Die Flüchtlingskatastrophe in den Medien: Die „Kakerlaken“ und wir
Eine Kolumnistin der größten britischen Zeitung erzeugt mit der Gleichsetzung von Flüchtlingen und Ungeziefer eine Welle von Empörung.
BERLIN taz | „Macht euch nichts vor: Diese Migranten sind wie Kakerlaken“, steht schon in der Unterzeile. Im Text geht es weiter: Flüchtlinge in Calais breiten sich aus „wie ein Norovirus auf einem Kreuzfahrtschiff“, die Fliehenden im Mittelmeer sind „Streuner“, man müsse sie mit vorgehaltener Waffe zurückschicken und ihre Boote verbrennen, und sie aufnehmen komme überhaupt nicht in Frage: „Manche unserer Städte sind schwärende Wunden, sie sind befallen von Schwärmen von Migranten und Asylanten und schütten Sozialhilfe aus als wäre es Monopoly-Geld.“
All das und noch mehr steht in einer Kolumne der britischen Zeitung The Sun, die am 17. April unter dem Titel „Rettungsboote? Ich würde Kanonenboote einsetzen, um illegale Migranten zu stoppen“ erschien.
Die Autorin, Katie Hopkins, ist eine der kontroversesten Kolumnistinnen Großbritanniens. Sie setzt der „politischen Korrektheit“ entgegen, was man auf Deutsch „gesundes Volksempfinden“ nennen würde und was sie auf ihrer Webseite als „einzigartigen Zugang“ und „ehrliche Ansichten“ anpreist.
Zum Beispiel, dass sie keine Dicken anstellen würde oder dass Feministinnen bloß bedürftig wären. Wenn sich dann Empörung einstellt, ist sie zufrieden: Es hat funktioniert.
Anzeige auch gegen Chefredakteuer
Diesmal allerdings, mitten in einem Wahlkampf, in dem die rechtspopulistische Ukip mit Hetze gegen Einwanderer punktet und sogar die linke Opposition ein Ende der Freizügigkeit verspricht, sprengt die Empörung den üblichen Rahmen. Eine von einer 22-Jährigen gestartete Onlinepetition, Hopkins als Kolumnistin zu feuern, erhielt bereits 200.000 Unterschriften.
Der Verband Schwarzer Juristen in London erstattete gegen Katie Hopkins sowie gegen Sun-Chefredakteur David Dinsmore Anzeige wegen Aufstachelung zum Rassenhass und kündigte zugleich an, notfalls den Internationalen Strafgerichtshof anzurufen, sollte die Polizei nicht tätig werden. Zuvor hatte Hopkins ihre Äußerungen in einer Radio-Livesendung noch einmal verteidigt. Dann bedankte sie sich bei ihren 557.000 Twitter-Followern für die Solidarität.
Aufruf zum Mord
Während der Guardian empfahl, Katie Hopkins durch Ignorieren zu bestrafen, wiesen zahlreiche Kommentatoren darauf hin, dass die Gleichsetzung von Menschen mit Ungeziefer die Grenze zu hate speech überschreitet und nicht hingenommen werden sollte.
Menschen als „Kakerlaken“ zu bezeichnen gehörte zur ideologischen Unterfütterung des Völkermords an Ruandas Tutsi 1994. Ein ruandischer Leser auf Twitter erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass der britische BBC-Rundfunk vor Kurzem eine Ruanda-Sendung produziert hat, die unkritisch Thesen der Völkermordleugner verbreitete.
Von Selbstzweifeln oder gar Ironie scheint Katie Hopkins indes nicht geplagt zu sein. Auf ihrer Webseite prangt prominent der Spruch, man solle aufhören, immer andere für die eigenen Probleme verantwortlich zu machen.
Und eine ihrer vorigen Sun-Kolumen trug den Titel: „Wenn Ed Miliband Premierminister wird, wandere ich aus.“ Noch hat ihr niemand ein Schlauchboot geschenkt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich