Die Kunst der Woche: Ins Nichts gerichtete Blicke

Das Grimmuseum lädt in den „Club Quarantina“. In der Galerie KM spielt die Fotografin Simone Gilges mit Sehgewohnheiten und Bildtraditionen.

Szene aus Constantin Hartensteins Video "Suspend": Zwei Performer:innen hängen an Tragegurten vor einer Bachsteinwand

Im Grimmuseum zu sehen: „Suspend“, Dokumentation einer Performance von Constantin Hartenstein Foto: Barbara Antal

Für alle, die sich gerade abschrecken lassen: Eigentlich ist das mit der Testpflicht für den Besuch von Galerien weit weniger kompliziert, als es klingt. Als Berlinerin befindet man sich schließlich in der privilegierten Situation, mehrmals pro Woche kostenlos einen Schnelltest machen zu können. Bei einigen der großen Zentren braucht man noch nicht einmal einen Termin. Ist das Ergebnis negativ, kann es losgehen mit der Kunst, entweder mit schon vorab entsprechend gebuchten Zeitfenstern oder nach einem kurzen Anruf in der Galerie. Selbst das muss manchmal gar nicht sein: Tagesaktuell getestet lassen einen viele auch ohne Termin hinein. Voll ist es gerade ohnehin nirgends. Fragt sich nur, wie lange diese Regelungen so bestehen bleiben können.

Wer allerdings vorhat, mit dem Galerienbesuch der Pandemie zu entfliehen, ist im Grimmuseum aktuell an der falschen Adresse. Dort hat Kurator Gilles Neiens den „Club Quarantina“ eingerichtet. Die Gruppenausstellung versammelt Arbeiten, die fast ausschließlich während des ersten Lockdowns oder kurz danach entstanden sind. Aufzuzeigen versucht Neiens, wie unterschiedlich Künst­le­r*in­nen auf die veränderten Bedingungen reagierten, auf die Einschränkungen, die sie womöglich selbst in ihrer künstlerischen Praxis erfuhren, oder auch, wie die Pandemie sie dazu brachte, nach neuen Ausdrucksformen zu suchen.

Grit Richter, deren Einzelausstellung bei Tanja Wagner im vergangenen Herbst für den Galerienpreis nominiert war, ist mit einer ihrer soft sculptures vertreten. Richter ist eigentlich Malerin, für das Thema, das sie 2020 umtrieb, ging sie ins Dreidimensionale: Sinnbilder für die Erschöpfung der Mütter während des Lockdowns sind ihre „Fatigue Moms“, von denen eine für den „Club Quarantina“ ausgewählt wurde: ein fleischfarbenes Etwas mit dünnen Ärmchen in einer Pose der absoluten Resignation.

Mehr Spaß in der erzwungenen Abgeschottetheit hatten offensichtlich AICANON & Karen Paulina Biswell. Die absurd-komischen Fotografien des Künstlerinnenduos entstanden in einem kitschigen Hotel an der französischen Riviera, wo die beiden ihren Lockdown noch verlängerten. 13 künstlerische Positionen sind insgesamt zu sehen, Marco Godinhos Post-It-Serie „Isolation Days (March 16 – Mai 10, 2020)“ soll sich sogar in den öffentlichen Raum ausdehnen.

Der taz plan erscheint auf taz.de/tazplan und immer Mittwochs und Freitags in der Printausgabe der taz.

Grimmuseum, „Club Quarantina“, Fichtestr. 2, bis 15. Mai, Besuch nach Vereinbarung Fr. + Sa. 14–18 Uhr mit negativem Coronaschnelltest.

KM, Simone Gilges, „Portraits 1993–2019“, Mehringplatz 8, bis 17. Mai, Besuch nach Vereinbarung mit negativem Coronaschnelltest.

Abseits der anderen: Simone Gilges

Normalerweise gut von der Straße aus einsehbar sind die Räume von KM am Mehringplatz. Momentan verhindert das bei Tageslicht eine Spiegelfolie, die an das Schaufenster angebracht worden ist. Sie wirft die Blicke zurück und so sieht man vor der Kunst zunächst einmal sich selbst. Der simple Effekt ist eine ziemlich gute Einführung in das, was einen drinnen erwartet. Um Blicke, die woandershin führen als erwartet, um Sichtachsen, Sehgewohnheiten und um Gesichter geht es auch da.

Fotografische Porträts aus den Jahren 1993 bis 2019 von Simone Gilges hängen sich in der Ausstellung gegenüber. Fast ausschließlich sind es Frauen, die Gilges in einem Habitus abgelichtet hat, der an die Darstellung mächtiger Männer erinnern würde, wären da nicht die seltsam ins Nichts gerichteten Blicke. Es sind Frauen, die Gilges zum Großteil nahe stehen, betitelt sind die Fotografien mit den Vornamen der Abgebildeten. Ihre Mutter ist dabei, „Bärbel“ (1993), vor der heimischen Ahnengalerie mit einer Perlenkette wie eine Krone um die Stirn, und auch sie selbst – etwas abseits der anderen im Showroom der Galerie.

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Redakteurin für Berlin Kultur, freie Kulturjournalistin und Autorin. Für die taz schreibt sie vor allem über zeitgenössische Kunst, Musik und Mode. Für den taz Plan beobachtet sie als Kunstkolumnistin das Geschehen in den Berliner Galerien und Projekträumen.

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