Die Bedeutung von Freundschaften: Liebe ist mehr als nur Liebe

Auf der gesellschaftlichen Bühne erregen romantische Beziehungen immer mehr Aufsehen als freundschaftliche. Warum das ein Fehlschluss ist.

Zwei Freund*innen schauen verschränkt aufs offene Meer

Auch Freundschaft ist eine Form von Liebe Foto: imago

Heute habe ich viel über die Liebe nachgedacht und die unterschiedlichen Formen. Meine früheste Erinnerung an die Liebe war, wie sehr ich meine Mutter früher vermisst habe, wenn sie auf eine Dienstreise ging. Und wie sehr ich mich gefreut habe, als sie endlich zurückkam.

Liebe war aber auch, wie mein Vater und ich früher auf seinem blauen Fahrrad durch Kigali fuhren auf dem Weg zu seiner Französischklasse. Die Stunden, die ich als Kind mit Aimé spielend auf der Wiese verbrachte, waren auch Liebe. War Aimé mein erster Freund? Ich weiß es nicht. Es ist auch überhaupt nicht wichtig.

Ich habe als Kind schon nicht verstanden, was der Unterschied sein soll. Warum die Liebe zu meinem Vater oder meiner Mutter anders kategorisiert wird als die zu meinem Freund Aimé oder zu meinen Schwestern. Als Teenager sah ich, wie bei meinen Freundinnen ihre ersten romantischen Freunde schlagartig einen höheren Stellenwert hatten als jahrelange Freundschaften. Warum sollen romantische Beziehungen mehr wert sein als freundschaftliche oder familiäre? Das verstehe ich bis heute nicht.

Folgendes Beispiel zeigt, wie absurd das Ganze ist: Wenn ich auf einer Hochzeit eingeladen bin, ist es gesellschaftlich akzeptierter, wenn ich einen Typen mitbringe, den ich vor zwei Wochen auf Tinder kennengelernt habe, als meine beste Freundin, die ich seit 15 Jahren kenne, oder meine Schwester?

Die Schulter an die Freundschaft lehnen

Versteht mich nicht falsch: Ich liebe die Liebe und dazu gehören eben auch romantische Beziehungen, aber ich finde andere Beziehungen mindestens genauso wichtig. Freundschaften, Schwesternschaften und alle anderen Formen der Liebe brauchen eine bessere Lobby. Wenn wir uns die verschiedenen Formen der Liebe als Partygäste vorstellen, ist die romantische Beziehung diejenige, die einen dramatischen grand entrance hinlegt.

Sie kommt rein, alle halten den Atem an und die Welt hört auf, sich zu drehen. Sie hat eine Champagnerflasche oder ein aufwendiges Blumengesteck als Geschenk dabei. Sie wird im Laufe des Abends einige Flaschen kaputt machen, vielleicht den einen oder anderen Streit verursachen. Jede Wette, dass sie einen ebenso dramatischen Abgang hinlegt.

Derweil ist die Freundschaft schon lange auf der Party, sieht es, wenn jemand alleine in der Ecke ist, und bindet die Person ein. Die Freundschaft wird dir auch helfen, das Chaos aufzuräumen, das die Beziehung nach ihrem dramatischen Abgang hinterlassen hat. Am Ende lehnst du deine Schulter an die Freundschaft, stößt mir ihr an und ihr lacht über alles, was passiert ist.

Wenn du aber an die Party zurückdenkst, wirst du zuerst an die romantische Beziehung denken. An die Dramatik, die Aufregung, die Lautstärke. Warum erinnern wir uns nicht an die unaufgeregte Freundschaft? An die Beständigkeit, die Zuverlässigkeit, die leisen Töne.

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Journalistin, Speakerin und freie Kreative. Kolumne: "Bei aller Liebe". Foto: Pako Quijada

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