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Deutschlandtag der Jungen UnionMutti und die Jungs

Die Junge Union spendet Angela Merkel höflichen Beifall und beantragt die Begrenzung von Kanzleramtszeiten. Mitreißend gibt sich Jens Spahn.

Angela Merkel und Paul Ziemiak, Bundesvorsitzender der Jungen Union Foto: dpa

Kiel taz | Mit Socken und einem Friesennerz verließ Angela Merkel den Bundeskongress der Jungen Union, der am Wochenende in Kiel stattfindet. Die Kanzlerin und Parteichefin deutete das Geschenk positiv: „Ein Zeichen, dass Sie mich nicht im Regen stehen lassen wollen.“

Tatsächlich? Kaum hatte Merkel den Saal verlassen, stimmte eine Mehrheit der 319 Delegierten der gemeinsamen Nachwuchsorganisation von CDU und CSU dafür, die Amtszeit deutscher RegierungschefInnen zu begrenzen, denn „Kanzler finden manchmal den Absprung nicht“, sagte eine Rednerin – schwer möglich, da nicht an Merkel zu denken, die bereits in ihrer vierten Amtszeit steckt.

„Wir wollen heute wissen, wie wir es schaffen, wieder stärker zu werden“, hatte der JU-Vorsitzende Paul Ziemiak Merkel vor ihrer Rede aufgefordert. „So, wie sich die Koalition zuletzt präsentiert hat, kann es nicht weitergehen.“ Eine echte Antwort fand die Parteivorsitzende nicht, außer den Appell zur Einigkeit vor den wichtigen Landtagswahlen in Bayern und Hessen: „Wir dürfen nicht miteinander Fingerhakeln machen“.

Das Thema „Amtszeitbegrenzung“ ließ sie mit dem Hinweis auf juristische Grundsatzfragen zum freien Mandat abblitzen: „Das gibt schöne Promotionsthemen, ich wünsche viel Spaß.“ Sie forderte einen gemeinsamen Plan der Union zum Umgang mit Migration, statt sich „ständig mit der Vergangenheit zu befassen“: „Wir diskutieren so, als seien wir noch im Sommer 2015.“

Sicherheitsfragen, das transatlantische Bündnis, das unsicherer sei als früher, die Stabilität der EU und immer wieder der Dieselskandal – es war ein Abriss der Fragen, die zurzeit auf der politischen Agenda stehen. Merkel endete mit der „herzlichen Bitte“, Menschen nicht in Gruppen aufzuteilen, „Migranten und Deutsche, Ost und West; Nordeuropäer und Südeuropäer – wir dürfen uns nicht teilen lassen“.

Stille Delegierte aus Bayern

Als Volksparteien sollten CDU und CSU „möglichst alle repräsentieren, die hier leben“. Dazu gehörten auch die Frauen, fügte sie mit einem Blick auf die Reihe des JU-Bundesvorstandes hinzu: Der sei „schön männlich“.

In der folgenden Diskussion blieben allzu böse Fragen aus den Reihen des Nachwuchses aus. Stattdessen erkundigte sich ein Delegierter, ob nicht die Abgas-Grenzwerte geändert werden könnten, um die Autobranche zu entlasten – dazu ein deutliches Nein von Merkel –, ein anderer schlug eine Erhöhung der Pendlerpauschale vor – für Merkel steht das nicht auf der Agenda. Nur ein Delegierter aus München griff die Parteivorsitzende direkt an: „Ich glaube nicht, dass es mit Ihnen noch möglich ist.“

Ich möchte nicht mit jedem koalieren, ich möchte die Wähler überzeugen.

Jens Spahn

Merkel konterte die Kritik, die sich auf die Flüchtlingspolitik von 2015 bezog, auf der Sachebene, mahnte, humanitäre Flüchtlingshilfe und Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen nicht zu verwechseln.

Während Merkels Rede blieben vor allem die Delegierten aus Bayern auffallend still. Demonstrativ standen sie beim Einzug der CDU-Vorsitzenden nicht auf. Erst zur Verabschiedung gab es dann standing ovations von allen, doch der Beifall blieb eher höflich als euphorisch. Überzeugt sei sie nicht, sagte eine JU-lerin aus Baden-Württemberg, sie habe „Worthülsen statt echter Antworten“ gehört.

„Das Beste kommt noch!“

Um Antworten bemühte sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn – dass er heute im Kabinett sitzt, liegt auch an der Forderung der JU nach einer Verjüngung des Parlaments. „Wir sind ein aufgewühltes Land“, sagte Spahn und forderte eine neue Debattenkultur ohne „Moralkeulen“. „Nicht jeder, der sich Gedanken über Flüchtlinge macht, ist ein Nazi, nicht jeder, der sich über die Ehe Gedanken macht, ist ein Schwulenhasser.“

Die Union müsse über die großen Fragen sprechen, er nannte „Digitalisierung, Rente, Gesundheit, Pflege, Recht und Ordnung, Migration und Integration“. Eine klare Ablehnung gab es für Koalitionen mit AfD und Linken: „Ich möchte nicht mit jedem koalieren, ich möchte die Wähler überzeugen.“

Er nannte Finanzminister Olaf Scholz' (SPD) Vorschlag für höhere Renten „Sozialpopulismus“: „Die AfD wird dadurch nicht weggehen.“ Wichtiger seien Werte wie innere Sicherheit und Verlässlichkeit der staatlichen Organe: „Die linken Chaoten am Hambacher Forst müssen ebenso verfolgt werden wie der Hitlergruß der Neonazis.“ Die Union dürfe nicht in Grüppchen zerfallen, mahnte Spahn. Und: „Das Beste kommt noch!“

Dafür gab es langen Applaus der Runde. Inhaltlich befasste sich der Bundeskongress mit einem Antrag zu „Deutschland 2030“, in dem es unter anderem um eine Sicherung der EU-Außengrenzen und die Rente geht. Die JU setzt sich für eine „flexible Lebensarbeitszeit“ und eine Schlechterstellung für Kinderlose ein.

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1 Kommentar

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  • Je tiefer die Ansprüche, desto tiefer kann das Niveau sinken, desto kleiner ist die Enttäuschung. Früher waren es die Jungen, die für eine Aufbruchstimmung sorgten, heute sind es die Älteren. Verkehrte Welt. Herrschaft des Unrechts? Nein, aber Herrschaft zu Unrecht!