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Die Geschichte des KapitalismusEin Lob der Globalisierung

Der Ökonom Angus Deaton schreibt eine Globalgeschichte des Kapitalismus. Der Menscheit geht es besser. Die Armut ist gesunken.

Die Industrialisierung wirkt weltweilt und verhilft vielen zu bescheidenem Wohlstand Foto: ap

Vor ein paar Monaten veröffentlichte Oxfam eine bemerkenswerte Umfrage. Nur 0,5 Prozent der Deutschen glauben, dass die globale Armut in den letzten zwei Jahrzehnten abgenommen hat. Das Gros ist überzeugt, dass Armut wächst. Das ist ein Irrtum. 1981 mussten 40 Prozent der Weltbevölkerung mit weniger als einem Dollar am Tag auskommen, 2008 waren es 14 Prozent. Dass die Mehrheit auch in Europa und den USA wenig über globale Armut weiß, hat wohl zwei Gründe. Es verrät ein tiefsitzendes Desinteresse und ist ein Echo der kritischen westlichen Öffentlichkeiten, in der Schlagzeilen viel von Krisen und Katastrophen, fast nie aber von langsamen, positiven Entwicklungen künden.

Der Ökonom Angus Deaton hat mit „Der große Ausbruch“ ein Manifest des globalen Optimismus verfasst, das eine Art Vademecum gegen jede Art von Kulturpessimismus sein will. In den letzten 50 Jahren hat die Welt, so Deaton, „nicht nur vier Milliarden zusätzliche Menschen aufgenommen. Die sieben Milliarden, die heute leben, genießen im Durchschnitt ein sehr viel besseres Leben als ihre Eltern und Großeltern.“ Die Gründe für diese Entwicklung sieht Deaton recht skizzenhaft in der Aufklärung, den industriellen Revolutionen und Fortschritten der Medizin in den letzten 150 Jahren. Seitdem hat „sich der Lebensstandard vervielfacht, die Lebenserwartung hat sich mehr als verdoppelt, und das Leben vieler Menschen ist heutzutage erfüllter und angenehmer als das sämtlicher Generationen vor ihnen.“

In den Zukunftsszenarien der Ökonomen der 60er und 70er Jahre wurde die wachsende Weltbevölkerung automatisch von Hungerkatastrophen heimgesucht. Dass es anders kam, ist für Deaton Beweis, dass mehr Menschen nicht nur mehr Esser, sondern vor allem mehr Kreativität bedeuten und kooperative Gesellschaften in der Lage sind, flexibel schwierigste Herausforderungen zu meistern. Auch deshalb gelang „Hunderten Millionen die Massenflucht aus der Armut“.

Der Mehrwert dieser Arbeit liegt nicht in besonders ausgefeilten Thesen, sondern in der Akribie, mit der der Autor Statistiken durchpflügt und die verfügbaren Zahlen über das Wirtschaftswachstum in China oder die Berechnung der Armut in Indien skeptisch unter die Lupe nimmt. Überzeugend ist, dass dabei nicht allein Wirtschaftskraft und BIP betrachtet werden, um das Wohlstandsniveau zu erfassen. Deaton zitiert auch Umfragen, wer gestern gute Laune hatte – in den USA scheint ein sonniges Gemüt Common Sense zu sein, Russland hingegen eine Trutzburg der Miesepetrigkeit, im armen Mosambik ist man fröhlicher als im reichen Dänemark. Vor allem reflektiert „Der große Ausbruch“ harte Daten über Kindersterblichkeit und Lebenserwartung. Es ist ein einleuchtender Gedanke, die Länge des Lebens und die Wahrscheinlichkeit, mit der Eltern ihre Kinder nicht sterben sehen müssen, als solide Indikatoren für Wohlbefinden zu nutzen.

Der Kapitalismus hebt alle Boote

Bemerkenswert ist, dass die Menschen nicht nur in USA und Europa in einem noch vor 50 Jahren nicht für möglich gehaltenen Maße älter werden. Auch in den globalen Armutszonen ist die Lebenserwartung seit 1945 gestiegen – von 42 auf 66 Jahre. Die Kluft zwischen Metropolen und Peripherie ist, was Lebenserwartung betrifft, nach wie vor dramatisch – allerdings mit abnehmender Tendenz. Die Wahrscheinlichkeit, dass 2017 ein in Indien geborenes Kind stirbt, ist in etwa so hoch wie in Schottland 1945.

