Die „Bild“ fällt auf „Titanic“ rein: Schwache Verteidigung
Die „Bild“ stellt die SPD bloß. Die „Titanic“ führt die Boulevardzeitung vor. Eine der beiden Aktionen findet der „Bild“-Chefredakteur ganz schlimm.
Eigentlich sind sie sich ganz ähnlich, die Bild- und die Titanic-Aktion. Während die Bild den Hund Lima erfolgreich bei der SPD anmeldete, sodass er theoretisch an der Mitgliederbefragung teilnehmen könnte, jubelte die Titanic der Bild gefälschte E-Mails unter, die eine mögliche Verbindung von Juso-Chef Kevin Kühnert zu einem russischen Propagandatroll suggerierten.
„Dieser Hund darf über die GroKo abstimmen“, stand letzten Dienstag auf dem Titelblatt der Bild.
„Neue Schmutz-Kampagne bei der SPD!“, hieß es auf der Seite eins vorvergangenen Freitag zu den Mails an und von Kühnert. Da wusste bei der Bild aber natürlich noch niemand, dass die Mails gefälscht waren – von der Titanic.
Beide Aktionen waren auf ihren Spielfeldern – dem Boulevard und der Satire – ziemlich gute Züge: Die einen schleusen einen Hund ein, um eine Partei vorzuführen; die anderen schleusen Mails ein, um eine Redaktion vorzuführen.
Man kann das Spiel namens Boulevardjournalismus grundsätzlich ablehnen. Weil es unanständig ist, weil es die Endung -journalismus nicht verdient. Aber einen Hund zum SPD-Mitglied zu machen, um zu verdeutlichen, dass der Mitgliederentscheid anfällig für Manipulationen ist, ist klassischer, gut eingefädelter, pointierter Boulevard. Man kann das ganze Thema seriös aufschreiben – oder man meldet eben einen Hund bei der SPD an.
Aber: Genauso wie die Bild die SPD vorführte, führte kurz darauf die Titanic die Bild vor. Am Mittwoch, einen Tag nach der Hundegeschichte, ließ das Satiremagazin seine auch schon ein paar Tage länger eingefädelte Story vom Stapel: Die Mails, auf die sich die „Schmutz-Kampagne“-Schlagzeile stützte, stammten von Moritz Hürtgen, einem Titanic-Redakteur. Kein Juri. Kein Kevin Kühnert. Alles ausgedacht, reklamiert die Titanic für sich. Bumm.
Die Schwäche von Springers Blatt
Und hier endet der gemeinsame Weg dieser zwei Storys. Denn an diesem Punkt kommen die Reaktionen auf die gefälschten Mails von Bild-Chefredakteur Julian Reichelt ins Spiel. In ihnen zeigt sich die Bigotterie und auch die Schwäche von Springers Blatt.
Dass die Mails von der Titanic stammten, das stellten Springer und Reichelt gar nicht erst infrage. Die Verteidigungslinie des Blatts war eine andere: „Auslöser unserer Berichterstattung war die Ankündigung der SPD, Strafanzeige gegen unbekannt zu stellen“, teilte ein Sprecher mit.
Doch was hätte die SPD auch tun sollen, wenn ihr solche Mails vorgelegt werden? Wenn sie sich glaubhaft wehren will, muss sie bei einem solchem Verdacht Anzeige erstatten. Und so wurde für die Bild aus der anlasslosen Verdachtsberichtsberichterstattung eine Berichterstattung mit Anlass.
Die Verteidigung war schwach. Und Reichelt, der ein Feldbett in seinem Büro stehen hat und einst sagte, dass das einzig wichtige Kriterium für Menschen, mit denen er zusammenarbeite sei, „ob man sich vorstellen kann, zusammen im Schützengraben zu sein“, schaffte es einfach nicht, eine geschlossene Verteidigungslinie herzustellen. Das war besonders deutlich zu sehen, als er bei Twitter gegen die Titanic schoss: „Natürlich darf Satire so etwas, aber sie versucht sich hier zu profilieren, indem sie journalistische Arbeit bewusst zu diskreditieren versucht.“
Fällt Ihnen etwas auf? Ersetzen Sie „Satire“ durch „die Bild“, und „journalistische“ durch „politische“. Dann liest sich das Ganze so: Natürlich darf die Bild so etwas, aber sie versucht sich hier zu profilieren, indem sie politische Arbeit bewusst zu diskreditieren versucht.
