Krise in Ostdeutschland: Die Grünen wollen jetzt auf den Osten hören
Ein neuer Beirat berät den Parteivorstand zu Ostfragen. Mit dabei sind altgediente Grüne wie Marianne Birthler und Externe wie Ilko-Sascha Kowalczuk.
Der Beirat soll vierteljährlich tagen. Der taz liegen die Namen von 17 Mitgliedern vor, nicht alle von ihnen haben ein grünes Parteibuch. Zu den externen Berater*innen gehören der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk (der in seinem Buch „Freiheitsschock“ kritisierte, dass sich viele Ostdeutsche zu stark in einer Opferrolle eingerichtet hätten) und die Politikwissenschaftlerin Judith Enders (einst Mitbegründerin der Initiative „Dritte Generation Ostdeutschland“, die Stimmen von Wendekindern vereinte).
Dazu kommen altgediente Grüne wie Katrin Göring-Eckardt und Marianne Birthler sowie aktuelle Funktionär*innen aus den Ländern wie Franziska Schubert (Fraktionschefin in Sachsen) und Susan Sziborra-Seidlitz (Parteichefin in Sachsen-Anhalt). Stefan Fassbinder aus Greifswald ist als einziger grüner Oberbürgermeister des Ostens dabei, Grit Friedrichs als DDR-Bürgerrechtlerin.
Felix Banaszak, Bundesvorsitzender
Marianne Birthler, Ex-Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen
Judith C. Enders, Politikwissenschaftlerin
Stefan Fassbinder, Oberbürgermeister Greifswald
Grit Friedrichs, Journalistin und DDR-Bürgerrechtlerin
Katrin Göring-Eckardt, Bundestagsabgeordnete
Michael Kellner, Bundestagsabgeordneter
Carla Kniestedt, Journalistin und ehemalige Landtagsabgeordnete in Brandenburg
Heiko Knopf, stellvertretender Bundesvorsitzender
Ilko-Sascha Kowalczuk, Historiker
Tobias Kremkau, Kreisvorsitzender Grüne Altmark
Luna Möbius, Aktivistin und Referentin für politische Kommunikation
Lukas Mosler, Landesparteirat Sachsen
Nicole Peter, Grünes Forum Selbstverwaltung Mecklenburg-Vorpommern
Franziska Schubert, Fraktionsvorsitzende Sachsen
Susan Sziborra-Seidlitz, Landesvorsitzende Sachsen-Anhalt
Tammo Westphal, Grüne Jugend
Aus der jüngeren Generation nehmen unter anderem Tammo Westphal (Vorstandsmitglied Grüne Jugend) und Lukas Mosler (ausgebildeter Industriekaufmann, bei der Bundestagswahl 2021 Direktkandidat in Bautzen) teil.
Reaktion auf Wahlniederlagen
Heiko Knopf, einziger Ostdeutscher im sechsköpfigen Grünen-Vorstand, hat in den letzten Wochen an der Zusammensetzung der Runde gearbeitet. „Es gab großes Interesse an Plätzen im Beirat“, sagt er. „Mir war bei der Besetzung wichtig, dass wir viele verschiedene Perspektiven einbinden. Ehrenamtliche, hauptamtliche Personen, intern und extern, die nicht regelmäßig miteinander im Austausch sind.“
Der Beirat ist nicht in der Parteisatzung verankert, soll aber langfristig tätig sein. „Ziel ist unter anderem, dass Vorschläge und Gedanken aus den Diskussionen im Beirat in Wahlprogramme in die laufende Parteiarbeit einfließen“, so Knopf.
Die Grünen waren 2024 in Brandenburg und Thüringen aus den Landtagen, in Sachsen aus der Regierung geflogen. 2026 droht das Aus in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. Der Bundesvorstand hatte schon im Frühjahr Gegenmaßnahmen angekündigt. In ihrem Impulspapier greifen Banaszak und Knopf mehrere davon auf.
Auch Banaszak wird ostdeutsch
So brauche es in Zukunft „mehr ostdeutsche Köpfe an entscheidenden Stellen“ in der Partei. Eine formale Quote soll es nicht geben, helfen soll aber ein Mentoringprogramm für Nachwuchskräfte. Im Herbst soll ein Ostkongress in Wittenberg „grüne und grünen-nahe Akteure“ aus Ost und West vernetzen.
Abgeordnete und Vorstandsmitglieder aus dem Bund sollen in einer „Präsenzoffensive“ generell öfters vor Ort sein. Parteichef Banaszak, einziges Mitglied des Ostbeirats ohne eigene Ostbiografie, geht mit gutem Beispiel voran: Wie der Tagesspiegel zuerst berichtete, wird er ein neues Wahlkreisbüro fernab seines Duisburger Wahlkreis eröffnen – in Brandenburg an der Havel.
Schon kurz nach der Bundestagswahl hatte es aus den ostdeutschen Landesverbänden der Grünen Forderungen nach mehr Unterstützung gegeben. So forderte im März eine Gruppe um die Thüringer Grüne Madeleine Henfling in einem Papier einen „radikalen Kurswechsel“.
Jetzt lobt Henfling die neuen Ankündigungen aus der Bundespartei. „Ich finde es gut, dass es eine Lernkurve gibt und die Diskussionen der letzten Monate offenbar gewirkt haben“, sagte sie der taz. „Jetzt kommt es auf die Umsetzung an. Dazu gehört, dass die Gesamtpartei Vorschläge aus dem Ostbeirat wirklich ernst nehmen muss.“
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