Deaton, der vor zwei Jahren den Wirtschaftsnobelpreis bekam, forscht über Ungleichheit, doch anders als Thomas Piketty oder Tony Atkinson hat er keinerlei grundsätzliche kritische Reserven gegenüber der kapitalistischen Globalisierung. Er kritisiert zwar, dass in den USA seit den 80er Jahren die Ungleichheit wächst und der Finanzkapitalismus eine kleine Schicht von Superreichen hervorgebracht hat, die nichts für die Allgemeinheit leisten. Doch der fröhlichen Fortschrittserzählung tut dies keinen Abbruch. Denn die technische und medizinische Entwicklung erscheint in „Der große Ausbruch“ als noch immer intaktes Kraftzentrum, das zwar Ungleichheiten produziert, aber mit Zeitverzögerung Waren, Produktionsverfahren und Medikamente auch demokratisiert.

Global und historisch betrachtet gilt für Deaton die Metapher, dass die kapitalistische Globalisierung letztlich fast alle Boote hebt. Mitunter klingt das neoliberal. Allerdings fehlt Deaton, der hierzulande am ehesten auf dem rechten Flügel der SPD anzutreffen wäre, der eifernde Ton und der säkularisierte Heilsglaube vieler Neoliberaler, für die der Markt eine ähnliche Rolle spielt wie das Proletariat für klassische Marxisten.

„Der große Ausbruch“ könnte ein Mittel gegen die routinierte Klage sein, dass alles schlechter wird. Könnte – denn das letzte Drittel des Buches, eine gepfefferte Polemik gegen jede Entwicklungshilfe, wirkt rätselhaft. Hilfe von außen stabilisiere bloß korrupte Regime und sei die Krankheit, gegen die sie helfen soll. Was diese Philippika gegen Entwicklungshilfe in einer Globalgeschichte verloren hat, bleibt unklar. Noch gewichtiger ist, dass dieses Gemälde ein paar auffällige weiße Flecken und grobe Retuschen hat. Der Kolonialismus kommt schlicht nicht vor – in einer Globalgeschichte eine kühne Ellipse. Schwer begreiflich ist, dass die Handelsbeziehungen zwischen OECD-Staaten und Armutsregionen nur nebenher erwähnt werden. Dabei setzen die OECD-Staaten ihre Überlegenheit, wie das Scheitern der Doha-Runde zeigte, rüde gegen arme Staaten ein.

„Der große Ausbruch“

Angus Deaton: „Der große Ausbruch“. KlettCotta, Stuttgart 2017, 463 S., 26 Euro

Völlig unverständlich ist schließlich der Glaube, dass Wachstum endlos möglich ist. Zwar fällt ein paar Mal das Wort Klimawandel, doch es fehlt jede Reflexion über die Grenzen des Wachstum. Die Erkenntnis, dass 2050 auf diesem Globus, ohne radikalen Umbau der Mobilität, drei Milliarden Autos fahren werden, würde das helle Bild trüben. Dies einfach auszublenden, nimmt dieser Lobrede auf die Globalisierung viel an Überzeugungskraft.

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34 Kommentare

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  • Gerade noch die Kurve gekriegt, was?

     

    Frage: Gäbe es heute womöglich weniger Armut, wenn die neokolonialen westlichen Machenschaften nach 1945 unterblieben wären? Wenn es die von NATO-Staaten dominierten »Institutionen« IWF, Worldbank und WTO einfach nicht gegeben hätte und die vielen „Armutsstaaten“ betreffend ihrer eigenen Budget- und Handelspolitik hätten souveräne Entscheidungen treffen können? Und weil sie, Herr Reineke, sich wundern und es nicht zu wissen scheinen oder glaubhaft vorgeben: Die westliche „Hilfen“, die am Ende des Artikels zur Sprache kommen, haben wesentlich auch damit zu tuen, solches zu verhindern. Selbstverständlich stützen sie nicht eben zufällig die Autokraten und selbstverständlich befördert das den Faktor Armut und Reichtum durch Korruption erheblich. Siehe eine taz-projekt, dass exakt dazu arbeitet: https://migration-control.taz.de

