Die Grünen bei der Wahl in Ba-Wü: Kleine Volkspartei ganz groß

Mit diesem Wahlergebnis ist die Partei endgültig im strukturkonservativen Ländle angekommen. Dank Winfried Kretschmann.

Winfried Kretschmann hebt umringt von applaudierenden Parteikolleg_innen die Arme.

Alle Vögel fliegen hoch – die grünen in Baden-Württemberg besonders Foto: dpa

STUTTGART taz | Der Boden für Grün ist bereitet. Zumindest hier in der Stuttgarter Staatsgalerie, wo die grüne Wahlparty stattfindet. Das Foyer hier ist ganz mit grünem PVC-Boden ausgelegt. Das Haus ist schon voll, als hier die ersten Prognosen einlaufen. Den größten Jubel bekommt bei den Grünen nicht einmal das eigene Ergebnis, sondern die krachende Niederlage der CDU.

Die Zahlen verfestigen sich allmählich: Klar, es ist ein historischer Sieg für die Grünen, aber wie man schon seit Wochen wusste, ein historisches Schwächeln der Sozialdemokraten. Jetzt liegt die SPD an Prozentpunkten und Mandaten sogar hinter der AfD. Eine klare politische Bestätigung der Regierungspolitik sähe anders aus.

Spitzenkandidat Nils Schmid wirkt am Abend schwer angeschlagen. Die Grünen hätten einen Regierungsauftrag, CDU und auch seine Partei nicht, stellt der bisherige Finanzminister fest. Da hilft auch der Optimismus von Alexander Bonde nicht: „Da geht noch was bei den Mandaten“, sagt der grüne Verbraucherschutzminister. Ausgleichs- und Überhangmandate könnten vielleicht doch noch für eine grün-rote Mehrheit sorgen.

Klar ist an diesem Abend zumindest eins. Es wird schwierig mit der Regierungsbildung mit FDP und SPD oder mit einer schwer angeschlagenen Union, die noch einmal 12 Prozentpunkte verlor gegenüber ihrer historischen Niederlage von 2011. Selbst wenn die Union jetzt als Juniorpartner mitregieren sollte, oder was schlimm wäre, weil es den klaren Wählerwillen ignoriert, eine Koalition der Verlierer mit SPD und Liberalen schmiedet.

Es ist unübersehbar: Die Union ist schwer angeschlagen. Dennoch weist der erfolglose Spitzenkandidat Guido Wolf Rücktrittsforderungen zurück. Deshalb muss Kretschmann jetzt womöglich noch mehr von seinem Pragmatismus zeigen, wenn sich die Liberalen einer klassischen Ampel verweigern.

Voll im bürgerlichen Milieu

Dafür, dass auch die Liberalen gesprächsbereit sein werden, spricht einiges. Landesvorsitzender Michael Theurer zeigte sich schon früher offen für die Themen. Nur Hans-Ulrich Rülke hatte seine Partei auf eine Koalition mit der Union festgelegt. Auch am Abend hofft er auf die Schwampel oder, wie er es nennt, die schwarz-rot-goldene Deutschland-Allianz. Auch der CDU Landesvorsitzende Thomas Strobl sagt unbeirrt, die CDU wolle den Regierungschef stellen.

Dieses Wahlergebnis hat das Land und auch die Grünen hier nachhaltig verändert. Es hat die Union in einem Land in dem sie 58 Jahre regiert hat, lange Zeit davon mit absoluter Mehrheit, auf Normalmaß geschrumpft und sind weit ins bürgerliche Milieu vorgedrungen. Spätestens das Bekenntnis des Trigema-Chefs Grupp zeigt deutlich wie stark sich auch im strukturkonservativen Baden-Württemberg die Wählermilieus angenähert haben. Kretschmann hat den Grünen gezeigt, dass ein Programm, das die Wirtschaft, Ökologie und Bürgerbeteiligung zusammenführt, das Zeug zu einer kleinen Volkspartei haben kann.

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Ob es den Grünen gelingen würde, diesen Kurs auch ohne Kretschmann so erfolgreich weiter zu führen, ist freilich fraglich. Denn das grüne Programm dieser Wahl hieß vor allem Winfried Kretschmann. Seine Regierung hat, auch wenn das Kritiker innerhalb der Grünen manchmal anders sehen, urgrüne reformerische Wege eingeschlagen, an denen sich sein Nachfolger messen lassen muss: In der Energiewende, in der Schulpolitik und auch in der Verkehrspolitik und als urgrünes Vorzeigeprojekt der Nationalpark Nordschwarzwald.

Manches davon war vielleicht allzu behutsam, weil grün-rot bisweilen etwas streberhaft darum bemüht war, stets und in allen Lagen die Regierungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Von diesem Streber-Komplex ist Kretschmann, wenn es ihm jetzt gelingt, erneut eine Koalition zu schmieden, befreit. Jetzt wäre es an der Zeit, den ersten Gang einer ökologischen Wirtschaftspolitik in den Zweiten zu schalten. Er ist in jedem Fall der stärkere Partner. Um Feinstaub-Grenzwerte einzuhalten, werden in Städten wie Stuttgart restriktive Verkehrskonzepte bis hin zu Fahrverboten notwendig sein.

Denn der freiwillige Verzicht hat nichts gebracht. Beim Umbau der EnBw zu einem ökologischen Energieversorger wird das Land beweisen müssen, ob sie es mit der Energiewende ernst meint. Die SPD hat an diesen Erfolgen hohen Anteil, muss sich ihr Wahlergebnis aber zu einem Teil selbst zuschreiben. Zu lange hat es gedauert, bis sie sich zu der Koalition auch als Juniorpartner voll bekannt haben.

Eins bleibt, egal wie die Regierungsbildung verläuft: Die grün-rote Regierung hat nach einem unrunden Anfang handwerklich gut regiert. In der Finanzpolitik, in der Bürgerbeteiligung hat sie sich verantwortlich im Bundesrat gezeigt und den Stillstand an vielen Stellen aufgelöst. Das ist auch daran zu erkennen, dass auch die Opposition in den wichtigen Reformfragen erklärtermaßen nicht zurückgehen will.

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