Die Geräusche des Ökosystems: Wenn die Natur das Maul aufreißt
Hört man ganz genau hin, bemerkt man das geschäftige Summen der Bienen. Doch könnte sich unsere Umwelt lauter zu Wort melden, wie klänge das?
E in warmer Sommertag, ein ruhiger Vorort von Bad Freienwalde an der Oder. Wir standen unter einem Baum im Schatten vor der Kirche und genossen die friedliche Stille. Bis ich dachte: Was ist das eigentlich für ein leises Brummen hier? Ein Hubschrauber weit weg? Ein Elektro-Rasenmäher? Rasiert sich jemand bei offenem Fenster? „Nee“, lachte mein Vater und zeigte nach oben: „Das sind die Bienen im Baum. Die Natur brummt.“
Tatsächlich hatten wir das Ökosystem bei der täglichen Arbeit belauscht. Der ganze blühende Baum summte mit Aktivität. Plötzlich bekamen wir eine Ahnung davon, wie viel hektische Betriebsamkeit in dieser sommerlichen Ruhe steckte.
Und ich erinnerte mich daran, dass ich das im Frühjahr beim Wandern auch schon mal gedacht hatte. Damals stand ich auf einem Hügel und blickte auf das wilde Grenzland zwischen Bayern und Thüringen, wo die Bäume gerade mächtig ihre grünen Blätter entrollten und ihre Knospen aus den Zweigen drückten. Und es war trotz dieser millionenfachen Anstrengung: Ganz still.
Das ist schön für nichtsnutzige Erholungsuchende wie mich. Aber schlecht für die Natur. Denn so bemerkt ja keine Sau, was die wieder so leistet, 24 Stunden am Tag, ohne Krankenversicherung und Arbeitslosengeld. Alles, was leise und vorsichtig daherkommt, wird nicht beachtet. In der Aufmerksamkeitsökonomie bekommt nur der seine Zuhörer, der laut schreit.
Es würde quietschen, knistern und donnern
Wäre die Natur eine Maschine, was würde sie rumpeln, quietschen und knattern. All das Kohlendioxid, das die Bäume und Sträucher im Frühjahr einatmen, würde wie ein gewaltiger Sturm in einer rasselnde Lunge klingen – und mit einem gewaltigen Furz im Herbst wieder entlassen werden. Der ganze Dreck und Feinstaub, den die Äste und das Gras aus der Luft filtern, würde sirren und knistern, wenn er unschädlich gemacht wird. Was würde der Ozean brodeln, schäumen und donnern, wenn er rund um die Uhr 90 Prozent der von uns produzierten Wärme aufnimmt und bei sich einlagert.
Und was für Gejammer und Geklingel und Gekreische würden wir hören, wenn die große Kläranlage in den Flüssen der Welt nicht so natürlich vor sich hinplätschern würde, sondern als globales Wasserwerk betrieben werden würde. Ganz abgesehen von dem Klirren und Schrammeln, das Kühe und Schweine machen würden während sie Milch und Fleisch produzieren.
Es ist wie mit den Heinzelmännchen von Köln: Wer immer nur stumm und verlässlich seinen Dienst tut, der gehört zum Mobiliar und wird im Zweifel untergebuttert – egal, wie berechtigt seine Forderungen eigentlich sind. Bis es dann mal zu spät ist und der Generalstreik ansteht. Wenn die „Ökosystem-Dienstleistungen“, wie die McKinseys dieser Welt unsere Lebensgrundlagen und die natürlichen Kreisläufe schimpfen, nicht so geräuschlos und gratis funktionieren würden, brächten wir ihnen mehr Achtung und Vorsicht entgegen.
Wenn sie krachen, stinken und raufen würden, wenn sie auf der Straße Autoreifen anzünden und ihre Wut rausschreien würden, wenn sich die Moore mit der Polizei prügeln würden und das Wasser im Wasserwerfer streiken würde. Wenn wir mit Wäldern, Seegraswiesen und Mittelgebirgen Tarifverhandlungen führen müssten und uns über ihre unverschämten Forderungen ärgern könnten – es wäre eine bessere Welt. Wenn die Natur endlich mal das Maul aufreißen würde – vielleicht würden wir dann endlich das Gras wachsen hören.
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