     

    Anzuraten ist Fabian Scheidlers „Das Ende der Megamaschine“ im Promedia-Verlag, in dem die Zusammenhänge entlang der menschlichen Geschichte kurz und prägnant nachvollzogen werden. Nicht unideologisch aber es ist die Freiheit von Herrschaft, die da als Idee trägt, nicht Idee "freier Märkte".

  • 3G
    36120 (Profil gelöscht)

    1 % der Reichsten besitzen soviel, wie alle anderen zusammen und trotzdem geht immer mehr Menschen besser. Na toll! Dann nur weiter so!

    • @36120 (Profil gelöscht):

      "1% der Reichsten..." Die Reichen mal wieder ganz unter sich!? Finden Sie den Fehler.

  • Ich halte wenig von solchen globalen Statistiken. Sie sind vereinfacht bis zur Unbrauchbarkeit.

    Schon die Schwelle zur Armutsdefinition, 1 Dollar täglich, ist keine relevante Bezugsgröße. Zu viele Parameter sind dabei nicht eingeflossen. Was gibt es für 1 Dollar vor Ort zu kaufen? Welche Sozialstruktur herrscht vor? Gibt es die Möglichkeit zur (geldlosen) Selbstversorgung?

    Ein Single in Berlin kann mit 1 Dollar (oder 1 Euro) am Tag nur verhungern. Ein Mensch, der in einer Großfamilie auf dem Land lebt und im Garten Obst und Gemüse anbaut, hat eine Chance. Besonders wenn unter Nachbarn eine Art Tauschhandel entsteht, so wie es in ländlichen Gebieten noch verbreitet der Fall ist.

    Das Modell Kapitalismus setzt darauf, dass alle Menschen ständig nach Geld streben und erst in zweiter Linie nach handfesteren Dingen wie wohlschmeckenden Lebensmitteln - oder gar nach ethischen Werten. Alles und jedes wird in Geldwert umgerechnet und gehandelt. Jeder hat dabei theoretisch die gleichen Chancen und die gleichen Abnehmer. - Wobei die tatsächliche Praxis ausgeblendet wird, dass übermächtige Konzerne stets an der Quelle sitzen, die Wertschöpfung für sich nutzen und allen anderen nur ein paar Brösel abgeben.

     

    Das Modell setzt außerdem darauf, dass die globale Wirtschaft ständig wächst, ohne Obergrenze. Ohne zu berücksichtigen, dass die natürlichen Ressourcen nun mal begrenzt sind.

     

    Aber so ist die Welt nicht.

    Sicher, Hilfe zur Selbsthilfe ist allemal besser als Almosen. Aber das muss nicht zwingend dahin führen, dass auch das ärmste Bäuerlein in der Savanne jetzt Aktien kauft.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    In den letzten 50 JAhren haben z.B. die Chinesen ihre landwirtschaftlichen Erträge pro Hektar vervierfacht (http://image.slidesharecdn.com/1-140212080238-phpapp02/95/12-introducing-the-challenge-leaver-32-638.jpg?cb=1392192170). Und zwar kontinuierlich und nicht erst seit ihrem Anschluss an den Weltmarkt.

     

    Daneben hat China ihre Bevölkerungswachstumsrate in den Griff bekommen (https://www.google.de/publicdata/explore?ds=d5bncppjof8f9_&met_y=sp_pop_totl&idim=country:CHN:IND&hl=de&dl=de#!ctype=l&strail=false&bcs=d&nselm=h&met_y=sp_pop_grow&scale_y=lin&ind_y=false&rdim=region&idim=region:SSF&idim=country:CHN&ifdim=region&hl=de&dl=de&ind=false). Landwirtschaft und Bevölkerungswachstumseindämmung - das sind die Schlüssel zur Bekämpfung der absoluten Armut und nicht z.B. die Sweatshops in Bangladesh.

