Debatte Führungsstil der Kanzlerin: Ewige Merkel-Dämmerung

Wir werden mitnichten das schnelle Ende der Ära Merkel erleben. Aber wir werden eine andere Kanzlerin und ein klareres Profil kennenlernen.

Angela Merkel formt ihre Hände zu einer Raute

Nein, loslassen wird sie noch nicht Foto: dpa

„Machterosion“, „Vertrauensfrage“, „Anfang vom Ende der Ära Merkel“ – wenige Wochen vor dem CDU-Parteitag ist die ewige Merkel-Dämmerung wieder einmal in vollem Gange. Sogar Gegenkandidaten (Plural!) soll es dieses Mal geben, wenn die Kanzlerin im Dezember zur Wiederwahl als Parteivorsitzende antritt.

Harte Worte fielen auch, als der Christdemokrat Ralph Brinkhaus jüngst zum neuen Fraktionsvorsitzenden der Union gewählt wurde statt des Merkel-Vertrauten Volker Kauder. Damit galt die Fraktion nach Ansicht so mancher Kritiker und Kommentatoren de facto als verloren. Merkels öffentliches Eingeständnis, die Causa Maaßen falsch eingeschätzt zu haben, als kompletter Realitätsverlust; sie verstehe nicht mehr, was die Bevölkerung denke.

Es scheint, als ob die Kanzlerin die Situation deutlich undramatischer sieht als ihre Gegner und zahlreiche Beobachter, als stünde die Regierung doch noch nicht am Abgrund. Haben wir uns zu sehr an den Machterhaltungsapparat der Union gewöhnt, um die Niederlage Kauders und das Antreten möglicher Gegenkandidaten um den Parteivorsitz als normalen demokratischen Vorgang zu bewerten?

Merkel tut genau das. Im Gegensatz zu anderen, meist männlichen politischen „Verlierern“, dreht sie nicht beleidigt ab. Für sie bedeuten die Niederlage Kauders oder Gegenkandidaten nicht der Anfang vom Ende – im Gegenteil, sie wird nun für ihre Verhältnisse geradezu kämpferisch. Sie hat mehrfach deutlich gesagt, dass sie vorhat, Kanzlerschaft und Parteivorsitz bis zum Ende der Legislaturperiode zu behalten.

Merkel bleibt dichter an ihrem Kurs

Aber trotzdem hat sich einiges geändert: Angela Merkel scheint an einem Punkt ihrer Kanzlerschaft angekommen, an dem sie nicht mehr alles der nächsten Wiederwahl unterordnet, sondern an dem sie – befreit von diesem Druck – dichter bei ihrem Kurs bleibt.

Lange Zeit galt es als Merkels Markenzeichen, dass sie ihre Standpunkte recht flexibel interpretiert und sie schnell wechselt. Doch die Zeit des „Merkelns“ ist vorbei. Das große Vertrauen, das sie über Jahre in der Bevölkerung und der Partei genoss, wird immer brüchiger. Daher reicht die extreme Personalisierungsstrategie, die die Kanzlerin im Laufe der Jahre perfektioniert hat, nicht mehr.

Ein „Sie kennen mich“, mit dem sie früher um Wähler warb, reicht schon lange nicht mehr aus, um der Bevölkerung gegenüberzutreten und bei Wahlen zu gewinnen. Ohne diesen Vertrauensbonus ist Merkel nun darauf angewiesen, sich und ihre Vorhaben mehr und besser zu erklären als in früheren Zeiten. Dabei wird ihr Volker Kauder, der stets ihr Handeln in der Öffentlichkeit verteidigte, sicher fehlen.

Merkel scheint allerdings erkannt zu haben, dass sich die Voraussetzungen ihrer Kanzlerschaft und auch ihres Parteivorsitzes geändert haben. Und zwar massiv. Sie kann ihre Macht nicht mehr allein über ihren Machtapparat und ihren Instinkt sichern.