Es ist genau das, was man Reichelt und der Bild bei ihrer Story über Hund, SPD und Mitgliederbefragung vorgeworfen hat. Und auch bei den Geschichten zuvor, als die Bild davor warnte, dass auch Ausländer bei der SPD-Mitgliederbefragung mitmachen dürften. Ausländer!
Nur scheint Reichelt das entweder nicht zu erkennen. Was blöd wäre. Oder er will es nicht erkennen. Was bigott wäre.
Wieder, die hohe Kunst
Und man schwankt immer wieder hin und her zwischen erster und zweiter Erklärung, wenn man Reichelts Text zu den Titanic-Mails liest. Es ist eine Rechtfertigung nach dem Motto: Eigentlich haben wir fast alles richtig gemacht. So schreibt er: „Im Artikel (‚SPD will Strafanzeige wegen E-Mail erstatten‘) berichtete Bild, dass Kevin Kühnerts ‚Erklärung gegenüber Bild plausibel‘ klingt und es ‚für die Echtheit der E-Mails keinen Beweis gibt‘.“
Ja. Das stimmt. Das eine stand in einer Bildunterschrift. Das andere im letzten Absatz des Artikels auf Seite zwei. Auf der Titelseite stand nur: „Neue Schmutz-Kampagne bei der SPD! Es geht um brisante Mails, den Juso-Chef und einen Mann namens Juri“. Vielleicht hätte man also von Anfang an aus E-Mails, für deren Echtheit es keinen Beweis gibt, keine Titelschlagzeile machen sollen. Zu der Erkenntnis scheint auch Reichelt gekommen zu sein. Zumindest ein bisschen, und erst im Nachgang, wenn er schreibt: „Ein berichtenswerter Vorgang bleibt es für Bild aufgrund der Strafanzeige der SPD trotzdem, eine Schlagzeile auf Seite 1 wäre es in Kenntnis der Titanic-Fälschung sicher nicht gewesen.“
Erst „in Kenntnis der Titanic-Fälschung“? Das ist die hohe Kunst des Fehler-nur-ein-bisschen-Eingestehens.
Reichelt berichtet weiter, dass die Bild eine Mail von Experten habe prüfen lassen und dass am Montag nach der Veröffentlichung mehrere Bild-Redakteure den Informanten (also wohl Titanic-Redakteur Hürtgen) getroffen hätten – und Zweifel an dessen Glaubwürdigkeit gekommen seien. „Zu diesem Zeitpunkt war klar, dass der Informant versuchte, Bild in eine klare Festlegung hineinzutreiben, dass Kevin Kühnert persönlich mit ‚Juri‘ in Kontakt stehe. Dieser Intention hinter der Fälschung ist Bild nicht aufgesessen.“ Reichelts Schluss: „Wenn bei Bild ein Fehler passiert ist, dann, dass wir den angeblichen Informanten nicht als Titanic-Mitarbeiter enttarnen konnten, obwohl wir mehrfach versucht haben, seine Identität festzustellen.“ Wenn ein Fehler passiert ist, dann … Wieder, die hohe Kunst.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Am Donnerstag änderte sich die Verteidigungsstrategie: Es ging nun auf Reichelts Twitteraccount fast nur noch darum, dass Hürtgen seinen Coup auch im russischen Sender RT kommentierte. Mehr als zwei Dutzend Mal retweetete oder zitierte Reichelt Beiträge, in denen Hürtgens Auftritt bei RT kritisiert wurde. Und kam wieder zu einem eigenwilligen Schluss: „Wer professionell gezielte Desinformation betreibt und damit RT bedient, kann sich nicht auf Freiheit der Satire berufen.“
Doch, Herr Reichelt, kann er. So wie Sie sich auf die Freiheit der Presse berufen dürfen, wenn Sie einen Hund in die SPD einschleusen.
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