliner Künstlerin FRANEK von Tieren als Motiv ihrer Kunst fasziniert. Ihr Luchs ist großartig. Das zeigen Fotografien, die jetzt mit dem Wild Life Photographer of the Year-Award ausgezeichnet und veröffentlicht wurden. Zwei hinreißende Aufnahmen zeigen eine Luchsin, hinter der sich ihre drei Jungen verstecken und einen Luchs im Schnee, der sich streckt. Der Preis wurde im England der 1960er Jahre in der Hoffnung ausgelobt, „dass die Auszeichnungen letztlich den Tieren selbst zugutekommen, indem sie ein größeres öffentliches Interesse an ihnen und an diesem so wichtigen Thema wecken: dem Naturschutz.“

Der Erfolg war bis heute wohl eher mäßig. Sonst hätte FRANEK ihre Radierung nicht 46 Jahre später wieder hervorgeholt und übermalt. Der Luchs steht auf der Roten Liste bedrohter Tier- und Pflanzenarten, auf die FRANEK in den 1980er Jahren stieß und die sie zu ihrem Werkzyklus „The spirits of vanishing animals“ anregte.

FRANEK, „Riesenalk“ (The spirits of vanishing BIRDS), 2023, Mischtechnik auf Holz, 90 × 65 cm Foto: Frieder Zimmermann; © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Seitdem ist ein umfangreiches Werk aus Gemälden, übermalten Radierungen, Zeichnungen auf Schiefertafeln und Plastiken entstanden, aus dem die Kuratorin Brigitte Hausmann für die aktuelle Ausstellung im Gutshaus Steglitz schöpft.

Dass FRANEK in ihrer Kunst den Geist der bedrohten Tiere und besonders der Vögel beschwört, ist in ihren Gemälden, ihre Zeichnungen und Papierarbeiten unmittelbar sichtbar. Ihre Bilder, rasch und flüssig wie mit Aquarell gemalt, sind eine Hymne an die Schönheit und die Natur, die weit über eine bloße bildliche Aufzählung der gefährdeten, extrem gefährdeten und bereits ausgestorbenen Tiere hinaus reicht. Aber ihre komplexen Gemälde, in denen sie Tier und Mensch verbindet, sind zugleich ein großes Requiem.

Und deshalb brauchen wir FRANEKs Arbeiten auch als Erinnerung an die Tiere, die wir bald nicht mehr kennen werden und an solche, die bereits ausgestorben sind. Dieser Aufgabe kommt die Künstlerin mit ihren akribischen Zeichnungen auf den Schiefertafeln nach, die sie „Grabsteine“ nennt.

Die Ausstellungen

Daniela Comani: Reading Room, Kunstverein Am Rosa-Luxemburg-Platz e.V., bis 1. November, Do.–Sa. 14–18 Uhr, Linienstr. 40

FRANEK: The Spirit of Vanishing Animals. Die Rote Liste, Gutshaus Steglitz, bis 2. März 2024, Mo.–.So 10–18 Uhr (jeder 1. Dienstag im Monat geschlossen), Eintritt frei, Schloßstr. 48

Dren Maliqi: Spätwerk, The National Gallery of Kosovo, bis 30. 10., Di.–Fr. 10–18 Uhr, Sa.+So. 10–17 Uhr, Pristina

Und so sind die Vögel immer zweimal zu sehen. Einmal zeigt sie sie in ihrem großzügigen Malgestus in voller Farbenpracht, wie zum Beispiel in „Alraune 2 (Haubenlerche)“ aus dem Jahr 2023, und ein zweites Mal als Schwarz-Weiß-Zeichnung des tatsächlich mit einem prächtigen Federschopf ausgestatteten Vogels auf Schiefer, wobei die Künstlerin seinen lateinischen Namen und die Ursachen seines Verschwindens, wie Nahrungsmangel durch fehlende Insekten vor allem zur Brutzeit, nennt.

„Radical Change is Coming“

Apropos Verschwinden: Auch Kunstereignisse an der europäischen Peripherie, die gemeinhin als großartig bezeichnet werden, entfliehen leicht dem Gedächtnis. Und so ist das Kunstgeschehen in Pristina nach der Manifesta vor zwei Jahren nur noch selten in unserem Diskurs präsent. Wie gut, dass man im Urlaub auch mal an Orte reist, die nicht auf der Agenda stehen. Und so trifft man dann zufälligerweise genau zur Eröffnung von Dren Maliqis Ausstellung „Spätwerk“ in der der Nationalgalerie des Kosovo in Pristina ein.

Dren Maliqi „Spätwerk“, Ausstellungsansicht Foto: Mrinë Godanca

Die von der Berliner Kuratorin Catherine Nichols (sie verantwortete vor zwei Jahren die Manifesta) organisierte Schau mit Werken aus den Jahren 2003 bis 2023 hat retrospektiven Charakter. Man begegnet wichtigen Arbeiten des Konzeptkünstlers wie „Face to Face“ wieder. Hier stehen sich Elvis Presley und der albanische Nationalheld Adem Jashari in vermeintlichen Andy Warhol-Siebdrucken gegenüber.

Als die Arbeit 2008 in einer Belgrader Galerie ausgestellt war, überfielen Hooligans die Galerie und zerstörten das Werk. Heute wäre es wohl nicht anders, wahrscheinlich könnte die Arbeit erst gar nicht gezeigt werden.

Die politischen Verwerfungen frustrieren den Künstler zunehmend, weshalb er angekündigt hat, seine künstlerische Arbeit erst einmal einzustellen. Obwohl er der Zuversicht noch immer Raum gibt, einen ganzen Galerieraum sogar, den er komplett mit dem Satz „Radical Change is Coming“ beschriftet hat.

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Davon zeugte auch die Ausstellung „Wrapped in the Shadow of Freedom“ im 6. Stock des Grand Hotel am Prachtboulevard Mutter Theresa. Die sehenswerte, von Shaunak Mahbubani kuratierte Gruppenausstellung drehte sich um das Thema Queerness, gesehen aus lokaler Sicht und gesehen als lokales Geschehen, wie etwa The Queer Muslim Project. Tatsächlich hat der Balkan eine alte und reiche Geschichte der Geschlechterfluidität, wie das von Paola Revenioti zusammengestellte Archiv mit Fotografien aus dem späten 19. Jahrhundert zeigte.

Gerade durch den Rückgriff auf die eigene Geschichte und die damit verbundenen Artefakte erzählte die Ausstellung eine wesentlich andere Geschichte von Queerness als wir sie üblicherweise kennen.

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Brigitte Werneburg
war Filmredakteurin, Ressortleiterin der Kultur und zuletzt lange Jahre Kunstredakteurin der taz. Seit 2022 als freie Journalistin und Autorin tätig. Themen Kunst, Film, Design, Architektur, Mode, Kulturpolitik.
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