    • @10236 (Profil gelöscht):

      Da es hier ja wohl um Systemvergleiche geht:

       

      Das in einem kommunistischen System die Entwicklung bei Null stehenbleibt wäre auch eine dumme Aussage.

       

      Es stellt sich also die Frage, ob eine Vervierfachung besonders hoch ist.

       

      Zum Vergleich: "Ein Landwirt erzeugte im Jahr 1950 Nahrungsmittel, um 10 Menschen zu ernähren. Heute sind es etwa 140 Menschen (ohne Futtermittel aus dem

      Ausland)." Eine 14x höhere Produktion also.

       

      Die "Große Chinesische Hungersnot" Anfang der 60'er mit ihren Millionen an Toten hätte vielleicht nicht sein müssen (https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Fe_Chinesische_Hungersnot).

    • @10236 (Profil gelöscht):

      Ja: Auch totalitäre, zentralistische Unterdrücker-Regime KÖNNEN ihre umfangreichen Machtmittel dazu nutzen, ihre Bevölkerung in ein Verhalten zu drangsalieren, das die absolute Armut letztlich reduziert. Applaus.

       

      Es fragt sich nur, ob das soviel besser funktioniert und soviel weniger Ungerechtigkeit produziert als der gerne belächelte Trickle-Down-Effekt, den Deaton beschreibt. Ich meine "Ungerechtigkeit" dabei natürlich nicht nur im Sinne von "soziale Ungerechtigkeit" sondern auch im Sinne von "Unfreiheit".

    • @10236 (Profil gelöscht):

      Naja, die Lage hat sich aber auch in Indien und Afrika verbessert, wo man das Bevölkerungswachstum nicht so "in den Griff bekommen hat" (sehr euphemistische Formulierung für die repressive chinesische Familienpolitik übrigens).

  • Nix gegen Germanistik Politik & Parteien.

     

    Aber - könnte vllt. ein solches auch von Stefan Reinicke als Leserverwirrbuch eingeschätztes Teil

    Von Ulrike Herrmann besprochen werden?!

    Vademecum von Weleda¿

    vs Kritische Öffentlichkeit -

    Liest sich a weng - wie Feng Stupi -;)

    Mit Verlaub!

    Ein Nobelpreis in einer modellverliebten Wertungswissenschaft -

    Akribisches Zahlenstudium hin oder her - imponiert mir nicht sonderlich.

    Zumal ein Neoliberaler Marktfetischist

    - mit oder ohne Eifer - dennoch ein solcher bleibt!

    Die Fehlstellen & der unreflektierte Abgang sprechen doch eine klare Sprache. Gute Laune geht da jedenfalls mir flöten!

    • @Lowandorder:

      Einen Spirituosenhändler über

      Alkoholmißbrauch als Referenten -

      Würd mich auch befremden. &

      Das Bild vom Booteheben zeigt

      Besonders schön die Herz&Hirn - Nach&Nebenwirkungen - wa!

      • @Lowandorder:

        Sie sagen es!

  • Neben den erwähnten statistischen Schwächen wäre noch anzumerken, daß, falls die Armut tatsächlich abnimmt, dieses durch ein extrem gestiegenes Produktionsvolumen geschehen ist. Während gleichzeitig die Verteilung immer ungerechter wird.

     

    Da nun dieses Produktionsvolumen nicht nachhaltig ist, beruht dies auf der Armut zukünftiger Generationen.

     

    Das macht diese Argumentation nicht nur dumm, sondern geradezu zu einem Verbrechen. Darauf hinzuweisen, wäre in der taz früherer Tage (seinerzeit noch ökologisch) selbsverständlich gewesen. Es stellt sich die Frage, ob sich die Gesinnung geändert hat, oder nur die intellektuellen Fähigkeiten.

    • @eremit:

      "extrem gestiegenes Produktionsvolumen" = Wohlstand

       

      Und das dieses Produktionsvolumen nicht nachhaltig ist, ist ja nur einen Behauptung. Und es ist eine Behauptung, daß daraus Armut nachfolgender Generationen entsteht.

