piwik no script img

Krise in OstdeutschlandDie Grünen wollen jetzt auf den Osten hören

Ein neuer Beirat berät den Parteivorstand zu Ostfragen. Mit dabei sind altgediente Grüne wie Marianne Birthler und Externe wie Ilko-Sascha Kowalczuk.

Sie soll es richten: Marianne Birthler Foto: Tobias Schwarz/Reuters

Berlin taz | Die Grünen suchen nach einem Ausweg aus ihrer Krise im Osten – und ergreifen jetzt erste Maßnahmen. Am kommenden Dienstag tagt erstmals ein neuer Beirat, der den Bundesvorstand zu ostdeutschen Fragen beraten soll. Das Gremium soll „Impulse für den Prozess zur Neuaufstellung und Stärkung als gesamtdeutsche Orientierungs- und Bürgerpartei machen“, heißt es in einem Papier, das Parteichef Felix Banaszak und sein Vize Heiko Knopf am Dienstag vorgestellt haben.

Der Beirat soll vierteljährlich tagen. Der taz liegen die Namen von 17 Mitgliedern vor, nicht alle von ihnen haben ein grünes Parteibuch. Zu den externen Be­ra­te­r*in­nen gehören der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk (der in seinem Buch „Freiheitsschock“ kritisierte, dass sich viele Ostdeutsche zu stark in einer Opferrolle eingerichtet hätten) und die Politikwissenschaftlerin Judith Enders (einst Mitbegründerin der Initiative „Dritte Generation Ostdeutschland“, die Stimmen von Wende­kindern vereinte).

Dazu kommen altgediente Grüne wie Katrin Göring-Eckardt und Marianne Birthler sowie aktuelle Funk­tio­nä­r*in­nen aus den Ländern wie Franziska Schubert (Fraktionschefin in Sachsen) und Susan Sziborra-Seidlitz (Parteichefin in Sachsen-Anhalt). Stefan Fassbinder aus Greifswald ist als einziger grüner Oberbürgermeister des Ostens dabei, Grit Friedrichs als DDR-Bürgerrechtlerin.

Mitglieder im „Vorstandsbeirat Bündnisgrüner Osten“

Felix Banaszak, Bundesvorsitzender

Marianne Birthler, Ex-Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen

Judith C. Enders, Politikwissenschaftlerin

Stefan Fassbinder, Oberbürgermeister Greifswald

Grit Friedrichs, Journalistin und DDR-Bürgerrechtlerin

Katrin Göring-Eckardt, Bundestagsabgeordnete

Michael Kellner, Bundestagsabgeordneter

Carla Kniestedt, Journalistin und ehemalige Landtagsabgeordnete in Brandenburg

Heiko Knopf, stellvertretender Bundesvorsitzender

Ilko-Sascha Kowalczuk, Historiker

Tobias Kremkau, Kreisvorsitzender Grüne Altmark

Luna Möbius, Aktivistin und Referentin für politische Kommunikation

Lukas Mosler, Landesparteirat Sachsen

Nicole Peter, Grünes Forum Selbstverwaltung Mecklenburg-Vorpommern

Franziska Schubert, Fraktionsvorsitzende Sachsen

Susan Sziborra-Seidlitz, Landesvorsitzende Sachsen-Anhalt

Tammo Westphal, Grüne Jugend

Aus der jüngeren Generation nehmen unter anderem Tammo Westphal (Vorstandsmitglied Grüne Jugend) und Lukas Mosler (ausgebildeter Industriekaufmann, bei der Bundestagswahl 2021 Direktkandidat in Bautzen) teil.

Reaktion auf Wahlniederlagen

Heiko Knopf, einziger Ostdeutscher im sechsköpfigen Grünen-Vorstand, hat in den letzten Wochen an der Zusammensetzung der Runde gearbeitet. „Es gab großes Interesse an Plätzen im Beirat“, sagt er. „Mir war bei der Besetzung wichtig, dass wir viele verschiedene Perspektiven einbinden. Ehrenamtliche, hauptamtliche Personen, intern und extern, die nicht regelmäßig miteinander im Austausch sind.“

Der Beirat ist nicht in der Parteisatzung verankert, soll aber langfristig tätig sein. „Ziel ist unter anderem, dass Vorschläge und Gedanken aus den Diskussionen im Beirat in Wahlprogramme in die laufende Parteiarbeit einfließen“, so Knopf.

Die Grünen waren 2024 in Brandenburg und Thüringen aus den Landtagen, in Sachsen aus der Regierung geflogen. 2026 droht das Aus in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Der Bundesvorstand hatte schon im Frühjahr Gegenmaßnahmen angekündigt. In ihrem Impulspapier greifen Banaszak und Knopf mehrere davon auf.

Auch Banaszak wird ostdeutsch

So brauche es in Zukunft „mehr ostdeutsche Köpfe an entscheidenden Stellen“ in der Partei. Eine formale Quote soll es nicht geben, helfen soll aber ein Mentoringprogramm für Nachwuchskräfte. Im Herbst soll ein Ostkongress in Wittenberg „grüne und grünen-nahe Akteure“ aus Ost und West vernetzen.

Abgeordnete und Vorstandsmitglieder aus dem Bund sollen in einer „Präsenzoffensive“ generell öfters vor Ort sein. Parteichef Banaszak, einziges Mitglied des Ostbeirats ohne eigene Ostbiografie, geht mit gutem Beispiel voran: Wie der Tagesspiegel zuerst berichtete, wird er ein neues Wahlkreisbüro fernab seines Duisburger Wahlkreis eröffnen – in Brandenburg an der Havel.

Schon kurz nach der Bundestagswahl hatte es aus den ostdeutschen Landesverbänden der Grünen Forderungen nach mehr Unterstützung gegeben. So forderte im März eine Gruppe um die Thüringer Grüne Madeleine Henfling in einem Papier einen „radikalen Kurswechsel“.

Jetzt lobt Henfling die neuen Ankündigungen aus der Bundespartei. „Ich finde es gut, dass es eine Lernkurve gibt und die Diskussionen der letzten Monate offenbar gewirkt haben“, sagte sie der taz. „Jetzt kommt es auf die Umsetzung an. Dazu gehört, dass die Gesamtpartei Vorschläge aus dem Ostbeirat wirklich ernst nehmen muss.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Nach mehr als 30 Jahren glaube ich nicht mehr an Lösungen ohne Quotenregelungen für Ostdeutsche. Die Grünen müssten dann ebenfalls noch verstehen wie häufig die Lieblingsthemen ihrer urbanen Klientel im diametralen Gegensatz zu den Interessen der ostdeutschen Peripherie stehen. Zudem ist die ostdeutsche Gesellschaft einfach immer noch deutlich proletarischer eingestellt, was es für die fleischgewordene Repräsentanz der deutschen Akademiker sehr schwer machen wird hier in Wahlkämpfen zu punkten.

  • "Zu den externen Be­ra­te­r*in­nen gehören der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk..."

    Super Wahl. Damit wird es mit Sicherheit im Osten vorwärts gehen 😁