Die Grünen nach dem Veggieday-Trauma: Jetzt wieder Rebellen
Die Grünen wollen wieder Verbote fordern – und verkaufen das als Radikalität. Sorry, Grüne. Wollt ihr jetzt fürs Politischsein gelobt werden?
E in altes Produkt in leicht geänderter Form als neu und aufregend anzupreisen, ist ein Prinzip des Kapitalismus. Olles Waschpulver kommt nicht mehr so gut an? Kein Problem. Pressen wir es zu Tabletten, nennen es „Persil Universal Tabs“ und erhöhen den Preis. Für strahlende Reinheit und angenehme Frische. So ähnlich funktioniert das auch in der Politik.
Die Grünen waren in den vergangenen vier Jahren so etwas wie die Persil-Tabs der Parteienlandschaft. Sie rochen nach Blümchen, waren praktisch und stets bereit, Merkel die Wäsche zu machen. Doch mit bürgerlicher Servilität, die das Regieren mit der Union im Blick behält, soll jetzt Schluss sein. Seit einiger Zeit versucht sich die Ökopartei ein wilderes, ja: linkeres Image zu verpassen.
Die nicht mehr ganz neuen Parteivorsitzenden Robert Habeck und Annalena Baerbock predigen eine neue Radikalität. Die Probleme seien so groß, dass diese nötig sei. Auch Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, habituell aufs Bürgerliche abonniert, klingt plötzlich wie eine Rebellin mit Kapuzenpulli. Es brauche „radikale Antworten“ statt kleiner Schritte, sagt sie Spiegel Online. Dazu twittert sie eine erhobene Faust, die Geste der Revolution. Selbst Verbote will Göring-Eckardt mit an Todesverachtung grenzendem Wagemut nicht mehr ausschließen.
„Beim Bundestagswahlprogramm haben wir uns angeschaut, sind da Verbote drin? Kommt da wieder jemand und sagt, die Grünen verbieten was?“ Solche Fragen will die Spitzengrüne künftig außen vor lassen. Angesichts der enormen Plastikmüllberge müsse man sich fragen, wie man gegensteuern könne – zum Beispiel mit einem EU-weiten Verbot von unnötigem Verpackungsplastik.
#VerbotsparteiMyAss
Nun ist gegen Radikalismus angesichts der Zuspitzung der ökologischen Probleme wenig einzuwenden. Aber diese selbstverliebte Rebellenpose ist nach der Performance der vergangenen Jahre wirklich schwer zu ertragen. Mal abgesehen davon, dass die Plastikkrise kein neues Phänomen ist: Geht es nicht eine Nummer kleiner? Ist eine grüne Partei, die unnötiges Plastik nicht verbieten will, überhaupt eine grüne Partei? Dauern EU-weite Reformen nicht gerne bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag? Was Göring-Eckardt als Radikalität verkauft, ist ein vorsichtiges Bekenntnis zu der Idee, dass der Staat steuern darf – auch bekannt als Ordnungspolitik.
Für normale Menschen ist so was eine Selbstverständlichkeit, für Grüne offenbar Politik am Abgrund. Sie litten wegen ihres Veggieday-Traumas Jahre lang an einer Verbotsparanoia. Bloß keine harte Forderung in den Raum stellen, lautete das unausgesprochene Motto, sonst ziehen uns CDU und FDP im Verbund mit Bild, Welt und FAZ am Nasenring durch die Manege. Der neue Sound der Partei ist deshalb auch das Eingeständnis, einer konservativen Diffamierung aufgesessen zu sein.
Selbstverständlich sagt so was kein Grüner öffentlich. Man setzt lieber auf die Vergesslichkeit der eigenen WählerInnen. Coole Grüne ließen den ewigen Verbotspartei-Vorwurf lässig abtropfen. Sie wiesen auf die Binse hin, dass der demokratisch legitimierte Gesetzgeber selbstverständlich schädliche Dinge verbieten darf. Umso mehr gilt das für eine Partei, die sich der Rettung der Ökologie verschrieben hat, die also einer wachstumsgierigen Wirtschaft Grenzen setzen muss.
Coole Grüne könnten lustige Listen veröffentlichen mit Verboten ihrer Gegner. Das Verbotswesen, das Konservative und Liberale verantworten, ist spektakulär. Ein Mindestlohn, der Altersarmut verhindert? Verboten. Ein Leben rettendes Tempolimit auf den Autobahnen? Verboten. Eine Klimapolitik, die die Ziele des Pariser Abkommens einhält, gar übertrifft? Verboten. Coole Grüne würden so reagieren, wie es eine geschätzte Kollegin auf Twitter formulierte: #VerbotsparteiMyAss.
Also, liebe Grüne, schön, dass ihr euch wieder trauen wollt, harte Forderungen zu stellen. Aber das ist kein Grund, von sich selbst gerührt oder aufs Politischsein stolz zu sein. Dafür sind die Zeiten dann doch zu ernst.
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