      Und beide Behauptungen werden ja durch die letzten 200 Jahre kapitalistischer Wirtschaft auch widerlegt. Die Einführung der Dampfmaschine hat eben nicht zu Armut geführt sondern war dann Beginn einer Reihe technischer Innovationen, die allen Menschen eine Befreiung aus Hunger, Armut und Not gebracht hat. Und niemand wird gezwungen ein Auto oder ein Smartphone zu kaufen. Aber gerade letzteres ist heutzutage besonders in der 3. Welt ein wichtiges und weitverbreitetes Mittel den Alltag zu erleichtern. Und in der so geschaffenen Infrastruktur zeigt sich nachhaltiger Wohlstand (und die Geräte selber werden ja sogar in der 3. Welt hergestellt!)..

  • Sinnlose statistische Angaben:

    Angebnommen, 1980 mußten 40 % mit weniger als einem Dollar auskommen, aber nur 14% mit weniger als 90 Cent.

     

    Dann nehmen wir mal 10 % Inflation in 17 Jahren an. Dann müssen heute nur 14% mit unter einem Dollar auskommen, ohne auch nur einen einzigen Cent mehr zu haben.

  • Das die Situation sogar noch dramatisch besser ist als hier dargestelllt konnte man in der Tat vom 16./17. JUNI 2012 Seite 4+5 bereits lesen: Rio - Entwicklung der Welt von 1992 - 2012

    Dabei ist ganz deutlich, daß die Menschheit auf einem guten außerordentlich positiven Weg ist.

     

    Wobei man sich natürlich nicht die taz-übliche Überschrift "Unser Wohlstand frißt seine eigenen Grundlagen" beschränken darf, sondern die Zahlen für Armut (nimmt absolut wie relativ stark ab), Ernährung (das Problem liegt im zu viel), Versorgung mit sauberen Trinkwasser als Kennzeichen für die öffentliche Hygiene (starke Verbesserungen) und für Wohlstand (starke weltweit gleichmäßige Steigerungen bei Mobiltelefonen, Automobilproduktion, gesicherten Energiereserven und Fleischkonsum) sehen muß.

     

    Dasselbe in der taz vom 14./15. SEPTEMBER 2013: Danach starben weltweit 1990 12,6 Millionen Kinder im Alter von unter fünf Jahren. Im Jahr 2012 waren es nur noch 6,6 Millionen. Das heißt: Bis zu 90 Millionen Menschenleben wurden in diesen gut zwei Jahrzehnten gerettet, jeden Tag gibt es 17.000 tote Kinder weniger.

    Lungenentzündung, Durchfall und Malaria machen ein Drittel der Todesursachen aus – daran muss heute kein Kind mehr sterben. - öffentliche Hygiene und nicht Armut ist hier das Problem

    Zwei Milleniumsziele der Vereinten Nationen sind darum sogar vorfristig erreicht. Erstens sollte die Zahl derer, die von weniger als einem Dollar am Tag leben müssen, bis 2015 halbiert werden. Als Ausgangsbasis sollte das Jahr 1990 gelten, damals lebten mehr als eine Milliarde Menschen praktisch von nichts. Dieses wichtige Ziel der Menschheit ist inzwischen übererreicht, und das obwohl die Untergrenze für absolute Armut auf 1,25 Dollar angehoben wurde.

     

    Die Vermutung, daß der Reichtum im Westen zur Armut in der 3. Welt führt, ist offensichtlich falsch.

    • @Werner W.:

      Wissen Sie denn wirklich so genau, wie es den Menschen in der sog. 3. Welt ging, bevor sie kolonialisiert wurden? Oder den Aborigines, amerikanischen Ureinwohnern etc...

      • @Artur Möff:

        Das wäre unnützes Wissen.

        Bei einem Zurück in diese paradiesischen Zeit könnten auf der ganzen Erde vielleicht 10 Millionen Menschen leben. Mag sein, daß es denen recht gut ging.

        Ein Zurück würde aber den Willen zum Massenmord voraussetzen. Ich denke nicht, daß Sie diesen Willen haben.