Mehr eigene Themen, mehr Inhalte

Vielmehr wird sie darauf setzen (müssen), endlich ein klareres Profil zu entwickeln und selbst Inhalte und Themen zu setzen, die sie anschließend in der öffentlichen Debatte verteidigen muss. Dass sie die stärkere Polarisierung in der Debattenkultur verstanden hat, wurde bereits bei ihrem Auftritt bei der Jungen Union am vergangenen Wochenende deutlich.

Ihren amorphen Führungsstil abzulegen und ein klareres Profil zu gewinnen, bedeutet auch, einer möglichen Koalition zwischen CDU und AfD – die der sächsische CDU-Fraktionsvorsitzende Christian Hartmann explizit nicht ausschließt – eine unmissverständliche Absage zu erteilen. Merkels Eingeständnis, in der Causa Maaßen falsch gelegen zu haben, spricht ebenfalls für einen Stilwechsel.

Die Entscheidung, Maaßen nicht zum Staatssekretär im Innenministerium zu machen, dürfte zwar sehr viel mehr Merkels Wunsch entsprechen, als der ursprüngliche Kompromiss. Dennoch gestand sie öffentlich eine Fehleinschätzung ein. Sie bezog öffentlich Haltung und zeigte damit mehr Angriffsfläche, aber auch mehr Profil als Regierungschefin.

Einen Fehler einzugestehen, ist in der Politik ungewöhnlich. Für Merkel ist es besonders bemerkenswert

Einen Fehler einzugestehen, ist in der Politik durchaus ungewöhnlich. Für Merkel ist es besonders bemerkenswert. In ihrer langen Amtszeit hat sie jede Menge Kurswechsel initiiert, ohne sich zu rechtfertigen oder ihren Kritikern ein nennenswertes Ziel zu liefern. 2007 wurde sie noch zur „Klimakanzlerin“ ernannt, mittlerweile ist klar, dass Deutschland seine Klimaziele nicht erreichen wird.

Stärke zeigen

Auch die Kehrtwende in der Atompolitik, die Euro-Krise oder die Ehe für alle konnten sie nicht aus der Reserve locken. Als große Verteidigerin ihres Kurses ist sie nicht hervorgetreten. Mithilfe ihrer politischen Autorität gelang es ihr, Debatten, Streit und Konflikte zu überstehen, ohne selbst als Streiterin auftreten zu müssen.

Nun wird immer deutlicher, dass sie selbst stärker ihren Kurs verteidigen wird. Sie wird klarmachen müssen, warum sie, trotz der Erneuerungswünsche in der Union, die richtige Person ist, um die Partei die kommenden Jahre zu führen. Wir dürfen also gespannt sein auf die Rede, die sie beim CDU-Parteitag Anfang Dezember halten wird! Die von vielen geforderte Stabilität bedarf ihrer Stärke, und die wird sie zeigen müssen.

Sie wird klarmachen müssen, warum sie, trotz der Erneuerungswünsche in der Union, die richtige Person ist, um die Partei die kommenden Jahre zu führen

Wir werden in der näheren Zukunft nicht das schnelle Ende der Ära Merkel erleben. Aber wir werden eine andere Merkel erleben. Eine Kanzlerin, die sich weniger auf ihren Apparat verlässt, sondern vermehrt über Inhalte und Standpunkte überzeugen muss. Sie wird klarer Position beziehen und sich häufiger rechtfertigen müssen.

Mit diesem Stilwechsel hat Merkel die Chance, zu vermitteln und die tiefe Spaltung der Gesellschaft zumindest zu verkleinern. Noch kann sie es schaffen, das politische Spielfeld nicht völlig dem Klein-Klein einer zerstrittenen Koalition und populistischer Stimmungsmache zu überlassen.

Der Kanzlerin bleibt nicht viel Zeit für ihre Metamorphose. Zu spät ist es aber (noch) nicht.

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Andrea Römmele, Jahrgang 1967, ist Professorin für Politische Kom­munikation an der Hertie School of Governance in Berlin. Ihr Forschungs­gebiet ist die international vergleichende Parteienkom­munikation. Ihr neues Buch: „Zur Sache! Für eine neue Streitkultur in Politik und Gesellschaft“ erscheint im Januar 2019 beim Aufbau

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