        Im übrigen geht es in dieser Diskussion gar nicht darum, sondern um die Frage ob der Kapitalismus eine gute Wirtschaftsordnung ist oder nicht. Die Frage beantwortet sich eigentlich schon mit dem Blick nach Venezuela (oder der DDR). Wem das nicht reicht muß sich die Fakten ansehen. Und das hat der Autor des hier besprochenen Buches eben getan.

        Sie sollten es auch machen (und das Buch lesen).

      • @Artur Möff:

        Naja, über sehr lange Zeit fehlendes oder nur sehr langsames Bevölkerungswachstum bei nicht vorhandener Geburtenkontrolle kann nur heißen, dass der Großteil der Menschen nicht sehr alt geworden ist, was so ziemlich das Gegenteil von "gut gehen" ist.

         

        Das kann man natürlich als "natürliche Lebensweise" romantisieren, aber das geht nur mit fest geschlossenen Augen von weit weg.

        • @Mustardman:

          Woher wissen Sie, wie alt so ein Afrikaner, Aborigine oder Indianer im Durchschnitt wurde? Ebenso wirft es ein bezeichnendes Licht auf Ihre Einstellung gegenüber anderen Völkern allgemein, wenn Sie ausschließen, dass es auch in anderen Kulturen sowas wie eine Geburtenkontrolle gegeben haben könnte. Last but not least ist doch nicht nur die Dauer des Lebens entscheidend, sondern auch Faktoren wie Glück, Zufriedenheit, - alles Dinge die schwer messbar sind und die schwinden in dem Maße, wie unerfüllbare Bedürnisse geweckt werden.

          • @Artur Möff:

            Ja, wenn einem die Kinder wegen Malaria, Mittelohr-, Lungen- oder Blinddarmentzündung wegsterben hat das auf die "Faktoren Glück, und Zufriedenheit" wenig Einfluss.

             

            Mann - Sie müssten sich mal reden hören...

            • @Waage69:

              Haben Sie sich die gesamte Unterhaltung durchgelesen? Mir geht es darum festzustellen, dass die Industrialisierung erst mal Probleme geschaffen hat, die jetzt so langsam beseitigt werden sollen. Länder wurden geplündert, Menschen gemordet, Land geraubt (auch aktuell) und nun wird so getan, als ob die Industialisierung allen Menschen nur Gutes gebracht hat. Ich behaupte einfach mal, dass nicht alle Menschen danach gefragt haben. Auch beschäftigt sich mein Kommentar mit einer gewissen Arroganz gegenüber anderen Völkern und Lebensweisen, die im Vorkommentar durchscheinen.

  • Das Buch beschreibt eigentlich nichts Neues. Es ist längst bekannt, dass Entwicklungshilfe, von der kurzfristigen Hilfe bei Katastrophen, Afrika eher geschadet als geholfen hat. Siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Entwicklungszusammenarbeit#Kritik_an_der_Entwicklungszusammenarbeit

     

    Dass die Globalisierung vielen armen Ländern geholfen hat, den Lebensstandard zu heben, ist auch nicht neu. Dass das zu Lasten der Niedrigverdiener in den Industriestaaten gegangen ist, hat zu AfD, Trump, Le Pen, et al geführt.

  • Das gesamte Afrika ist z.B. auf Lebensmittelimporte angewiesen. Ich schreibe bewusst "das gesamte Afrika" Nordafrika, also die Sahara -Region, ist viel zu trocken um genügend Lebensmittel für seine stark wachsende Bevölkerung zu produzieren, sub-Sahara ist von der Entwicklung nicht in der Lage sich selbst zu ernähren. Ohne weltweiten Handel mit Nahrungsmitteln, käme es in Afrika zu einer apokalyptischen Hungersnot.

    • @Bernhard Hellweg:

      Naja, es ist schon ein wenig komplizierter. In großen Teilen Afrikas werden, wie schon weiter unten kommentiert, lokale Lebensmittelproduktionen durch EU-subvenitionierte Agrarimporte aus Europa ruiniert.

      Und beim Rewe um die Ecke gibt es palettenweise Tomaten aus Marokko, Kartoffeln aus Ägypten und Kaiserschoten aus Kenia etc. (Von reinen cash crops wie Kakao und Kafee oder Spekulationen mit Lebensmittel-futures mal ganz abgesehen.) In den afrikanischen Staaten könnte also z.T. sehr viel mehr für die Bevölkerung vor Ort produziert werden, wenn wir unsere eigenen Konsumgewohnheiten, Import- und Exportregelungen bzw. -steuern entsprechend modifizieren würden... statt dann paradoxerweise Lebensmittel und Gelder hinzuschicken, wenn die von uns teilweise mit verschuldeten Hungersnöte passiert sind.

      • @kami:

        Das Problem ist wohl, dass trotz alledem immer noch viele Europäer den Kontinent Afrika nur als Savanne oder Wüste sehen, wo der arme Bauer mit seinem primitiven Pflug der Scholle ein bißchen Gemüse zu entringen sucht. Das es dort auch extrem fruchtbare Gegenden und Mengen an Wasser gibt und diese Tatsache von Vertretern der "entwickelten Welt" immer noch schamlos ausgenutzt wird (auf Kosten der dortigen Bevölkerung und zum Nutzen der sich spreizenden Vermögensschere), ist leider noch nicht bis in die heimischen Wohnzimmer vorgedrungen.

  • P.S. Und dass Entwicklungshilfe insbesondere in der überkommenen Form von "Geld schicken" statt "Hilfe zur Selbsthilfe" kontraproduktiv sein kann, ist in der Forschung zum Thema auch ein alter Hut.

     

    Mit die beste Entwicklungshilfe liegt darin, die kapitalistischen Wertschöpfungsprozesse abzubauen, in denen der Reichtum der einen die Armut der anderen produziert. (Z.B. EU-subvenitionierte Billiglebensmittel in Afrika, die die dortige lokale Produktion kaputtmachen; westliche Profitmacherei mit Waffenhandel in Krisengebiete; aber auch deutscher Exportüberschuss- und Niedriglohn-basierter "Wohlstand" auf Kosten der europäischen Nachbarn sowie der hiesigen Hartzer und Niedriglöhner, etc.)

     

    Stiglitz und sogar Katja Kipping haben dazu recht gute Bücher geschrieben, Komisch, dass letztere hier überhaupt nicht rezipiert wird. Dafür gibt es andauernd Artikel, die die Linke kaputtschreiben oder sich an irgend einem mehr oder weniger problematischen Zitat von Wagenknecht abarbeiten.

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Wie jemand mal sagte: es gibt einen unterschied zwischen Korrelation und Kausalität.

     

    Entwicklung im subsaharen Afrika, Eindämmung des Bevölkerungswachstums in Ostasien und Südamerika und steigende Agrarausbeute in diesen Regionen + Wissenstransfer dürften da mehr beigetragen haben.

  • Die absolut bitterste Armut unter der (Dank Wertminderung relativen) ein-Dollar-Grenze mit Massensterben durch Hungersnöte und vermeidbare Krankheiten etc. mag zwar abgenommen haben. Es gibt aber diverse Studien renommierter ForscherInnen dazu, dass die Schere im großen Rest immer weiter auseinander geht. - Und das nicht nur in der Differenz zwischen sogenannter Dritter und Erster Welt, sondern zunehmend auch innerhalb letzterer selbst. Die etwas vereinfachte Kurzformel lautet "Arm bleibt arm, reich wird immer reicher." Das hier besprochene Buch habe ich noch nicht gelesen, es scheint diese Problematik aber gepflegt auszublenden?

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    "1981 mussten 40 Prozent der Weltbevölkerung mit weniger als einem Dollar am Tag auskommen, 2008 waren es 14 Prozent."

     

    1981 war 1 DM aber auch noch so viel wert, wie heute 1 EUR.

    • @849 (Profil gelöscht):

      ?? Also 1981 gabs für 1 Dollar ca. 2,25 DM und für die 2 Mark dann später 1 €.

       

      Heute haben Euro und Dollar in etwa den gleichen Wert. Aber um das mit diesen "weniger als 1 Dollar am Tag" ab adsurdum zu führen (was es ja eigentlich auch ist), wär es vor allem nötig, mal zu sehen was es dafür 1981 wo zu kaufen gab.